Montag, Mai 29, 2006

Mit Frauen den Ball flach halten

Staunen zog sich heute um mein Gesicht, als ich die Zeitung studierte. Zwar sind wir hier im ländlichen Raum, in welchem Männer mit Trecker prinzipiell Vorfahrt haben. Aber inzwischen ist die Emanzipation auch in der hiesigen VHS angekommen.

Erstaunt las ich, dass man eine italienische Internet Nacht für Frauen während der WM anbietet. Wer sich das bloß wieder ausgedacht hat? Man nehme etwas Rotwein, ein paar getrocknete Tomaten auf dem Vorspeisenteller plus einem freien Computer Raum und schon haben die Herren der Schöpfung Ruhe an der Fußballfront, während sich ihre Gattinnen eifrig gegenseitig farbige Urlaubsprospekte zuschicken.

Welch schöne Verführung!

Schon immer ahnten wir, dass der Aufenthalt vorm Computerbildschirm, nur "richtig" garniert, eine echte Alternative zum geselligen Austausch bei Fernsehen oder am Herd ist. Armes Frauenbild und arme Steuerzahler im Gelderland, die so einen Schwachsinn auch noch bezuschussen. Was aber tut man nicht alles, um während der Weltmeisterschaft in Beziehungen den Ball flach zu halten?

Ich sage: Das ist ein klares Abseits !!
Fragt sich nur für wen.


Montag, Mai 22, 2006

Durchblick erwünscht

Meine Augen, so habe ich das Gefühl, lassen mich mehr und mehr im Stich. Es fing langsam an. Beim Lesen muss ich die Zeitung weiter weg halten. Auch kleine Schriften auf Marmeladengläsern bereiten mir Mühe. Seither bleiben die Zutaten unidentifizierbar. Bevor es so weit kommt, bei irgend einem Versicherungshai einen Vertrag zu unterschreiben, der mich lebenslänglich kettet - nur weil ich das Kleindgedrucke nicht lesen kann - wollte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Augenarzt aufzusuchen. Was gar nicht so einfach ist.

Der erste erkundigte sich freundlich nach dem Jahr, in dem ich den grauen Star bekommen hätte. "Nein, ich habe keinen!", antwortete ich knapp und gereizt. Barsch kam es zurück "Na, dann sind sie hier ganz falsch. Wir machen nur noch grauen Star. Guten Tag! "

Nach etwas Zeit fand ich eine Frau Doktor, die mir einen Termin anbieten konnte. "Kommen Sie dann bitte pünktlich!" Gestern war es dann so weit. Die Sprechstundenhilfe erwartete mich. "Haben sie eine Überweisung?" Ich verneinte. "Macht 10 Euro in bar!" Ich zahlte und bekam zwei eng bedruckte Formulare plus Kugelschreiber in die Hand gedrückt. "Hier. Unterschreiben Sie!"

Mit etwas Glück ergatterte ich einen freien Stuhl im Wartezimmer und begann zu lesen. Prinzipiell unterschreibe ich ja nur, was ich auch gelesen habe. Zumindest bisher. Aber damit stand es ja nicht so gut. Die Augenärztin schien es zu wissen.

Formular eins entpuppte sich nach 10 Minuten als Einwilligung in eine Glaukom Vorsorge Untersuchung für schlappe 24 Euro inklusive Messung des Augeninnendruckes. Ob das teuer war oder nicht, konnte ich nicht ermessen. Das zweite beinhaltete ein unverbindliches Angebot für die Brillengläserbestimmung - direkt hier vor Ort für gerade mal 20 Euro. Macht summa 44 Euro Eintrittsgebühr, dachte ich. Gute Preise - gute Besserung. Aber ich wollte mich ja nur untersuchen lassen.

Ohne Unterschrift kehrte ich zurück. "Haben Sie unterschrieben?" "Nein", sagte ich. "Was soll denn dann gemacht werden? Wollen Sie die Glaukomvorsorge wirklich nicht?" "Nein !", bestätigte ich wiederholt. "Wollen Sie denn auch die Brillengläserbestimmung nicht?" "Gute Frau, ich habe noch keine Brillengläser, die man bestimmen könnte. Ich will erst mal wissen, was mit meinen Augen los ist. Ob ich eine Sehschwäche habe.", antwortete ich freundlich genervt.

"Dann unterschreiben sie bitte hier, dass sie das nicht wollen!" sagte sie und deutete auf die beiden Formulare. Mein verdutzter Blick brachte sie immerhin zu einer Erklärung: "Das ist, damit ich das der Ärztin angeben kann. Dann weiß sie, dass sie die Untersuchungen nicht wünschen. " Verwirrt und etwas verdattert unterschrieb ich. Seit wann muß man das Nicht-Wollen unterschreiben?

"Ihr Hausarzt heißt wie?", fragte die Arzthelferin. "Urban", sagte ich, "hier in Krefeld." "Wurban?" echote es mir entgegen. "Nein - Urban mit U wie Ulrich am Anfang." "Meinetwegen. Sagen Sie mir ihre Telefonnummer." Ich sagte die gelernte Zahlenkombination auf. Einmal, dann noch ein Mal. Zahlen sind in Deutsch nicht immer einfach, zumal wenn man es noch lernt. "So, das ist es dann. Kommen Sie dann mit ins Nebenzimmer, Frau Urban." Das Blut gefror mir in den Adern. "Ich heiße nicht Urban!!", sagte ich, aber da war sie schon mit meinen Unterlagen im Nebenraum verschwunden.

