Mittwoch, August 23, 2006

So viel Mensch im Augenblick

Gerechnet hatte ich nicht damit. Wenn schon mal bei uns die Klingel schellt, sind es meistens Vereine, die Geld sammeln wollen. Oder Kinder, die da vorgeschickt werden. Manchmal ist es auch unsere Nachbarin, wenn sie ein Paket für uns angenommen hat. Doch diesmal war alles anders.

Als ich die Türe öffnete stand ein älterer Mann vor meiner Türe. Rocco bellte, beruhigte sich aber seltsam schnell. Der Mann hielt seine Mütze in beiden Handen vor den Bauch. So wie es jemand macht, der es nicht gewohnt ist, irgendwo anzuschellen. Eine Geste der Verlegenheit. Der Bitte.

Ich kannte ihn nicht. Und bevor alle meine Bilder im Kopf abliefen, um diesen Menschen vor mir doch einordnen zu können, öffnete er den Mund und sprach: "Entschuldigen Sie bitte Frau Kammann." ... "Ja ??" antwortete ich. "Wie kann ich Ihnen helfen?" "Also das ist so," sagte er in einem eher stotternden Ton und dann auch einmal schwappte es einfach nur so raus. "Also, wie sie sehen bin ich ein alter Mann. Und da ist noch meine Frau. Und ich möchte gerne, dass Sie diese betreuen. Weil sie wird es brauchen, wenn ich einmal nicht da bin. Schauen Sie, ich bin 84 Jahre alt und nicht mehr ganz fit. Da gab es mal eine Splitterverletzung und auch sonst ... ich kann nicht mehr gut sehen ... und nicht gut hören ...."

Gerührt von dem Wenigen, was ich da gleichzeitig verstehen konnte, lud ich ihn ein: "Kommen Sie doch bitte rein!" Er hielt die Mütze immer noch fest in der Hand. "Ich möchte Ihnen ja nicht so viel Umstände machen, aber ich habe mir jetzt gedacht, jetzt muss ich bei Ihnen vorbei kommen. Wir wohnen hier schon einige Jahre und haben keine Kinder und der Neffe, dem ich alles mal zukommen lassen wollte, der hat uns auch seit Monaten nocht mehr besucht. Und meine Frau ... " Die Mütze blieb vor seinem Bauch, so als wolle er sich vor etwas schützen. "Sehen Sie meine Frau wird das nicht so einfach haben, wenn ich nicht mehr da bin und da wollte ich doch schon jetzt ... sie verstehen??" Seine Augen sahen mich an.

"Ja", sagte ich. "Ich verstehe Sie."

"Wissen Sie, in der Kirche sind wir auch schon lange nicht mehr. Die haben uns so enttäuscht und jetzt ist da niemand, der meine Frau begleiten könnte. Könnten wir denn mal zu Ihnen kommen. Ich meine, damit meine Frau Sie mal kennen lernen kann. Schon jetzt, wo ich ... " Sein Atem und Mut verstummte. Dann stand er da. Ganz still für eine Weile. Und noch eine Weile.

Es gibt Momente, die wie gedehnt sind bis in die Ewigkeit. Wo die Seele eine Aufnahme von einem Menschen macht, wie mit der Kamera. Ein inneres Bild, unvergesslich für alle Zeiten. So ein Moment wurde es nun. Ein unvergessliches Bild.

Dieser Mann da vor mir, wie er die Mütze immer noch hielt, die fragenden Augen und der Mund, der schmal geworden war, verschlossen fast nachdem doch alles jetzt heraus gepurzelt war.

So viel Mensch in einem Augenblick.

Es rührte mich mit welchem Vertrauen er zu mir kam. Wie er schellte und da stand. Wie er überlegt haben muss und sich auf den Weg gemacht hatte. Da stand er nun - hier bei mir und angekommen. Ein Mensch. Mehr nicht. Aber alles genug. Mehr als genug.

Als er gegangen war, fragte ich mich, ob wir nicht für diese Momente leben. Weit mehr als für die Aufgaben, die man sich selber stellt. Oder die einem gestellt werden. Die Kirche mit all ihren Verletzungen verblasste.

Ich schloss die Türe hinter ihm und streichelte Rocco. Na, noch so einer wie du, was? Wo sich ein Engel verlaufen hat. Und er wedelte mit dem Schwanz.

Dienstag, August 22, 2006

Nun ist es soweit ....

Klar war schon, dass sie es nicht machen werden. Aber versuchen, wollte ich es wenigstens. Daher strengte ich dieses Verfahren an - noch einmal vor der Verwaltungskammer der Ev. Kirche im Rheinland. Damals vor sieben Jahren bekam ich noch recht - gestern sah es anders aus.

