Dienstag, März 31, 2009

Abschied der Alphatiere - oder wie mit der Krise umgehen


Man kennt sie nur zu gut. Sie sind es, die die Aufmerksamkeit unweigerlich auf sich ziehen. Sie füllen den Raum mit Präsenz. Kleine Menschen mit ihrer Wichtigkeit, - wie ein Herr Mehdorn - die Macht deklinieren können, auswendig und fast referenzfrei. Der Mangel an Zeit, so hörte ich letztlich, sei das Attribut von Managern. Etwas, was sie sich bei gelegt haben, um die eigene Wichtigkeit zu betonen. Manager haben keine Zeit, sie dürfen sie nicht haben. Zeit ist zum Habit geworden - ein Mangel - mehr nicht.

Aber: Wer keine Zeit hat, verpasst den Takt. So einfach kann es sein. Wer stets in den Spiegel schaut, fixiert sich selber und wird je länger je mehr handlungsunfähig.

Dieses Symptom ist bei Managern wie Politikern gleicher Maßen verbreitet. Jede Handlung muss erst mit dem eigenen Selbstbild in Übereinstimmung gebracht werden. Das ist aufwändig, das lähmt, das macht Entscheidungen träge und zäh.

Wie auf die Krise reagieren?

Eine gute Übung wäre, aus dem Spiegel zu treten. Das Selbstbild aufzugeben. Keine einfache Aufgabe - gewiss. Verlustängste kommen hoch. Wenn ich nicht der bin, zu dem ich mich gemacht habe - wer bin ich dann? Manager haben die Eigenart, wie Soufflees in sich zusammen zu brechen, wenn sie sich nicht mehr spiegeln können. Deswegen machen sie weiter, wo schon längst Grenzen überschritten sind. Deswegen können oder wollen sie kaum loslassen ... Veränderungen werden quälend langsam vollzogen, stets unter dem Diktat des MUSS.

Es ist erschreckend mit anzusehen, wie wenig Mensch manchmal da übrig bleibt: zu schnell gewachsen fehlt diesen Menschen wesentliche Erfahrungen. Scheitern - das wäre so eine notwendige, Krisen nötige Erfahrung. Erst sie bringt die Möglichkeit von Solidarität hervor. Die Kunst des Scheiterns bedeutet ja auch, sich genauer auf die anderen einlassen zu können. Hinzuhören statt besser zu wissen. Den Spiegel als Ort der Selbstvergewisserung zu verlassen und sich verbindlich mit anderen in Austausch zu begeben. Sich selber wieder ins Spiel zu bringen. Ausgang offen.

Fragt man Manager nach ihren Mustern von Scheitern, dann geht es meist um Positionen, die sie nicht erreicht haben, anstatt um Erfahrungen, die ihnen wichtig wurden, die sie veränderten, die sie neu ausgerichtet haben.

Es kann sein, es liegt auch generell am System der Reports und Zahlenliturgien, die da von der neuen Priesterkaste in den Unternehmen geleistet werden muss. Vorgaben von oben - statt Erfahrungen von unten. Das ergibt messdienende Manager. Die Glocke ertönt: die Wandlung von Arbeit in Gewinn und Bonuszahlung ist immer noch das faszinierende, ökonomische Wunder.

In einem solchen System kann man nicht erwachsen werden. Man kann nur nach oben kommen. Oder eben auch nicht. Alphatiere haben diesen Weg beschritten - konsequent und auch ohne Rücksicht auf die eigene Person. Den Preis, den sie dabei gezahlt haben, ist dennoch hoch. Er heißt Isolation und nach außen gepflegter Habit, statt Austausch und Solidarität. Soufflee Seelen. Ein Herr Mehdorn und Zumwinkel sind - außerhalb ihrer Spiegelwelt - sozial kaum mehr konvertierbar. Sie bleiben unter sich.

Schwere Fälle, könnte man meinen.
Schlimm genug. Aber nicht hoffnungslos.

Zeit zu lernen. Und bei sich selber anzufangen.





Donnerstag, März 26, 2009

Von Wertschätzung - oder wie mit der Krise umgehen?