Zwei Minuten später saß Frau Urban gekrümmt auf einem kleinen Holzschemel an der Wand und schaute in ein wundersames Gerät. "Schauen sie bitte ganz gerade rein!" sagte die Helferin. Vor mir tanzten Zahlen in hellem Licht. Als die Untersuchung beendet war, fragte ich: "Was haben Sie denn jetzt bei mir untersucht?" Ihre Antwort war all-umfänglich: "Es ist genau das, was sie beim Augenoptiker auch bekommen." Aha.

Ich kehrte ins Wartezimmer zurück. Nach sechzig Minuten stiller Lektüre, nur unterbrochen von dem Aufschrei meiner Nachbarin "Wann komme ich endlich dran, ich seh schon nichts mehr. Die Tropfen wirken doch nicht ewig." kam auch ich an die Reihe. Frau Doktor saß im weißen Kittel mir gegenüber. Sie streckte die linke Hand mir entgegen. "Blombach!" sagte sie. "Es ist die linke. Die rechte ist operiert!"

"Da habe ich kein Problem mit!" antwortet ich freundlich und traf wohl den falschen Ton. "Warum sind Sie hier?" fragte sie streng über ihren Brillenrand hinweg. "Ich denke, dass meine Sehleistung nachlässt. Vor allem beim Lesen." Die Ärztin blickte in die Unterlagen: "47 Jahre alt? Das ist die Alterssichtigkeit. Die kommt jetzt. Was meinen sie wohl, warum ich eine Brille tragen muss?" raunte sie mich an und tippte auf ihre Hornbrille.

Die eigene Brille musste für sie das Schlimmste sein, was ihr seit Jahren widerfahren war. Stellen sie sich vor: eine Augenärztin mit Brille! Unglaublich. Das ist für sie wie ein Chirurg mit Holzbein. Ein Internist mit Magengeschwür. Ein Gynäkologe mit Bodenbeckensenkung.

Dann wurde untersucht. Meine beiden geleisteten Unterschriften zur Nicht-Leistungserbringung hatte sie sehr wohl bemerkt. Es ging zu einer großen Apparatur mit rotierenden Scheiben, die schneller wechselten als jeder Formel1 Reifen. Klack !! Klack !! Klack !! Der Refrain aus studiertem Mund begleitete mich: Besser? Schlechter? Besser? Ja was denn nun?

Die Diagnose fiel eindeutig aus. "Ja. Sie haben eine Sehschwäche! Da können sie eine Brille aufziehen, wenn sie das möchten und damit besser sehen. Das ist kein Problem. " Und dann, als wäre ich allein an der Misere ihres kümmerlichen Daseins zwischen veralteten Apparaturen und einer Hornbrille schuld: "Die Optiker machen sowieso den größten Reibach, was soll das hier?" Schlußendlich sähe sie es nicht ein, mir eine Brillenverordnung auszustellen, an der sie nichts verdiene.

Sagte es, reichte mir die linke Hand entgegen, neigte den Kopf leicht, um über ihre Brille zu schielen, und sagte: "Sie verstehen?" Ich verstand nichts. Rein gar nichts. "Na, dann kommen sie besser mal im Oktober wieder. Bis dahin wird sich ihr Zustand sicherlich verschlechtert haben. Dann können wir ja mal eine exakte Brillengläserbestimmung machen. Aber nur, wenn sie es auch wollen. Guten Tag!"

Da stand ich da. Dass ich eine Sehschwäche hatte, war nun offziell bestätigt. Mehr auch nicht. Nun muss ich zusehen, wie ich den Durchblick behalte. 20 Euro habe ich seit gestern zur Seite gelegt. Ich fürchte, das reicht bei weitem nicht.


Hier ein Test für Sie. Wenn Sie die Zahl sehen, haben Sie den zu entrichtenden Betrag richtig erkannt. Wenn nicht sollten Sie dringend zum Augenartz!!

Mein Gott Agatha ...

Es war mal wieder der dorfübliche Zufall, dass ich Frederike neulich auf meinem morgendlichen Gang mit Rocco traf. Im Gegensatz zu sonstigen Begegnungen sah sie diesmal kreuzunglücklich aus. Ihr gewohntes "Na, auch mal wieder mit dem Hund raus?" kam gänzlich schwach daher.

Das Problem stellte sich schnell heraus. Es hieß Agatha. Und Agatha brütete nicht mehr bei ihr. Wo sie es doch schon seit über sieben Jahren tat. Jedes Frühjahr und nun auf einmal nicht mehr. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, was ihr passiert sein mag. Wahrscheinlich ist sie sogar umgekommen!" sagte sie atemlos.

Na ja, dachte ich. Sieben Jahre sind schon eine lange Zeit für eine Ente. Auch bei brütenden Enten scheint es das verflixte siebente Jahr zu geben. Zeit zur Trennung, Zeit neues Ufer kennen zu lernen. Denn auch Enten wollen leben. Und nicht nur bei Frederike, die zugeben sehr rührig für ihre Kleinen war. Eine Entenmama aus Passion.

"Und jetzt halt Dich fest .... " unterbrach Frederike meine Gedanken. "Da gehe ich doch bei meiner Nachbarin vorbei und schaue über den Zaun ... und - was sehe ich da? " Na, was sollte sie dort schon sehen, dachte ich und hatte allenfalls Wäscheleinen und Blumenbeete im Sinn, da fuhr sie ungehemmt fort: "Genau - meine Agatha im gemachten Nest!! Bei meiner Nachbarin !!! Auf der Terasse !! Und die, die sagt mir das noch nicht mal! Stell Dir sowas mal vor !! Wo leben wir denn hier!"