Ich weiss nicht, in welchen Wahrnehmungen diese Kirche lebt. Seit genau 20 Jahren - damals als ich dem Ausbildungsreferenten Mehlhausen das Transsexuellengesetz auf den Tisch gelegt hatte - gehe ich in unregelmäßigen Abständen ins Landeskirchenamt. Und seit 20 Jahren denke ich, sie haben es nicht gelesen. Immer wieder kommt man sich wie ein Kind vor, das von Wohltat beschenkt wird. So auch gestern beim Gerichtstermin in Düsseldorf.

Das Ergebnis ist schlicht und bescheiden. Oder so wie es mein Anwalt benannt hat: Damit hat die Landeskirche sie offiziell als Nicht-Person erklärt. Nicht existent für das Leben der Kirche. Der finale Punkt ihrer jahrelangen Bemühungen, mich unsichtbar zu machen. Eine gender konvertierte Pastorin - ein Unding. Das darf es nicht geben im Raum der Kirche.

Trauer, Wut und Tränen mischten sich und ich war mir immer schon sicher, dass die Rückkehr in die Rheinischen Lande keine gute Lösung war. Vielleicht wäre Zürich besser gewesen. Vielleicht der lange Weg in die Fremde, damit ich ankomemn kann bei mir.

Was schmerzt: ein halbes Jahr lang habe ich die Pfarrvertretung in Uedem gemacht. Der Gottesdienst war bei mir für 40 Euro zu haben. Ein Stundenlohn weit unter dem der Saisonarbeiter, wenn man alles zusammen zählt. Und dann kann ich mich auf diese Stelle nicht mehr bewerben. Aus, vorbei. Nicht da. Vertreten ja, bewerben nein.

Damit sind alle Loyalitäten gerissen. Es gibt nichts mehr, was bleibt. Das Leben krempelt sich abermals um. Wären nicht Petra und Rocco da, der Tag wäre anders gelaufen. Sehnsucht nach Abbruch und Aufbruch. Altes hinter mir lassen. Frische Luft am Meer.

Jemand fasste die Theologie in einem Satz zusammen: Großes Problem, ein Mensch geht vorbei.




Dienstag, August 15, 2006

Antworten auf nicht gestellte Fragen

1. Das erste, was Du kurz nach dem Aufwachen tust?
Wecker abstellen, Radio an. Gähnen, aufstehen und den Hund suchen. Oder nicht aufstehen, weil er schon da ist. Hand lecken lassen. Streicheln. Dann Pieseln und zurück ins Bett. Dann erneut Aufwachen. Wecker anstellen. Radio aus. Dem Hund hinterher zum Frühstück.

2. Der erste Impuls nach dem Aufstehen?
Gestern war ein besserer Tag . Morgen kommt der beste.

3. Frühstück oder kein Frühstück?
Frühstück am Stück. Mit eigener Logistik, während oben die Dusche geht.

4. Nach welchen Kriterien wählst Du jeden Morgen Deine Kleidung aus?
Was da ist. Was ich vorhabe. Was ich anhabe.

5. Ein persönlicher Gegenstand ohne Funktion, den Du mitnimmst, wenn Du die Wohnung verlässt?

Manchmal den Autoschlüssel. Aber davon später mehr ..


6. Das erste, was Du tust, wenn Du wieder Deine Wohnung betrittst?
Den Hund aus dem Weg räumen. Ausgiebige Begrüßung wie bei Snoopy. Schlecken lassen. Manchmal in sein Ohr beissen (ja, das mag er, auch wenn andere anderes behaupten.)

7. Darauf hast Du Dich den ganzen Tag gefreut?
Austausch und Kommentare auf meinem Blog. Echoes from anywhere.


8. Das letzte, was Du vor dem Zubettgehen tust?
Zähnputzen. Computer aus. Socken aus. Telefon aus. Denken aus.

9. Dein letzter Gedanke vor dem Einschlafen?
Jedesmal derselbe: Ich stehe auf einer bunten Wiese, Schmetterlinge fliegen, Frühlingsluft. Dann die Stimme meiner Mutter: Komm rein, Essen ist fertig. Nein im Ernst, den letzten Gedanken vergesse ich meist über dem Einschlafen.

10. Träumst Du in Farbe oder schwarz-weiß?

Ich träume von Farbe in schwarz-weiß. Aber was weiß ich schon? Wahrscheinlich sind Träume anders als Fernsehen. Haben ein Nachsehen in der Seele. Und das in bunt – was sonst?


Freitag, August 04, 2006

Zu Recht finden

Es war nicht einfach, die letzten Wochen.

Ein Seminar nahm über eine Woche meine ganze Aufmerksamkeit. Morgens früh raus und abends noch später zurück. Rückfahrten mit Benz mit offenen Fenster um dreiundzwanzig Uhr bei neunundzwanzig Grad. Der Blick nur auf die Straße, die Bundesstraße achtundfünfzig, hinter Issum gerichtet. Mähdrescher zur Linken und Rechten, die irrlichterten taghell über die Äcker. Vielleicht kennen Sie es: nachts ist man gewillt, die Straße dort zu vermuten, wo die Lichter entgegen kommen. Zumal, wenn man so klar nicht mehr sieht, wenn man erschöpft und müde ist von einem anstrengenden Tag. Fünfundreißgkommavier Grad im Seminar Raum zwei. Da will man es einfach nur noch laufen lassen. Willkommen Straße. Willkommen Gegenverkehr, der mir den Straßenverlauf anzeigt.

