Sonntag, April 23, 2006

Wachtendonker Sprachknoten

Der Niederrheiner an und für sich ist ja hinlänglich liebevoll längt von Hans Dieter Hüsch beschrieben worden. Dennoch stoßen auch mir immer wieder Besonderheiten auf, die mich staunen lassen. Es geht dabei nicht nur um die Vortragseröffnung des hiesigen Bürgermeisters, der mit einem herzhaften: "Sie sollen hier erklärt bekommen ... " einen Vortag startete. Eine Leistung, die es durchaus mit einem Heinrich Lübke aufnehmen konnte.

Nein, was mich anfangs wunderte, aber inzwischen schleichend Eingang in meine Mundart findet, ist die allgemein prophylaktische Redewendung, die der Wachtendonker bei irgendwelchen Fragen oder Erklärungen abgibt. Fast reflexmäßig sozusagen. Denn generell sind die Menschen hier eher ein mundfauler Schlag. Jedes Wort zuviel ist eine Inverstition, die man genau überlegen sollte. Wie die Anschaffung irgendeines landwirtschaftlichen Gerätes.

Und bei Fragen verhält sich der Wachtendonker ähnlich rationell. Die Antwort lautet meist bis immer: Es geht sich hier um ... und dann folgt ein längerer, meist unzusammenhängender Sermon, dem man kaum zu folgen in der Lage ist. Weil man anfangs schon hängen geblieben ist an dieser ungewöhnlichen Forumlierung:

Es geht sich hier um ...

Was will uns das Gegenüber damit sagen?

Es klingt wie ein Wachtendonker Sprachknoten, den zu lösen weder der Sprecher noch das Gegenüber in der Lage ist. Denn völlig unvermittelt taucht da ein Reflexivpronom auf, verwirrt, verstrickt und deutet weder auf sich selber noch auf die Frage.

Gut, man kann sagen: Es handelt sich um ... Aber man sagt es nicht. Oder man kann sagen: Es geht um ... Aber auch das sagt man nicht. Man sagt: Es geht sich um ...

Worum geht es sich denn? Und warum sich gehen? Warum nicht handeln? Und wenn schon gehen, warum dann sich? Fragen laufen ins Leere. Antworten bleiben Mangelware.

Kann sein, genau darum geht es sich hier. Um die eher hilflose, gleichwohl geschickt rhetorische Eröffnung, dem Gegenüber vorab zu signalisieren: Eigentlich weiss ich gar nicht, was ich dazu sagen kann. Aber ich versuche es erst einmal damit. Denke nicht, das wird eine Antwort.

Es kann auch ein Vorgriff auf das Kommende sein, was der Sprecher sich selber erst noch erklären muss. Dann greift das "sich" auf etwas, was noch kommen sollte, ohne dass irgend jemand davon schon jetzt eine Ahnung hätte. Jedenfalls macht eine solche Konstruktion kaum Sinn, noch erzeugt es Verständlichkeiten. Aber es wird ja nicht absichtlos seinen Weg in die hiesige Sprachwelt gefunden haben.

Ich jedenfalls bin an dieser Stelle immer schon gestolpert.

Ein Knoten als Gesprächseröffnung? Was soll das? Oder ist es gar eine hilflose Geste, verbunden mit dem wohlmeindenen Versuch, den widerspenstigen Stoff nun doch irgendwie in Form zu bringen, zu bändigen?

Meine Theorie: Man redet meist über etwas, was man nicht kennt und auch nicht kennen kann. Etwas, für das man sich anstrengen muss. Schwupps, da haben wir das Reflexivpronom wieder. Und zwar an der richtigen Stelle. Sich anstrengen.

Diese Wendung könnte also für Ausländer übersetzt heissen: Halt. Warte mal. Das ist mir unbekannt. Ich muss mich selber damit erst mal anfreunden, auseinandersetzen, informieren etc ... Und erst mal überlegen, ob ich das überhaupt will. Kann ja jeder kommen.

Also erst mal die Frage mit dem Fragenden teilen. Bevor man etwas Falsches sagt. Denn eine prophylaktische Verbrüderung vor der wirklichen Antwort ist doch allemal besser, als wenn man hinterher noch für etwas grade stehen muss, was man gar nicht weiss.

Bedenken Sie dabei bitte auch: Vor nicht allzu langer Zeit wurden hier noch Verträge per Handschlag und aufs Wort gemacht, wenn es um ein Schwein oder eine Kuh handelte. Aber da wusste man zumeist, um was es geht.

Unfragbar: Die Welt ist seitdem komplizierter geworden. Und das Wort taugt kaum die Hälfte noch. Schon gar gegenüber Fremden. Da ist Vorsicht mehr als angebracht. Und darum geht es sich doch, oder ?




1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

hallo karin, ich bin begeistert..vor allem über die mischung von leben und tod. wäre doch toll, wenn man ein buch machen könnte ...von menschen,die
zu ihrem geburtstag was schreiben..
philosphiere, oder ähnliches.
viele liebe grüße von frauke b. b.
aus dem sal(l)on 17 literatur zum wohnFühlen