Donnerstag, Dezember 07, 2006

Unerwarteter Besuch

Vorgewarnt war ich ja schon. Meine Nachbarin hatte mich informiert, dass die Polizei neulich da war und nach mir gesucht hätte. Und das nicht nur einmal. Irritiert schaute ich herum. War ich zu schnell über die Ampel gefahren? Oder gar bei Rot? Welches Gebot hatte ich übertreten und überhaupt, warum rufen sie mich nicht an? Oder schicken einen Anhörungsbogen? Vielleicht handelt es sich um eine notwendige Zeugenaussage oder irgendwas mit meinen Klienten?

Natürlich rattern alle Phantasien durch den Kopf. Aber eine Antwort bekommt man dort nicht. Und so vergingen noch einmal vierzehn Tage, bis sie heute tatsächlich vor der Türe standen. Nun, es ist kein angenehmes Gefühl, wenn auf einmal zwei Polizisten vor der Türe stehen. Zum Glück war ich ja vorgewarnt und wusste, dass es nichts Akutes sein könnte. Würden sie sich sonst so viel Zeit lassen? Sicherlich nicht. Also konnte es sich nur um eine Zeugen oder sonstige Aussage handeln. Aber dazu hätte man mich ja auch schriftlich anhören können. Wie immer, wenn man ein Knöllchen oder ein Bußgeldbescheid bekam.

Rocco wedelte freundlich mit dem Schwanz als sie sagten, sie wären dienstlich verpflichtet, bei mir vorbei zu kommen. "Worum geht es denn?" fragte ich zurück. "Das können wir so hier an der Türe nicht sagen. Haben Sie denn etwas Zeit für uns?" "Hm", dachte ich. Und gleich noch mal "Hm" hinterher. Das schien eine ernste Angelegenheit zu werden. Also überlegte ich kurz. Ein Klient hatte sich angesagt, den ich eigentlich erwartet hatte. Und wie zwei Klienten sahen diese beiden ja nun nicht aus. Trotzdem bat ich sie rein.

"Kommen Sie für einen Moment, aber ich habe gleich eine Beratung!", sagte ich, um sie über das mögliche Erscheinen eines Gastes vorzubereiten. Wir gingen ins Wohnzimmer und ich bat sie, doch Platz zu nehmen. Verlegen setzten sie sich. "Also, worum geht es denn jetzt?"

"Ja, wir sind von Amts wegen bei Ihnen. Da gibt es ein Schreiben aus Düsseldorf und dem müssen wir nachgehen." Düsseldorf, da war doch was in der letzten Zeit. Ja klar, ich habe meinen Talar dort vor dem Landeskirchenamt niedergelegt. Sicherlich, aber das war doch eine angekündigte, öffentliche Aktion. Hätte ich dafür das Ordnungsamt fragen müssen? So ganz sicher ist man sich ja doch nicht.


"Ja bitte .... ?" fragte ich und war nun doch gespannt auf die Auflösung. "Nun, diese Aktion von Ihnen da ... Ich meine, das konnte man ja auch in der Presse nachlesen ..." Stimmt, dacht ich. Es gab einen guten Bericht in der Rheinischen Post; der Evangelische Pressedienst hat dagegen schlecht und zum Teil unwahr berichtet. Aber wie sollte er auch anders können? "Ja, das ist ja bekannt," sagte ich. "War irgendwas damit nicht in Ordnung?"

"Verstehen Sie uns recht, Frau Kammann. Wir müssen von Amts wegen der Geschichte nachgehen. Also das Landeskirchenamt hat uns da einen Brief von Ihnen übergeben. " Aha, dachte ich, von daher weht der Wind! Mein Brief an Oberkirchenrat D. fand jetzt Eingang in eine polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlung. "Und das Landeskirchenamt sieht sich da bedroht und dem müssen wir natürlich nachgehen!" So welche sind das also. Was müssen die doch eine Angst vor Karin Kammann entwickelt haben. Wie tief muss sie das doch getroffen haben, dass da jemand seinen Gefühlen und seiner inneren Wut auch Worte gibt und verleiht. Und sich nicht scheut, dazu zu stehen.
"Ja, Sie schreiben da, dass sie mit einer Schrotflinte ins Landeskirchenamt gehen wollen." Nun lag der kopierte Brief an den Oberkirchenrat D. mit den gelb inkriminierten Stellen auf dem Tisch. Ein Beweismittel. Ein klassischer "corpus delikti". Der Anlass allen Übels. Eine Frechheit. Ein Drohbrief. Die Ankündigung eines Amoklaufes. Was auch immer. Der Zeigefinger des Polizisten ruhte auf dem gelb markierten Satz.

"Schauen Sie," sagte ich, "schauen Sie und lesen sie doch. Es handelt sich hier um die Schilderung eines Traumes." Ich zeigte auf den Text. "Ja, das sehen wir auch. Aber ... " "Mein Anwalt hat dazu auch schon explizit Stellung genommen." "Ja, ich glaube, das Schreiben ist dem beigeheftet," sagte der eine Beamte und begann in der umfangreichen Akte zu blättern.