Es war nicht immer so, dass Dinge in meinem Besitz wertvoll sind. Viele Sachen habe ich besessen und weg geworfen, andere - fast wertlose - werde ich mein Leben lang nicht vergessen: Da ist der kleine, braune Kaffeelöffel, den ich geschenkt bekam, als mein Uropa eine Etage über uns starb. Ein Löffel, mit dem ich nicht im Kakao rühren konnte, weil er so tief war. Ich hielt ihn lange in der Hand, ohne doch heraus zu bekommen, wozu er denn gut war. Wie sollte ich das als vierjähriges Kind auch wissen. Dennoch - es war der wertvollste Löffel, den ich in meinem Leben besessen hatte und so kam er in mein geheimes Versteck im Garten, dort wo niemand von ihm wusste. Ein Schatz der Erinnerung.

In Zeiten der Krise kommen Werte ins Rutschen und dabei meine ich ganz konkret materielle Werte, nicht jene die nun inflationär beschworen werden. Dieser Löffel da war mir wertvoll. Andere Dinge eben nicht. In einer Gesellschaft, die auf Konsum oder besser gesagt Werteverfall konditioniert wird, haben solche Löffel eine antizyklische Bedeutung. Sie mahnen daran, Werte nicht an Zahlen zu binden, sondern sie noch einmal in die Hand nehmen und neu zu betrachten.

Ich glaube, das wäre eine gute Übung in diesen Zeiten: Dinge noch einmal in die Hand zu nehmen wie bei einem Umzug. Denn da habe ich das auch gemacht: Diese Vase dort oder jenes Glas - brauche ich es noch, brauche ich es nicht. Ist es wertvoll. Beständig für die nächsten Jahre.

Ja, wir ziehen um in eine Landschaft, die wir noch nicht kennen. Und da muss man die eigenen Ressourcen im Griff haben, sich von Überflüssigem entledigt haben. Der Blick auf die Dinge ändert sich. Besitz als Anhäufen von Gütern wird zum Hindernis. Leicht wollen wir werden, mobil - um der Zukunft gegenüber gewappnet zu sein. Und dazu ist es nötig, sich von Überfluss zu trennen.

Die Dinge neu ansehen, sie noch einmal in die Hand nehmen, bereit sein, ihrer Geschichte und ihrem Nutzen nach zu spüren - das wäre jetzt angesagt. Erste Trennungsgeschichten vom Überfluss, der sich so nicht mehr wiederholen wird. Zwar spekulieren alle darauf, aber wir können sicher sein, dass die Zeiten der Hochkonjunktur endgültig vorbei sind. Nein, der Zyklus birgt uns nicht mehr. Auch nicht der Zyklus der Wirtschaft.

Es wäre ja das mütterliche Prinzip, das weiblich-zyklische, das uns wirtschaftlich für eine Zeit in Gefahr sieht, dann wieder im Aufschwung. Irgendwann wird die Wirtschaft doch wieder anspringen, sagen sie und spüren doch genau, dass ein komplettes System versagt hat. Glauben mögen wir es wohl, müssen wir es fast, um das Undenkbare nicht zuzulassen: denn offensichtlich geht es nicht mehr weiter so, dass aus Überfluss sich noch mehr Überfluss speisen kann.

Die Dinge an und für sich sind schon lange entwertet. Ein Messer. Ein Löffel. Das reichte im Mittelalter. Der Löffel wurde um den Hals gebunden, damit man ihn als überlebenswichtiges Werkzeug nicht verlor. Den Löffel abzugeben, das war dann wirklich das Ende eines Lebens. Heute liegen drei Bestecke in den Schubladen. Meine Mutter hatte vor Jahren die Aussteuer eingetauscht - auf diesen Hamsterfahrten an den Niederrhein, wo es für Damastbezüge ein Kilo Kartoffeln gab.

Was ist wertvoll? Was kann ich mitnehmen? Welche Dinge taugen noch zur Reise, die uns bevorsteht? Ich denke, wenn wir die Dinge um uns herum wert schätzen, sie in die Hand nehmen, neu ansehen, werden wir eine neue Einstellung bekommen. Nicht Weiter so! sondern anders, wäre dann die Lösung. Nicht dem Zuviel ein Nochmehr hinterher zu werfen, sondern das, was man dann hat, wert zu schätzen.

Es gibt Dinge, die möchte ich nicht hergeben. Andere entpuppen sich als schierer Überfluss. Zu viele Kugelschreiber zum Beispiel. Wissen Sie noch, womit Sie schreiben? Meinen Füllfederhalter aus der Schule kann ich noch heute beschreiben: es war ein grüner Geha, mit umgekehrter Patrone, was ich besonders klasse fand. Er kleckste immer etwas, da ihn vor mir jemand anders benutzt hatte und wenn ich mich auf die Suche begebe, werde ich ihn auch wieder finden.