Gute Frage, dachte ich noch. Agatha hatte wohl eine eigene Wahl getroffen. Vielleicht revolutionär für Wachtendonk, aber normal bis verständlich für brütende Enten. Und so kam, was kommen musste: Die Beziehung zwischen Frederike und ihrer Nachbarin - sonst immer beste Freundinnen - sackte auf den Gefrierpunkt. Kein Wort mehr, kein Gruß auf der Straße. Nichts. Nur eisiges Aneinander-Vorbei-Schauen. Zugleich wurde von Frederike die ganze Straße informiert, wie niederträchtig erfolgreich der Abwerbungsversuch doch gewesen sei. Und auch - wie schrecklich untreu Enten sein können.


Als ich Frederike fragte, ob sie denn mal nachgeprüft habe, ob es denn wirklich auch Agatha sei, die da brüte, antwortete sie: "Nein, wieso denn?" "Nun, es könnte ja auch eine andere Ente da drüben sein. Agatha könnte eines natürlichen Todes gestorben sein."

Also schellte ich bei der Nachbarin, Frederike im Schlepptau. Freundlich wurde geöffnet. "Ja bitte?" Ich erklärte die Situation und zwei Minuten später standen wir auf der Terasse vor der Ente, die unschuldig vor sich hin brütete. "Nun, ist das Deine Agatha oder ist sie es nicht ?" fragte ich inquisitorisch.

Frederike wirkte befremdet. "Nun, wo ich sie mir jetzt so genau ansehe", stotterte sie. "Also da oben den weißen Fleck am Hals, den hatte sie wohl nicht. Aber ich kann mich irren ... " Aha. "Und auch sonst .. Nein, das ist nicht meine Agatha !!", sagt sie.

Gerade als ich dachte, der Frieden wäre in Wachtendonk wieder hergestellt, fasste sich Frederike, sah die Nachbarin durchdringend an und sagte völlig unvermittelt: "Du Luder !!! Du hast mir hier eine andere Ente hingesetzt. Nur um mich zu ärgern. Sag, was hast Du mit meiner Agatha gemacht? Sag, hast Du sie umgebracht ??? "

Vorurteile sind sehr hartnäckig hier. Vieles auf dem Dorf lebt davon, sie wieder und wieder bestätigt zu sehen. Man tut eine Menge dafür, dass die Welt so bleiben kann, wie man sie hingezimmert hat. Und das gilt nicht nur für entlaufene Enten, wie man sich denken kann.

P.S.: Neulich sah ich Agatha auf der Niers. Zumindest denke ich, sie war es. Sechs Junge hatte sie bei sich und schien sich ihres Lebens und Nachwuchses sichtlich zu freuen. Schön dachte ich noch und beschloss, zu schweigen.

Samstag, Mai 13, 2006

Babylonische Steilvorlage

Endlich haben die Fans gesprochen und einen neuen Slogan für den Mannschafstbus der Fußball Nationalmannschaft gefunden. Man hätte lange überlegen können, man hätte sogar etwas mehr nachdenken können. Aber die Mediokratie hat nun auch beim Fußball eingezogen und wer die Massen kennt, der kann ihnen gerne das Wort erteilen.

Die Masse braucht griffige Slogans.
Das war in Deutschland schon immer so.

Selbst der Papst Ratzinger, alias Benedikt der XVI, hat das erkannt. Zusammen mit der BILD Zeitung kam das berühmte "Wir sind Papst" zu Welt. Nun sind WIR Papst. Und WIR sind Deutschland. Ja, Du und ich. Und auch Ali an der Ecke ist Papst. Wenn er denn eingebürgert wurde. Er ist auch Deutschland, das so vielfältig ist wie ein gut gebügelter Faltenrock.

Und jetzt das: We are football.

Eine schlichte, einfache Botschaft, vor der andere Nationen nur erstarren können. Die Deutschen mal wieder. We are football - so könnte es auch der junge Beckenbauer es seiner Mama erklärt haben, als er mit ihr die Fith Avenue herunter lief. Das ist die harmlose Version.



"Geh, da schaust her. Da kumma wir Deutsche und müssen die Amerikaner erst beibringen, was football wirklich ist." Sagte es und vergaß, dass Fußball doch in den Staaten Soccer heisst. Und so kam es zu der folgenreichen Verwechslung.

Die Gesellschaft für Deutsche Sprachforschung, die ich anschrieb, erklärte sich allerdings nicht für zuständig.

"Warum braucht dieser Bus einen englischen Slogan, der noch schlechtestes Englisch ist? Aufgeklebt ist: We are football. Klingt nach Douglas. Come in and find out. Was auch kein Engländer sagt. Ich bitte dringend um Aufforderung an Herrn Beckenbauer und andere, diesen Slogan zu ändern. "

Als Antwort erhielt ich:

"Die Sprachberatung der Stiftung Deutsche Sprache beantwortet Anfragen zur Herkunft, Bedeutung und Verdeutschung von Anglizismen. Ihre Anfrage trifft daher nicht unseren Arbeitsbereich. Wir werden Ihre Anregung jedoch aufnehmen und an die zuständige Stelle weiterleiten."

We are ahnungslos. Sozusagen.

Na dann sage ich nur - bloß den Ball flach halten und die Klappe dazu.


Montag, Mai 08, 2006

Verordneter Unsinn

"Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie früher mal war", sagte Karl Valentin und traf auch heutige Nägel auf den Kopf. Zumindest, wenn man sich den Zuwachs an sinnloser Regulierung betrachtet, mit denen die heutigen Sozialsyteme "zukunftssicher" gemacht werden sollen.