Nur - was ist zu tun, wenn es sich dabei um die Ungetüme auf den Feldern handelt? Riesige optische Täuschungen. Null Orientierung mehr, sondern Graben rechts wie links? Wie, wenn die Straße dann keine ist und man unwillkürlich das Steuer verreißt, um nicht auf den Acker zu landen? Seltsame Begegnungen waren das mit den Dinosaueriern der Agrarökonomie. Ich kam durch, aber schweißnaß. Die Straße dort, wo ich sie nie und nimmer vermutet hatte.

Und dann war da diese Woche noch die Auseinandersetzung mit dem, was im Libanon passiert. Berührung immer wieder beim Thema Israel. Gewiß, Hebräisch habe ich gelernt. Damals vor über 20 Jahren an der Kirchlichen Hochschule zu Wupptertal. Habe mit Tusche meine Vokabelkarten gemalt, kleine Kunstwerke, die ich heute noch im Schrank aufbewahre. Wie Erinnerungen an glücklich, selbstvergessene Zeiten. Ikonen. Dann meine Reise nach Israel und die Erinnerung an Safad, ein kleines Dorf im Norden, wo Rabbis sinnierend im Park lagen, die Luft flirrend und die Thora geöffnet vor ihnen. Es ist schwer vorstellbar, dass dort nun über 70 Rakenten runter gegangen sind. Ohne Erinnerung bleibt das Leben blass. Ist Safed ein Ort wie jeder andere auch. Erinnerung - vielleicht das Wasserzeichen des Mitgeflühls. Ein beschriebenes Blatt, das man gegen das Licht halten kann. Anders als die nüchternen Nachrichten der Kriegsberichterstattung.

Die Lage wurde ernsthaft auch in den Internet Foren diskutiert. Auffällig blieb Empörung über das Massaker in Kana - das doch keine 60 Tote hatte, sondern "nur" die Hälfte hergab. Es gab Berichte, dass die Toten erst dann geborgen wurden, als die Presse versammelt antrat. Um Bilder zu machen. Um das Elend ausführlich abzulichten. Seit dem war Israel der Agressor und die Hisbollah keine Terrororganisation. Sondern es ging um den Krieg gegen Zivilisten. Interessant, dass jede Zivilistenfamilie 1000 Dollar erhält, für jede Rakete die bei Ihnen gelagert werden kann.

Was mich aber mehr denn je erschreckte war das Echo, Israel habe nichts gelernt aus seiner Vergangenheit und mutiere nun vom Opfer zum Täter. So als ob wir Deutschen alles Recht zur moralischen Empörung hätten. Ich schrieb daraufhin:

Eine bescheidene Frage: Ist es wirklich das einzige Ergebnis des Holocaust, dass wir dafür sorgen sollten, dass so etwas nie wieder passiert? Wer hat uns "Tätervolk" dieses Mandat gegeben? Wir selber? Und wenn ja, warum? Um zu verdrängen? Um uns ethisch zu entsorgen? Ich denke es wäre da mehr zu lernen als das, wenn wir diese dunkle Zeit betrachten. Ich halte diese Sichtweise für extrem verkürzend, zumal die Kinder, die sich distanzieren wollen und müssten, sich nicht mehr die Arbeit wirklicher Aneignung machen wollen. Denn nur angeeignete Geschichte trägt den Wert in sich und schafft es, sich nicht mehr zu wiederholen. Seien wir ehrlich: nicht wir haben Hitler besiegt. Er hat uns besiegt. Zuletzt wares es die Allirierten, die Amerikaner wie Russen, denen die Juden den Restfetzen Leben noch verdanken. Und wir - was USA, F, und GB und den Westen betrifft - die Demokratie. Aber erkämpft haben wir sie nicht. Nicht einmal in unserer Geschichte.

Antwort erhielt ich bisher nicht. Leider.

Man tut sich mit vielem so leicht hier. Was zugegeben schmerzt. Ein guter Artikel dazu findet sich von Broder im SPIEGEL. Und selbstverständlich auch bei Lila im Blogg. Letzteren musste ich sogar dem leitenden Redakteuer der Rheinischen Post empfehlen (Gedehard Uhlemann). Inzwischen ist Lilas Blogg zu einer kleinen Oase geworden und gut, dass sie nun drei Wochen in Urlaub gehen kann. Alternativ kann man noch Lizas Welt sich zu Gemüthe führen. (Kein Tippfehler)

Wie soll man sich in all dem auch zurecht finden. Und wie die anderen zu ihrem Recht finden? Ich geben zu, ich bleibe etwas hilflos zurück.