Ich bin mir sicher, ich habe ihn nicht weg geworfen.
Und klar: er schreibt auch heute noch.

Das ist, was wir brauchen: Mehr von den brauchbaren Dingen. Wertschätzung für das, was wir haben, statt Bedarf nach Neuem zu wecken. Ich denke, das wäre ein sinnvolles Unterfangen, antizyklisch gewiss, aber sich selber vergewissernd.

Biblisch gesprochen soll man die Lenden umgürtet haben, bereit sein für den Aufbruch, für Veränderung, die wir heute nicht ahnen können. Darin ist die Bibel so unendlich weise, dass wir uns verhalten können nach dem, was wir noch nicht wissen. Diese Bereitschaft wäre hete eine wertschätzende Präsenz, nicht nur Menschen, sondern auch den eigenen Dingen gegenüber, die uns umgeben. Alltägliche und kleine Sachen, die uns begleiten.

Wie ein Kaffeelöffel, ein Füller oder anderen Dinge. Abwrackprämien dagegen sind Wert verachtende und Wert vernichtende Untaten. Systembedingter Unsinn.

Zeit, damit aufzuhören.


Mittwoch, März 25, 2009

Zwischenruf


Mir heute aus der Tastatur geflossen:


Vorurteile muss man bis zum Erweis des Gegenteils pfleglich behandeln.

Dem ist nichts weiter hinzu zu fügen. Allenfalls ein Zitat der zeitlebens aufdringlichen Dichterin Else Lasker-Schüler, die dereinst behauptete: "Gut seine Feinde zu kennen, selbst wenn man sie erfinden muss!"

Enfant terrible und tatsächlich meine "mentale" Ziehmutter - aber das ist eine andere Geschichte. Erinnert mich bitte daran, von ihr, dem Cafe Odeon, Wuppertal und der Buchhandlung Dr. Oprecht mal zu schreiben.

Dienstag, März 24, 2009

Going blind - oder wie mit der Krise umgehen?


Immer noch finde ich in den Themen diverser Foren auf Xing.de klassische Durchhalte Parolen: "Mit Optimismus die Krise angehen". Als ob alles der eigenen, inneren Einstellung geschuldet sei. Und es eines trotzigen "Jetzt erst recht!" bedarf. Als ob man nur die Ärmel aufkrempeln müsse, die inneren und äußeren, um wieder da zu sein, wo man vormals mal war.

Das wird nicht geschehen. Das wird gar nicht geschehen, dass wir wieder dorthin kommen, wo wir einmal waren. Und das ist gut so. Denn festhalten müssen wir: Auch das Finanzwesen hat einen "hydrologischen Bruch" erfahren. Unvorstellbare Massen an Geld und Finanzmittel wurden bewegt und so manche Existenz, so manches Haus ist dadurch ins Rutschen gekommen. Noch ist gar nicht klar, wo wir damit hinkommen werden.

Erst langsamt setzt sich die träge Masse in Bewegung und wir ahnen: Kurzarbeit wird kein vorübergehendes Mittel sein, um den dortigen Prozessen dauerhaft begegnen zu können. Entlassungen - das unschöne Wort, geistert durch die Poren der Belegschaft.

Wen wird es treffen? Wen nicht? Gewinner - Verlierer. Das wird es so nicht mehr geben können. Die Aufteilung in einen Arbeitsmarkt, der noch funktioniert und einer Menge alimentierter Arbeitsloser wird je länger je mehr nicht mehr funktionieren können. Die De-Solidarisierung, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, ist an ihr Ende gekommen.

Alle werden betroffen sein.
So oder so. Keine Flucht möglich.
Wir werden sehen.

Möglich war es nur, weil man die Zukunft verzockt hat. Preise und Kurse entwickelten sich nicht am Realwert, sondern am hypothetischen Wert in einer noch unbekannten Zukunft. Diese meinte man mit Gewinn schon heute in Zahlen verrechnen zu können. Dieser Finanzmarkt war eine inverse Eschatologie, die Zukunft nicht gelten ließ, wo sie nicht monetär schon heute konvertierbar wurde.

Das gute Ende vorausnehmend, zahlte man Preise, die morgen erst sich einstellen mussten. Zukunft wurde zum Grundstoff aller Spekulationen. Und - Vertrauen. Denn ein solches System funktioniert nur, wenn andere bereit sind, darauf Wetten zu tätigen. Wenn sie vertrauen auf das, was sie dort tun. Wissen dagegen war entbehrlich.