Als ich neulich bei meiner Gynäkologin in Mülheim Ruhr war, um mir mein Hormonimplantant abzuholten, hieß es völlig unvermittelt: Es gibt nichts mehr. Niente. Rien na va plus. Die Kasse zahlt nicht mehr. Nun muss man wissen, dass mein Körper - im Unterschied zu 98% der Bevölkerung - keine eigenen Hormone mehr produziert. Ich bin also auf die Zufuhr von außen in Form der mildtätigen Krankenkassengabe zeitlebens schlicht angewiesen. Meine Gynäkologin ist ein staatlich lizensierter Hormondealer. Wenn man so will.

Dieses Mal klappte es nicht. So stand ich da. Implantate sind ja durchaus nützliche Dinge. Einmal per kleinem Leistenschnitt eingesetzt, halten sie ein halbes Jahr. Unauffällig und sehr zuverlässig. Sechs Jahre mache ich gute Erfahrungen damit. Und nun das!

Die Apotheke, die dieses Implantat auf Rezept für mich ordern sollte, beschied, dass generell alle ausländischen Präparate nicht mehr erstattet würden. So hätte man es ihnen mitgeteilt und daran halten sie sich. Nun zeigen Sie mir mal einen Apotheker oder Arzt, der nach solch einer Auskunft ins eigene Risiko gehen würde. Das macht keiner von denen, selbst wenn es sechs Jahre zuvor noch funktioniert hatte. Warum auch?

Also blieb ich von diesem Tag an - unversorgt. Sieh zu, wie Du klar kommst. Tage später begann ich mich genauer zu beobachten. Die Wechseljahre hatte ich ja eigentlich schon hinter mir, dachte ich. Aber nun war ich beunruhigt. So ein Hormonmangel kann ja einiges bewirken. Nachts kamen erste leichte Schweißausbrüche, dann meinte ich eine wachsende Gereiztheit bei jeder Gelegenheit fest stellen zu können. Andere, unwesentliche Probleme drängten sich völlig unmotiviert in den Vordergrund. Bange Fragen kreisen im Kopf: Werde ich jemals wieder Lust empfinden können? Und wenn ja, worauf? Eine kalte Wadenwickel? Ein frisch gebrühter Frauenkraut Tee? Sonst nichts? Mein Kopf fuhr gegen die Wand.

Eigentlich, so dachte ich, ist es ja auch unverschämt. Da wird ohne Mitteilung an Ärztin und Patientin einfach aufgrund geänderter Gesetzeslage eine Behandlung abgebrochen. Keiner kümmert sich um die Folgen. Hauptsache Anweisung durchgeführt. Das kann man auch als Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit betrachten. Aber wer nimmt im Zusammenhang mit meiner Geschichte das noch ernst? Wohl kaum deren einer.

Kurzum: meine Ärztin schrieb ein längeres Attest, welches die Notwendigkeit der weiteren Behandlung auswies. Dieses wurde mit einem ausführlichen, vierseitigen, sozialmedizinischen Erstgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen gekontert. Weiß nicht, wer das geschrieben hat. Den Arzt - wer geht schon freiwillig in den Medizinischen Dienst - habe ich nie zu Gesicht bekommen. Entscheid nach Aktenlage, so nennt man das heute. Da wurde Urteil hinter Urteil gelistet vom meist männlichen Mangelverweser.

Darüber vergingen zwei weitere Monate - ohne jedliche Behandlung. Ohne Bescheid. Ohne Ersatzdroge. Papier ist geduldig. Natürlich ist es nicht so, dass die Versorgung auf dem deutschen Arzneimittelmarkt unmöglich wäre. Aber es gibt keine hoch dosierten Präparate mehr. Die Pharma Industrie hat uns leider noch nicht als Zielgruppe entdeckt. Und solange das so ist, essen wir kontinuierlich mehr Tabletten als Jahre zu vor, nehmen wir klaglos doppelte Spritzenmengen in Kauf, allein um auf die nötige Vollversorgung zu kommen.

Menschen, dessen Körper keine Hormone mehr produzieren, sind von der Phramaindustrie, den Krankenkassen und Apothekern einfach nicht vorgesehen. Das hatte ich einzusehen.

Das mit dem Implant dagegen war schon eine feine Sache. Allein, es wurde in Großbritannien erfunden. Das war sein einziger Nachteil. Es kann in Deutschland ja nicht angehen, dass Briten etwas herstellen, was der deutsche Markt nicht bieten kann. Wo kämen wir denn da hin? Der Gesundheitsreform sei dank, stand ich nun schon im vier Monat im Trockenen und ohne Behandlung da.

Inzwischen hatte ich die Krankenkasse unterrichtet, sie ggf. rechtlich zu belangen. Man muss in solchen Dingen leider immer deutlich werden. Es kann ja nicht angehen, dass man Behandlungen ohne R$ücksprache einfach so abbricht, zumal ohne selber angeben zu können, was denn noch bezahlt wird. Meine Ärztin schlug mir vor, alle 14 Tage auf die gering dosierten Spritzen zurück zu greifen: zwei mal zwei Ampullen Progynom 10 mg intramuskulär - das macht 58 Euro pro Monat - mal sechs, da sind wir locker bei 348 Euro an vergleichbaren Behandlungskosten.

Ein Implant kostet gerade 210 Euro. Es hält sechs Monate. Zur Kosteneinsparung und Zunkunftssicherung ist es jetzt verboten worden.

Gestern schrieb mir die Kasse, dass sie eine Dinglichkeitsentscheidung ohne präjudizierende Wirkung getroffen hätten. Sie erlauben mir noch zwei Behandlungszyklen. Natürlich habe ich zuvor gesagt, dass andere Kassen das Präparat noch erstatten würden. Ein Wechsel der Kasse sei ja nicht mehr so schwer.