Der andere rutschte etwas verlegen hin und her. Fast so, als wollten sie sich entschuldigten, dass sie überhaupt da waren. "Sehen Sie, da steht doch Traum und Phantasie. Und die wird man doch noch äußern dürfen in diesem Land? Also, worum geht es denn jetzt. Was wollen Sie von mir?"


Ja," begann der eine, "es ist so, wir müssen doch von Amts wegen dem nachgehen. Sie wissen ja ... " "Und nun ... ?" fragte ich. "Sehe ich so aus, dass ich Amok laufen würde und dann noch im Landeskirchenamt? Wissen sie, ich habe als eine der wenigen Frauen Zivildienst geleistet. In einem Ev. Krankenhaus den Wehrdienst verweigert Und das bewusst und absichtlich. Warum sollte sich daran etwas ändern? Und wenn Sie im Text weiter lesen, steht dort, das ich im Traum die Türen auftrete und dort auf menschen große Meerschweinchen treffe, die an überdimensionierten Schreibmaschinen sitzen. Gibt es die auch in Wirklichkeit? Und wenn ja, schießt man dann etwa darauf?"

"Nein das sicherlich nicht, Frau Kammann. Was wir glauben und wie wir das einschätzen, steht hier nicht zur Diskussion. Es ist nur, dass wir dem nachgehen müssen."


Aha, dachte ich. Aber wem wollen sie nun nachgehen? Meiner Geschichte der landeskirchlichen Heuchelei und der permanenten Vertröstungen, der uneingefüllten Versprechungen und der selbstherrlichen Arroganz, immer nur das Beste für mich gewollt zu haben. All diese einundzwanzig Jahre? Wohl kaum.

"Schauen Sie," sagte ich "das ist ein Traum und die Meerschweinchen dort im Text sind eine Metapher für die geballte menschliche Hilflosigkeit des Landeskirchenamtes, mit einem Menschen, der anders ist, adäquat umzugehen. Das Fazit ist einfach: Selbst für ein Wutszenario oder einen klassichen Amoklauf taugen diese Meerschweinchen nicht."

"Frau Kammann, darum geht es uns auch nicht," bekam ich als Antwort. Damit wusste ich zugleich, dass es nicht um die Exegese dieses Briefes gehen konnte. Wie auch, hier sass mir ja die Polizei gegenüber.
"Wir sind gehalten Sie zu fragen, ob Sie eine Schrotflinte besitzen."

Was?? Ich konnte es nicht glauben. Da schickt mir das Landeskirchenamt die Polizei nach Hause, um überprüfen zu lassen, ob ich eine Schrotflinte besitze? Unfassbar. Da wurde der Traum von denen flugs zur Realität gedrechselt. Eine Bedrohung geschaffen und aufgebaut. Schuldige benannt, die verhört werden müssen. Die hatten wirklich gedacht, dass ich eine solche Waffe besitze?

Wie armselig (= arm an Seele) muss ein solcher Verdacht doch wirken. Wie dumm und von wenig Menschenverstand. Eine Kirche, die ihre Pastorin im Ehrenamt des Amoklaufes verdächtigt, weil sie einen Traum und eine Phantasie schildert, in dem eine Schrotflinte vorkommt? Wie jämmerlich dumm und engherzig muss es dort zugehen, wo Menschen nicht mehr lesen können. Wo die Wahrnehmung sich verzerrt auf eine Bedrohung und man anderen nachstellen muss, um sich selber sicher zu fühlen? Da sind mir Meerschweinchen weitaus angenehmer.


"Nein," sagte ich lachend den beiden Beamten. "Eine Schrotflinte besitze ich nun wirklich nicht!" Dann stand ich auf und zeigte den Beamten die nicht vorhandene Waffe und sie überzeugten sich durch Augenschein, dass diese auch wirklich nicht vorhanden war. Was sie dann auch jederzeit bereit waren, anderen schriftlich zu testieren. "Somit wäre das geklärt!" sagte der eine, faltete die Akte zusammen, während der andere noch mal zu einer Entschuldigung ansetzte. "Lassen Sie es gut sein," unterbrach ich ihn. "Sie können ja nun wirklich nichts dafür."

Als sie zum Ausgang gingen, drehten sie sich um. "Entschuldigen Sie bitte abermals für die Unannehmlichkeit. Wir hoffen aber, das Vertrauen in Ihre Polizei haben sie dennoch nicht verloren." "Nein, das habe ich sicherlich nicht! Ich verstehe schon, dass Ihnen so etwas auch unangenehm ist." Als sie die Türe öffneten kam Rocco von oben runtergeflitzt, wedelte mit dem Schwanz und ich ließ ihn dann mit den beiden Beamten freudig nach draußen entkommen.
Aus dem Küchenfenster sah ich, wie der eine Beamten noch mit ihm spielte. Schön, dachte ich, wenn Hund und Mensch sich so vertragen.


P.S.: Wahrscheinlich wurde gleichzeitig das Landeskirchenamt mit einer Hundertschaft auf das Vorhandensein von menschen großen Meerschweinchen durchsucht. Kann sein, einige waren noch da.