Inzwischen sind beide Grundstoffe redlich verbraucht.

Die Zukunft schrumpft nun in die Gegenwart zusammen. Das Wort vom Überleben gewinnt an Gewicht. Während früher allenfalls Gewinnstrategien denkbar waren, geht es heute mehr und mehr ums Überleben. Das des Individuums, das eines Unternehmens, aber wohl doch viel mehr der ganzen Gesellschaft.

Werden wir morgen noch so leben können, wie wir es heute tun?

Ein Gutes hat diese Krise ja: Die Ritter der Zukunft kehren geschlagen zurück. Die Schlachten sind allesamt verloren. Die Zukunft bleibt erst mal verzockt, das Vertrauen verspielt. Jetzt muss der Staat ausrücken, um das Heute gerade noch zur retten.

Das Morgen wird unsicher.
Der Puls wird spürbarer.

Das Heute bekommt eine andere, drängendere Bedeutung. Es ist, als würde Adrenalin in die Adern schießen und die Menschen langsam erwachten. Als wäre das Wort "Überleben", was man allenfalls für die Hungerkatastrophen Afrikas noch gelten lassen wollte, nach Deutschland zurück gekehrt.

Dieser Zustand langsamen Erwachsens kann man durchaus begrüßen. Aber es ist nicht ausgemacht, wohin es damit geht. Es wird nur klappen, wenn man die Gegenwart und damit auch den Nachbarn neu wert schätzen lernt. Solidarität wird ein Schlüsselwort des Kommenden werden - dass man hier und jetzt lernt, das Vorhandene zu teilen. Dass man stehen bleibt und das Heute zulässt, anstatt es schon wieder in Zukunft zu transformieren.

Ich persönlich sehe gute Ansätze dazu, der Krise anders zu begegnen als mit Apellen und einen trotzigen Weiter So. Das blinde Ausgreifen auf eine Zukunft, die so nie geschehen wird, hat bald aufgehört.

Die Zeit kehrt ins Heute zurück.
Und macht sie voller denn je.

Wert - voller.



Donnerstag, März 12, 2009

Gestern sah ich sie wieder ...


Man kennt es: Aus den Augenwinkeln sieht man ein Bild, flüchtig bevor man den Blinker setzt und abbiegt. So ist es mir gestern ergangen, mal wieder und doch blieb dieses Bild länger - fast einen Moment still stehen.

Denn
Da war sie wieder.
Dieser Frau mit den grauen Haaren.
Der roten Wetterjacke und den Sportschuhen.

Ich hatte sie schon ein paar Mal gesehen, eher beiläufig aber dennoch. Was alles sieht man und sieht es doch nicht? Das Auge und unsere Wahrnehmung selektiert und das ist auch gut so, sonst könnten wir die Unmenge an Eindrücken nicht verarbeiten. Ein gut funktionierendes Gehirn zeichnet sich daher durch diese Leistung aus: Informationen so bereit zu stellen, dass sie zu verarbeiten sind. Das gilt für viele Phänomene.

Ein Klient bei mir zum Beispiel konnte das nicht leisten. Jedes Mal wenn er kam, konnte er mir aus dem Stand mindestens 15 Dinge nennen, die sich seit seinem letzten Besuch im Zimmer verändert hatten: "Die Kanne stand nicht da, die Tasse ist neu, das Bild auf dem Bilderhalter war anders, die Steine in der Schale wurden verändert .... " Unfassbar, wie schnell das alles in einem Blick zu sehen war. Und unfassbar auch, wie ungefiltert und klar er es erkennen konnte.

Anders herum: es gibt Wahrnehmungen und Gefühle, die wir verdrängen wollen. Die mit unliebsamen Gefühlen wie Schmerz, Trauer oder gar Schuld verbunden sind. Wobei Schuld kein wirkliches Gefühl ist, sondern eine Melange unterschiedlicher Prägungen und Einstellungen. Aber man verdrängt es sowieso und nimmt nicht mehr wahr.

In der Außenwelt geschieht das genau so: Wissen Sie noch, wen Sie heute morgen auf der Straße getroffen haben? Wer ihren Weg kreuzte, als Sie den Blinker gesetzt hatten? Nicht?