Nicht gesagt habe ich: dass man nebenan in den Niederlanden das Präparat wohl problemlos und ohne Schwierigkeiten verordnet bekommt. Und es ist dann als Auslandsbehandlung mit der hiesigen Kasse abzurechnen - völlig legal und normal. Venlo ist von Wachtendonk gerade mal acht Kilometer entfernt. Also viel näher als jene Krankenkasse von innerer Einsicht.

Die Zukunft kann also kommen. Schon lange ist sie nicht mehr das, was sie früher mal war. Aber immer gibt es Wege, die zeigen, dass andere weiter sind - indem sie schlicht menschlich bleiben.

Kirschblüten und Froschgesänge

Der Kuhdyck hat seinen Namen nicht zu Unrecht. Früher war hier köstliches Weideland. Satte Wiesen links wie rechts der Straße. Diese gesäumt von Kischbäumen, die im Frühjahr ihre Blüten schütten wie Schnee.Ein bezauberndes Schauspiel.



Geblieben ist der Bauernhof nebenan. Auch dem sieht man seine Herkunft nicht mehr an. Es hat sich vieles verändert, seit die Städter hierhin kamen und Häuser bauten. Die Kirschbäume sind geblieben, aber nicht alle.

Tatsächlich gibt es einen Ratsbeschluß dieser Gemeinde, alle Kirschbäume auf dem Kuhdyck zu fällen. Weil sie keine heimische Pflanze sind. Weil sie Arbeit machen. Weil es auch ein "Zu Viel" gibt. Die Blüten fliegen überall hin. Ein rosa Zauber auf dunklem Asphalt. Der Teich meiner Nachbarn gleicht einem rosarot schimmernde Teppich. Welche seltener Anblick im Spiel von Sonne und Wellen.

Die Natur schüttet ihren Reichtum hemmungslos aus und der Mensch kann es nicht ertragen.

Stück für Stück dieser wundervollen, jahrzehnte alten Bäume wurde gefällt. Im vorletzten Jahr waren es sechszehn auf einen Streich, da der hintere Teil des Kuhdycks neu gestaltet wurde: Parkbuchten und eine artgerechte Bepflanzung. Neu ist besser als alt. Und schließlich muss der Bürger auch sehen, wo das viele Geld hingegangen ist. Der Blütencharme ist längst verflogen. Statt dessen brennen nachts doppelseitige Beleuchtungen auf Steuerzahlerkosten.

Vor unserem alten Bauernhaus allerdings blieben die Bäume stehen. Und auch der Nachbar - der mit dem Teich - erträgt das roasrote Schimmern auf seinem Teich gelassen und guter Dinge. Die anderen Bäume haben noch Schonzeit, doch ihr Schicksal scheint besiegelt.

Wie zum stummen Protest haben sich nun Frösche hier breit gemacht, um mit lautstarken Werben Hochzeit zu feiern. Morgens ein Klang aus vielen Kehlen. Unglaublich laut, unglaublich verschwenderisch. Eine eindringliche Erinnerung an alles, was die Natur uns gibt.

Wir warten jetzt darauf, dass die Gemeinde gegen Frösche ausrückt. Per Ratsbeschluß oder Feuerwehr, ganz egal. Untypisch wäre das nicht für Wachtendonk, wo Reichtum gerne gezeigt, aber selten verschenkt und verschwendet wird.

Da sage ich doch lieber für das nächste Wochenende ein Kirschblütenfest an. Damit in Erinnerung bleibt, was vergänglich ist. Und seinen Platz finden mag. Die zehn Liter italienischer Rotwein, die wir eh nicht trinken könnten, sollen es mir wert sein.

Mit Kirschblüten garniert wird das eine ganz eigene Kuhdyck-Köstlichkeit.


Freitag, Mai 05, 2006

Schub ins Leben

Es war der 5. Mai 1959 um 2:30 Uhr, als ich als Zwillingskind in Essen das Licht der Welt erblickte.


Und die Glückwünsche, die mich heute morgen per Mail erreichten, sind ein guter Anlass, mal etwas mehr zu meiner Geburt zu schreiben.

Schon vor Jahren bin ich - 1992 während meiner Ausbildung im Predigerseminar Essen - meinen Wurzeln nachgegangen. Im Hyssenstift zu Essen, meinem Geburtsort, hatte ich damals meine klinische Seelsorge-Ausbildung absolviert.

Es beschrieb eine eigene Zeit, war ich doch in der HNO-Chirugie eingesetzt, der onkologischen Abteilung. Dort fanden sich Menschen, denen schon mal die Hälfte des Gesichtes abhanden kam und entfernt wurde. Diagnose gleichlautend und verhehrend: Krebs.

Spiegel zu benutzen, war auf dieser Station ein Tabu. In den drei Monaten meiner Arbeit dort sind sechs Menschen aus dem Fenster gesprungen. Weil sie sich nicht an Verbote halten konnten. Vielleicht war es keine gute Idee, diese Station in den fünften Stock zu legen. Die Fallhöhe ist beträchtlich, nicht nur die seelische.


In dieser Zeit habe ich mir die Mühe gemacht, meinen Geburtsort zu suchen. So einfach war das nicht, denn der damalige Kreißsaal wurde zum Chefarzt-Zimmer umgebaut. Das ist weder verwunderlich noch selten. Wo früher Leben gegeben wurde, sitzt nun der leitende Mann. Er besitzt diesen Ort. Wortwörtlich.

