Donnerstag, Februar 03, 2011

Kein Weg frei oder die Wiederholung. Von Suicid und Neuanfängen


Es berührt seltsam, wenn einer Ärztin der Prozess gemacht wird, die sich für ihre Patienten eingesetzt hat, wie selten eine. Dennoch wurde sie angeklagt, zuletzt wegen Mordes an den ihr anvertrauten Patienten. Der Fall Mechthild Bach ist ein besonderer. Offensichtlich auch, weil diese Ärztin große Hoffnung in die Justiz gesetzt hatte, eine Debatte klären zu lassen, bei der sie selber ihre Berufsauffassung und Ethik, sozusagen ihre Haut zu Markte trug. Es ging um den begleiteten Selbstmord, Suizid genannt. Was dürfen Ärzte tun und was nicht. Und ist ein Nicht-Tun, eine Unterlassung ebenso fahrlässig wie ein Handeln selber? Was ist im Falle einer klar diagnostizierten Krebs Erkrankung mit der Würde des Menschen vereinbar?

Biblische sieben Jahre lang lag sie in Prozessen vor Gericht, um selber eine Antwort zu bekommen auf ihre Fragen, Menschen in den Tod begleiten zu können. Die Würde nicht am Pulsschlag alleine fest zu machen, sondern an der Freiheit, ihm ein Ende setzen zu dürfen. Zuletzt wurde sie selber des Mordes angeklagt - eine diffuse Eskalation von Juristen, die selber nie mit solchen Fragen konfrontiert wurden.

Vorgeworfen wurde ihr, Patienten mit Schmerzmittel und Morphium getötet zu haben. Eine enge Grenze zwischen Palliativmedizin und aktiver Sterbehilfe. Die Fragen, die sich mit ihrem Tun dem Gericht stellte, wurden nun allesamt nicht beantwortet. Frau Bach selber wählte den von ihr bevorzugten Weg des Freitodes. Wohl der, die eine Ärztin ist und über genügend Wege verfügt, an Medikamente zu kommen.

Mich erinnert das an den viel zu frühen Tod von Jean Amery , dem Denker ohne Weltvertrauen - der für mich mit seinem Buch "Hand an sich legen - Diskurs über den Freitod!" manche sinnvolle Position vertrat und mir den Weg ebnete, selber Hand an mich zu legen - einmal durch den Spiegel zu springen und neu zu werden. Amery, geboren als Hans Mayer mit jüdischem Namen Chaim und den Lagern der Nazis entkommen, starb durch eigene Hand im Oktober 1975, nicht ohne sich selber zu bewahrheiten.

Nun also eine Ärztin ohne Weltvertrauen, die in kindlicher Naivität die Bestätigung für ein Tun erhoffte, dass nur jeder für sich selber verantworten kann. Und wie Amery, so fehlt uns nun Frau Bach.

Sören Kierkegaard allerdings verwies dort auf die teleologische Suspension des Ethischen und fand im Tun Abrahams (Gen.22), der seinen Sohn zum Opfer binden sollte, ein Paradigma ohnegleichen. Mir wurde es diese Geschichte zum Spiegel, durch den ich springen konnte, wurde Isaak doch nicht geschlachtet, sondern wieder gefunden und ins Leben geschenkt - ohne dass Abraham seinen Glauben verlieren musste. Diese Gratwanderung des Glaubens war mir in Zeiten meines Überganges tröstlich, hilfreich und geradezu verlockend: die Wiederholung - wie Kierkegaard es nannte. Dass man im Alten neu anfangen kann. Dass man sich selber neu empfängt - das ist etwas gänzlich anderes als das Neu-Sich-Inszenieren, was ich allenthalben bei vielen wieder finde, die sich auf den Weg eines Geschlechterwechsels machen. Nein - es muss schon ganz und gar gemeint sein, um sich neu zu empfangen.

Und darin, in dieser Radikalität, ähnelt der Schritt über die Geschlechtergrenzen hinaus, tatsächlich der Radikalität eines Jean Amerys oder einer Mechthild Bach, die für sich den Weg wählten, der ihnen angemessen erschien. Als ich im März 1988 die Aufklärung für meine Operation unterschrieb, stand da der immer noch lapidare Satz, dass ein solcher Eingriff ein hohes Mortalitätsrisiko bedeute - was nichts anderes bedeutet: Du kannst nur einmal durch den Spiegel springen. Und das Ziel steht von vornherein nicht fest.

Immerhin in diesen Dingen bin ich mir mit Frau Bach und dem Juden Chaim sehr einig. Sie sind und bleiben meine Geschwister, auch wenn ich sie vermisse.