Nun, meine Erinnerung kehrt wieder und sie setzt wieder bei dieser Frau ein. Mit der roten Jacke. Den grauen langen Haaren und den Sportschuhen. Wie sie ihr Fahrrad über den Gehweg schob. Daran hingen unfassbar viele Plastiktüten. Ein Packesel, wie man ihn sonst nur aus der dritten Welt kennt.

Habseligkeiten - sagen wir dazu. Und das Wort klingt, wie es klingen muss. Die kleine Welt, in der wenig selig macht. Habselig, wie wir nun sind. Hier war es ein zusammen gesammeltes Leben in Plastiktüten an ein Damenfahrrad gebunden. Dazu die rote Jacke, die langen grauen Haare. Ein müder Blick, der nicht mehr Acht geben will und kann. Ein Weg ohne Ziel - irgendwohin.

Ein auftauchender Mensch - in einem Moment.

Alle Zuordnungen misslangen. Wohin und woher weigerte sich. Kein Ziel und keine Herkunft. Auf dem Weg, einfach da von rechts nach links. Ein kreuzender Mensch - der nicht einzuordnen war. Vielleicht sehen wir solche Menschen öfters, dachte ich noch. Vielleicht sind sie das, was die Kehrseite unseres Lebens beschreibt. Drop Outs, sagt man im Englischen dazu und doch sind und bleiben sie da - unsere Wege kreuzend. Erinnernd.

Wenn man die Augen und die Seele offen hält.

Ich persönlich mag diese Menschen. Nicht nur von ferne. Aber es tut mir gut, diesen Moment heute inne zu halten. Zu überlegen, ob ich sie wieder sehe. Ich glaube tatsächlich, es würde mich beruhigen. Innerlich sage ich dann: Schön, dass Du wieder da bist. Schön, Dich wieder zu sehen.

Und dann trennen sich die Wege wieder. Und doch bleibe ich berührt zurück. Sie wissen schon: die graue lange Haare, diese rote Jacke und Turnschuhe an einem mit Plastiktüten behängten Damenfahrrad. Das war sie.

Sollten Sie sie treffen,
seien Sie achtsam mit sich
und auch mit ihr.

Verdient habe es beide.






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P.S.: Eine Freundin sagte mir heute, dass im Englischen das Wort "Drop out" weniger geläufig sein und man von den "Down and Outs" spreche, was vielleicht besser passen mag, da diese Redewendung doch sehr an einen glaubhaften Prozess erinnert: den einer Presse zur Verschrottung von Fähigkeiten und menschlichem Leben .

Montag, März 09, 2009

Von Scharlatanen und anderen Gewinnlern ...


Krise ist ja so ein verlockendes Wort. Und sie bringt Menschen dazu, zusammen zu rücken, sich verbinden zu wollen, um nicht allein zu sein gegen das Grummeln, was sich am Horizont abzeichnet. Dabei scheinen neue Tugenden sich auszuprägen: anfängliche Zurückhaltung weicht der Vertrautheit, Skepsis dem Wunsch nach Verbindung. Während Susanne Klatten als reichste Frau Deutschlands schon in diese Falle getappt ist, stehen woanders die Fettnäpfchen sperrangelweit auf.

Gerade für Versprechungen ist der Mensch empfänglich, weil er darauf angewiesen ist zu glauben. Glauben zu wollen, vertrauen zu wollen - gerade dann, wenn der Kopf nein sagen müsste und das Herz noch schläft. Irgendwie haben wir alle ja eine Ahnung, was gut und stimmig ist für uns und doch zugleich diese Sehnsucht nach Herzklopfen, Dinge zu wagen, die man sonst nicht getan hätte.

Diese Krise ist eine große Chance.
Gewiss, das ist sie.

In einer Fernsehsendung konnte ich letztens eine autistische Ärztin sehen; sie war unsicher in sich und doch ganz gefasst: eine Psychiaterin, deren kühler Blick und nüchterne Sprache so wohltuend war, fast emotionsfrei und dann doch mit so großer Hilflosigkeit gekontert, dass sie berührend wurde. Berührbar - eine Gratwanderung im Lande des nicht gefühlten Mit-Sich-Seins, was Autismus vielleicht treffend beschreiben mag. Ich habe diese Frau dort in diesen Momenten bewundert und beneidet, weil sie so klar und verletzlich war. Weil sie wusste, ganze Teile dieser Welt kann ich gar nicht erst wahrnehmen, aber ich setze mich dennoch hier hin, in diese Sendung und erzähle von mir.