Als ich anklopfte, wurde ich freundlich hinein gebeten. Hinter einer Säule, so erklärte er mir bereitwillig, stand früher der Geburtstisch. Dort war auch ich zur Welt gekommen. Jetzt lag er zwei Schritte hinter dem massiven Edelholzschreibtisch, wo mir ein freundliches Lächeln mit Brille gegenüber saß.


Meine Mutter, so erzählte sie, hatte es damals leid mit den Zwillingen. Ein heißer Sommer. Stundenweise Treppen gestiegen sei sie. Damit die Wehen endlich einsetzten. Damit sie uns loswürde und in die Welt bringen könnte. Endlich ... nach Monaten. Schon frühzeitig war ich eine Last für sie. Mir sagte man, das sei normal in solchen Fällen. Zwillinge kommen eigen ins Leben.

Zur Geburt hat sich bei mir eine Legende entwickelt, in der seltsamen Mischung aus Wahrheit und Phantasie. Als das zweitgeborene Kind war ich von Anfang an verhindert gewesen. Dieses Gefühl kommt immer wieder hoch und offensichtlich daher, dass mein Bruder die Steißlage einnahm und mich - wortwörtlich - blockierte, mir im Wege lag. Ein Muster, dass mein Leben bestimmte. Es führte auch dazu, dass ich ihn immer wieder überholen wollte. Besser war, mich nicht einholen ließ.

Damals habe ich wohl all meine Kraft zusammen genommen und ihn dann „ins Leben getreten“. Das muß man heute hier und da noch mit ihm tun. Während ich die Kämpferin blieb, die für sich nicht mehr schaffen konnte, als da zu sein. Sich auf die Welt zu bringen.

Auch das ist eine ernüchterne Bilanz nach 47 Jahren Leben. Nichts Vorweisbares. Kein Job, keine Karriere. Noch nicht mal eine Rentenversorgung. Aber wenigstens ehrlich. "Es langt, wenn ich da bin!" - das wurde vor Jahren einer meiner Schlüsselsätze.

Nach einer gewissen Zeit der Erholung im Mutterleib kam ich ja auch zur Welt. Anders. Als zweites Kind. Manchmal denke ich, dass meine Mutter nur noch erschöpft war. Auch das zweite. Eine matte Freude samt unendlichem Glück, es nun hinter sich zu haben.


Natürlich entfalten solche Geburtsmythen im Leben ihre eigene Wirkung. Sie schreiben sich um mit den Jahren. Erzählen auch von Aufträgen, die man im Leben mitbekommen hat. Von den inneren Einstellungen, die schwer zu ändern sind. Die einfach da sind. Auch wenn man die Spurensuche beginnt.

Die Hebammenkunst eines Sokrates fand übrigens früh mein ungeteiltes Interesse. Was mich nicht überraschte. Es ist die Art und Weise, ja die Kunstfertigkeit, die Wahrheit oder Bestimmung eines Menschen durch fragendes Begleiten ans Licht zu bringen. Und als Junge geboren, konnte ich ja schlecht selbst gebären.

Sokrates war – nicht von ungefähr – auch ein Vorbild für eben jenen Kierkegaard, der mir später dann ans Herz wuchs und die Wende meines Lebens ermöglichte. Er behauptete, dass es neben der zwanghaften auch eine glückliche Wiederholung gäbe, und zwar eine nach vorne. So, dass man sich kopfüber in ein Abenteuer stürzen könne, ohne sich selber verloren zu gehen.

Das wurde mein Passierschein für die erneute Geburt. Dann als Frau. Dann noch mal neu. Und auch in einem Krankenhaus wie diesem hier. Immer mit der Hoffnung ausgestattet, dass ich nicht verloren gehen kann, sondern das Leben wieder finde. Dass man nicht nur einmal geboren wird, sondern immer wieder.

Was Wunder, dass Kierkegaard auch im Mai Geburtstag hat. Sie wissen oder ahnen schon wann? Genau, es war in diesem Fall auch der 5. Mai.


Donnerstag, Mai 04, 2006

Altenheim Abschiede

Abschied nehmen ist nicht einfach. Man hat es nicht gelernt und auch die Orte des Abschieds sind andere geworden. Als Petras Eltern vor drei Jahren starben, ging es bis auf den Grund. Zeit verdichtete sich. Nahm ab an Geschwindigkeit. Verlangsamte sich mehr und mehr.

Die Tage und Nächte am Krankenbett hinterher. Ihre Mutter haben wir lange begleitet. Berührungen, die wohl tun. Die Angst hinter jedem Atemzug. Der elende Kampf um den Rest von Leben. Nein, sie wollte nicht sterben. Wollte nicht gehen. Hatte Angst davor. So saßen wir jeden Tag an ihrem Bett. Petra blieb die Nächte über im Krankenhaus.

Sterben erzeugt auch einen Sog. Als wolle man einander nicht loslassen und die Liebsten so weit mitnehmen, wie es irgend möglich ist. Petra kam immer wie aus dem Wasser gezogen aus dem Krankenhaus. Aufgerieben. Stumm, ohne Worte. Das Zusehen langte. Die Anwesenheit. Die Gewissheit des Abschiedes. Du gehst und ich sehe dich nie nie mehr wieder.

Sterbebegleitung ist aufreibend. Dennoch schön, beglückend wenn ein Mensch loslassen kann. Einen kleinen Moment. Um dann wieder zu kämpfen anzufangen. Um jeden Atemzug, um jede Minute.

Zuvor kamen die beiden in ein Altenheim. Es ging einfach nicht mehr. Und das, obwohl Petra sie vier Jahre lang versorgt und bekocht hatte, obwohl alle mobilen Dienste da waren. Das Altenheim muss der Horror gewesen sein. Es gibt eine offizielle Seite und eine nicht-offzizielle. Letztere brachte Äußerungen zustande wie: "Beschwer Dich nicht hier. Wenn ihr wieder weg seid, müssen wir es ausbaden."

Gerade mal vier Monate blieben sie dort. Ein Zimmer mit zwei Betten. Krankenhausbetten. Ein Rufanlage und ein Fernseher, der permanent lief. Der Geruch von Sagrotan in der Luft und der hilflose Versuch, durch zwei mitgebrachte Sessel etwas Heimeligkeit herzustellen.

Der Abschied kam schnell. Und als sie im Krankenwagen weggebracht wurde, bedeutete Petras Mutter: "Hier komme ich nie wieder hin!" Ich denke, alte Menschen wissen von ihrem Ende. Entscheiden selber.

In Wachtendonk wollen sie nun auch ein Altenheim bauen. Schon seit Jahren versucht man es. Es klingt wie ein Prestigeobjekt der Kommunalpolitiker, alles Männer versteht sich. Unbedingt möchte man etwas vorzeigen können. Seht her, wir kümmern uns um die Alten. Die CDU war sich nicht zu schade, mit dem Slogan der hiesigen Müllabfuhr Schoenmakers dafür zu werben: "Heute schon für morgen sorgen."

Die Rechnung wird so nicht aufgehen. Zum einen werden wir zwar mehr Alte in Wachtendonk haben, diese gehen nur im absoluten Notfall ins Altenheim - Pflegestufe zwei oder drei. Der Verbleib wird intensiver und kürzer. Das rechnet sich für Wachtendonk und die 40 Betten nicht. Die Wachtendonker selber werden versuchen, so lange als möglich in den Familien zu bleiben. Und die "Angeschwemmten", wie man hier die Neuzugezogenen nennt, werden sich eher in die Städte zurück begeben, als vom Eigenheim ins Altenheim zu wechseln. Wer kann sich sowas denn vorstellen?

Der Tod kommt anders, als man denkt. Die Diskussion über ein Altenheim in Wachtendonk dient wohl doch der Profilierung der hiesigen Wahlverlierer, sprich CDU und SPD, die bei diesem Thema in neuer, großer Koalition zusammen arbeiten - immer noch mit den alten Konzepten.

Böse Zungen behaupten, sie sorgten damit am besten für ihre Zukunft.


Mittwoch, Mai 03, 2006

Knallhart ....


Langsam ist es an der Zeit von Rocco zu schreiben. Um genauer zu sein: von Rocco Pantalone di Acrotiri - wie er richtig heißt. Einem reinrassigen Lastrami mit großer Seele. Kurzum, meinem Begleiter durch den Tag, komme was wolle.

Es regnet draußen? Keine Frage, Rocco geht mit und führt mich Gassi. Schönster Sonnenschein - auch dann stupst seine
Nase pünktlich um 12 Uhr an meinem Bein, ein Blick aus braunen Augen, dem ich nicht widerstehen kann. Ist ja auch klar, da sich ein Engel in ihm verlaufen hat.

Und so gehen wir dann unsere Runden durch Wachtendonk. Wir sind bekannt. Und Rocco - das darf ich behaupten - sicherlich bekannter als ich, obwohl er sich nie zur einer Wahl gestellt hat oder Ratsmitglied gewesen ist. Wir grüßen und werden gegrüßt. Als Rüde hat Rocco es nicht immer einfach. Immer der Nase nach - das heißt eine Welt für sich entdecken. Manchmal wünschte ich, mit seiner Nase sehen zu können und dann stelle ich mir den Weg in bunten, psychodelischen Farben vor.

Es ist eine ganz andere Straße, auf der ich auf einmal gehe. Ganz anderes Aussehen finden Strauch und Bäume. Hier quillt unversehens ein intensives Gelb , breitet sich aus, bis ich nichts anderes sehen kann. Hinterlassen wurde es von Miro, dem übergroßen Golden Retriever. Dort schiebt sich plötzlich eine grüne Wolke ins Blickfeld, hinterlassen von Aimee, einem Terrierweibchen, in die Rocco verliebt war. (D.h. wenn sie läufig sind, verliebt er sich in alle zugleich. Freud nannte diesen Zustand - glaube ich - polymorph pervers. Was schön umschrieben ist. )

Enttäuschend finde ich, dass Rocco sich immer in die falschen Frauen verliebt. Aber ich kann sie ja nicht riechen und wahrscheinlich sehen sie mit der Nase weitaus attraktiver aus als in Wirklichkeit mit meinen Menschenaugen. Wie auch immer, seine Gänge durch Wachtendonk sind stets Streifen durch sein Revier. Rocco lässt sich sehen. Und er verhält sich auch so: Stolzer Gang und Schwänzchen schön hoch. Weich und geschmeidig.

Bei der Rückkehr geht es immer bei den Nachbarn vorbei. Es zieht und zerrt an der Leine und schwupps, ist er in der Nachbargarage verschwunden. Die Strucks sind die Bauern, die hier gewesen und heute immer noch da sind. Wenn sie von etwas was verstehen, dann sicherlich von der Hände Arbeit und noch mehr von Tieren.

Seit zwei Monaten haben sie angefangen, Rocco bei jedem Besuch systematisch zu füttern. Immer dann, wenn wir jetzt nach unserem Gang nach Hause kommen, geht es zu ihnen. Ein Zerren wie ein Reflex. Und rechts ab. Dann sitzt Rocco auch schon mal gerne für vier, fünf Minuten still vor der Türe. Was er sonst nie tut.