Das war beeindruckend, weil absolut absichtlos. Das konnte auskommen ohne Versprechungen auf Rettung und Heilung, auf das große Danach. Da kamen kleine Wünsche zum Vorschein, die eigene Wohnung leben können, die Beherrschung eines Fahrzeuges. Alles in so wunderbar schöner Münze dargeboten, dass das Große verstummen musste.

DA WAR EIN MENSCH.

Ich kenne Menschen, die fühlen sich dagegen zu Höherem berufen. Die wollen große Räder drehen, anderen und vor allem sich selber zum Gefallen. Da geht es um eine "höhere Liebe" und "höhere Ordnung". Da ist immer ein Mehr und ein Weiter auf dem Plan - eine permanente Expansion, als wäre man von einer unbekannten Mission getrieben und ist es doch nicht. Auffällig bleibt dabei die Diskrepanz zu den kleinen und gehandicapten Menschen. Denen begegnet man in liebevoller Zu- und Hinwendung - Eleven gleich, die ihr wahres Leben noch erst vor sich haben. Solche Menschen setzen Gefühl gezieht ein, um sich zu bereichern. Helg Scarbi, der Giggolo der Susanne Klatten, mag nur ein Prototyp dessen sein, was an Scharlatanen heute frei herumläuft.

Neulich bin auch in eine solche Falle getappt: Da wo man mir mehr versprach, als man bereit war zu halten. Da wo die Expansion des Großen und Ganzen mehr zählte, als der sensible und respektvolle Blick und Umgang untereinander. Und - grotesk genug - das alles geschah dort, wo man selber noch unter dem Label "Coaching" antrat. Wo ich Wertschätzung erwartete, wurden mir Rechnungen gestellt. Wo ich Zeit und Arbeit investierte, sollte ich noch selber dafür bezahlen. Verrückte Zeiten. Perverse Implosionen. Die Selbstausbeutung als Beteiligungsmetapher.

Man muss erst geben, um dabei sein zu können. Zugehörigkeit entwickelte sich als letzter, eigener Wert. Das alles sind bekannte Chiffren, sektenmäßig dekliniert.

Letzlich ent-puppte sich das Pekunitäre als wahres Movens: sich auf Kosten anderer zu bereichern ist allerdings doch eine ganz andere Bewegung, als liquide untereinander in Austausch zu treten. Gleich berechtigt. Ohne vorab Eintrittsgelder zahlen zu müssen. Das zu verwechseln kann für die eigene Integrität tödlich sein. Susanne Klatten weiß davon.

Austausch, das bedingt die Gewissheit der eigenen Verletzlichkeit. Das Fraktale, dass sich in den Worten der autistischen Ärztin wieder fand, dieses sich riskieren wollen und nur für sich allein da sein können: Keine Rückendeckung. Nichts als sich selber zu Hand. Gleiche Augenhöhe und weiter nichts. Respekt als letzte Zuflucht.

Ich wünschte und hoffe mir, dass wir in der Krise lernen, die Scharlatane von den wirklich Berührbaren zu unterscheiden. Wer Authtentizität sagt und einfordert, muss noch lange nicht authentisch sein. Wer Liebe predigt, muss nicht lieben oder könnte doch nur sich selber meinen. Das zumindest ist das zu lernen - nicht nur von einem Helg Scarbi und all den anderen, deren Beutezug noch lange nicht aufgehört hat, sondern vielleicht woanders gerade erst anfängt.

Wenn es uns gelingen mag, den eigenen Mangel auszuhalten und mit sich selber gut zu werden, hätten wir eine neue Chance auf wachsende Gemeinsamkeiten. Auf guten Austausch, der nicht pekunitär verwertet werden muss. Auf eine Gemeinschaft, die Tragen kann.

Nicht darauf kommt es an, zu den Gewinnern zu gehören. Nicht darauf, große Räder zu drehen und unfassende Pläne darzulegen. Das ist die Sprache von Gestern, an der wir heute gescheitert sind. Auch und gerade pekunitär.

Vielleicht genügt es voll und ganz, den kleinen Kontakt zu halten, denNachbarn noch in die Augen zu sehen, um zu wissen: wenn es hart auf hart kommt, sind sie da. Wie sagte ein Martin Luther noch gleich: "Wenn Du in Not bist, so wende Dich an deinen Nächsten!" und schränkte doch wissend ein ".... so Du einen hast!"