Sitzt und wartet. Bis diese Türe endlich aufgeht. Bis sich irgendwas bewegt. Bis man drinnen merkt: Rocco ist da und will etwas. Beim ersten Schritt Richtung Türe setzt ein Gejaule ein wie sonst nicht. Die Türe öffnet sich, geduckter Kopf, wedelnder Schwanz. Vorfreude pur.

Es folgen gemächlich, schlurfende Schritte zum Kühlschrank, begleitet von einem "Na, kommste mich auch mal wieder besuchen?" Auch wenn sie alles dafür getan haben, dass Rocco kommt, bleibt sein Erscheinen doch ein Zufall für sie. Dann öffnet sich die Türe vom Kühlschrank, eine Wurst wird herausgeholt. Das Messer liegt noch auf der Spüle. Zwischen Zeigefinger und Daumen wird die eine große Scheibe Wurst geschnitten. So groß, dass ich sie selber nicht vertilgen könnte. Dann kommt der alles entscheidende Augenblick. Die Scheibe verharrt einen Moment schwebend auf der Messerklinge - während Rocco sich unten vor Vorfreude auf die Hinterbeine stellt, schaut und sich zu drehen beginnt. Wie ein Zirkuskreisel. Gebannt von dem, was kommen mag.

Verlangen pur. Ein Moment der Erwartung - endlos gedehnt. Alles verschwindet und konzentriert sich für ihn allein auf dieses wippende Stück Fleisch. Mit einem lässigen Wurf aus dem Handgelenk fliegt die Wurst von der Klinge weg, klatscht laut und vernehmbar auf die Fliesen. Noch ehe sie nachfedern kann, ist Rocco da und hat sie - wo war sie noch gleich? - gänzlich verschlungen.

Unverstellbares Schauspiel. Gerade noch hieß es "Da nimm!" und schon ist alles vorbei. Das Messer in der Hand wendet sich erneut der Wurst zu, als ich heftig unterbreche: "Nein, das reicht jetzt. Der Rocco bekommt ja bei uns nicht mal so viel! Stop!! "

Ein kleiner Moment des Überlegens tritt ein, das Messer sitzt schon an der Wurstpelle - schnittbereit. Dann huscht ein Lächeln flüchtig über das Gesicht. Bauer Strucks beugt sich über Rocco, streichelt ihn mit seinen Händen, als wolle er sich vorab entschuldigen. Er sieht mich nicht an.

Als er hochkommt sagt er: "Was Rocco - die ..." und er deutet mit dem Messer auf mich," .... die ist knallhart!" Dann dreht er sich um und geht wortlos ins Wohnzimmer. Vorstellung beendet. Ich bleibe mehr als verdutzt in der Küche stehen. Rocco schaut mich an? War es das schon?

Wursttankstelle sollten sie draußen dran schreiben. Und nicht "Kartoffeln". Aber die verkaufen sie ja schließlich auch hier. Und da muss niemand mehr knallhart sein oder sich so freuen, wie Rocco auf die Belohnung.

Selig der Hund, der solche Wunder Tag für Tag erleben darf.





Dienstag, Mai 02, 2006

Sprachschlüssel der Jugend

Wer kennt es noch? Die schönen Abkürzungen unserer Generation auf dem Schulhof? Als wir heute morgen am Frühstückstisch saßen, kam es beiläufig wieder zu Sprache. Die Geheimschlüssel der Jugendzeit. Die kleinen Abkürzungen, für die wir je länger je mehr ein eigenes Faible entwickelt hatten.

Sie waren so typisch für unsere Generation. So unverständlich für jede andere. Wenn wir sie jetzt laut erzählt würden: Wer könnte sie denn verstehen? Wer könnte das mit einem Lächeln auf dem Mund nachvollziehen?

Die Versionen waren mannigfach:

Debede dehakape

So war die Eröffnung und es klang wie ein geheimer Zauberspruch, mit dem man andere Menschen nichts ahnend belegen konnte. Verzaubern, verhexen. Das war toll. Man sprach etwas, was kein anderer verstand oder verstehen konnte. Lachte in sich hinein, tat wissend und übermäßig klug. Es klang so, dass man immer im Recht war. Und man kam sich selbst unglaublich wichtig vor. Die Botschaft dahinter war meist schlichter Natur, aber nicht minder interessant:

Debede - Doof bleibt doof. Nur die Anfangsbuchstaben der Worte zählten für uns und ergaben das eigene Sprachmuster. Debede dehakape war dann: Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen.

Und gut war, wer das ganz schnell hintereinander sagen konnte. Heute morgen jedenfalls kamen uns diese kindlichen Späße wieder in den Sinn, unsere codierte Geheimsprache von so schlichtem Gemüt, dass sie durchaus wirksam war.

Natürlich gab es im Laufe der Zeit dann verschiedene Ausschmückungen, deren beste Langform ich hier auch nicht vorenthalten möchte:


Debede dehakape ukakau esavau - zusammen schnell ausgesprochen ungefähr so (Bitte mal laut mitlesen) Debededehakapeukakauesavau - was für ein Spruch ! Und natürlich hier noch die Übersetzung: "Doof bleib doof da helfen keine Pillen und keine kalten Umschläge selbst Aspirin versagt." Immerhin fand so das Wort Aspirin in unserem Wortschaft Aufnahme.

Wie langweilig dagegen klingt doch das mir heute überall entgegen schallende: Geil oder cool. Aber wer weiss, vielleicht finden sie hier noch Menschen, die mir eigenen Kürzel aufwarten können. Ich freue mich auf Kommentare und jugendliche Erinnerungen.

Ihr wisst ja: ka efesü jotka - Karin freut sich über jeden Kommentar!