Donnerstag, Oktober 26, 2006

Wie geht es jetzt weiter?

So wurde ich mehrfach gefragt. So frage ich auch mich.


Ehrlicherweise muss ich dazu sagen: Ich weiss es einfach nicht. Ich werde mit 47 Jahren nicht mehr viel Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben und daher muss ich mich auf mein Eigenes besinnen. Es könnte Schreiben sein – die Phantasie, mit der ich auch nach Wachtendonk gezogen bin. Die Phantasie, die mir lebbar erscheint. Gerade jetzt.

Vor Jahren hatte ich bei meiner Heilpraktikerin in Düsseldorf eine Hypnose Sitzung. Und da sah ich mich jung und froh durch ein tibetisches Hochtal gehen, es gab Gras und Blumen und in der Mitte einen Bach.

Dem folgte ich, bis er in einer Höhle versickerte. In diese konnte ich – durch einen Seitenspalt – herein klettern und ich fand eine große Truhe. So wie man sie klassisch in Piratenfilmen sieht, mit schweren Eisenbeschlägen versehen. Es war mir möglich, sie zu öffnen und ich fand dort mehrere Pergamentrollen, die aufrecht in der Truhe standen. Es müssen weit über fünfzig gewesen sein und ich nahm eine davon behutsam heraus und fand das Leben eines Menschen beschrieben. Ich blieb lange Zeit in dieser Höhle und war interessiert, all diese vergessenen Geschichten lesen zu dürfen. Die Zeit verging und ich hatte gerade mal zwei, drei Rollen angelesen. Als es dunkel wurde, beschloss ich schweren Herzens die Höhle zu verlassen. Schloss die Truhe und legte einen Stein darauf – meine Erinnerung, wieder zu kommen und weiter zu lesen und kletterte aus der Höhle.

Diese Traum, diese Phantasie, dieser Hypnose ist schon einige Jahre alt und sie wächst und begleitet mich. Und sie klingt in mir wie eine Einladung, Geschichten zu schreiben. Nicht unbedingt die meine, sondern mit meiner Wahrnehmung zu anderen Menschen zu gehen. Achtsam zu werden, einfühlsam und meinen besonderen Blick zu üben. Diese Rollen hätte ich nicht mitnehmen können. Diese Rollen eigneten sich nicht zur Beute und zur Vermarktung, das war mir auf Anhieb da. Sie waren eigentlich nur da, um dort gelesen zu werden. Um ihren eigenen Ort zu finden. Ihre Lesestube von Natur umgeben. Und es rührt mich heute noch, dass ich diesen Stein auf die Truhe gelegt habe – wie ein Versprechen wieder zu kommen. Wie ein Gedenken auf jüdischen Gräbern.

Das beschäftigt mich heute noch und es kommt zurück und ich schreiben hier und da kleine Mosaike von Menschen – so wie ich es ja auch in den Beerdigungsansprachen gelernt habe. Menschen, die man nicht vergessen darf oder sollte. Die wertvoll genug sind, ihren eigenen Raum zu finden. Das ist, was ich mir für mein weiteres Leben vorstellen kann. Das ist, was ich mir wünsche, dass ich schreibe und da bin. Seit Jahren schon habe ich an der Schreibmaschine gesessen und geübt. Briefe dieser Länge fallen mir nicht mehr schwer und früh Morgens ist eine sehr schöne Zeit zu schreiben. Wenn der Hund sich zu meinen Füßen legt, schläft und genügsam wird. Wenn die Sonne über die Dächer blitzt und ich den frischen Wind ins Zimmer bekomme.

Eigentlich habe ich schon immer Schreiben wollen. Meine kleine oder großen Fluchten kündeten davon. Ausblicke in Meersburg bei Beatrice, die mich damals aufnahm und mich in ihr Gästezimmer setzte. Anette von Droste-Hülshoff benachbart. Eine wunderschöner Blick nach Meersburg hinein. Das Locken des Sees. Oder bei meinem Freund Mark in der Schweiz, der da ein ganzes Haus für sich hatte, das er sorgsam von seinen Scheidungstrümmern geleert hat: ein weiter Blick über die Streuobstwiesen hinüber zum Säntis. Sonne, die mich verwöhnt und die Phantasie, dort einfach bleiben zu können und zu schreiben. Kochen, Wandern und Schreiben. Abends gemeinsam am Kamin sitzen. Mark, der als Religionslehrer arbeitet, erzählt mir von seinen Projekten, beiden – denen im Unterricht und seinen Exkursionen ins Fremde, in den Himalaya und die urbanen Wüsten. Beide waren wir so seltsam unbehaust in der Welt. Der Backofen öffnet sich für einen Auflauf und Saft steht bereit.

Oder auch mein kleines Zimmer in Überlingen. Über den Höhen des Sees und ganz in Holz vertäfelt. Eine Alleinerziehende suchte dort eine Mitbewohnerin und ich habe mir dieses verwunschene Försterhaus angesehen. Unglaublich, wie es gebaut wurde. Keine Tapete, nicht eine, sondern nur dieses wunderbar atmende Holz herum. Balken, die durch die obere Etage sich ziehen. Tragfähig, solide über Jahrhunderte schon. Jemand wusste sehr genau von dem Ort, wo es stand. Es bot eine fantastische Aussicht auf den See, über die Birnau hinüber auf die Schweizer Seite, ein Seelenkummerschlummerblick, der versöhnte und aufforderte, bei sich selber anzukommen.

Schreiben, das war schon immer meine Versuchung und als ich mich los lies und aufmachte damals, zum Ostern 1999 und an den Bodensee zog, klingte alles in mir. Da nahm ich all mein Hab und Gut und pferchte es zusammen auf einen 7.5 Tonner. Freunde schleppen es wie Gerümpel aus der Eifelstr. 22 zu Köln. Auf der Mitfahrzentrale nahm ich noch zwei Menschen mit in den Süden und so fuhren wir von Köln los, weit weg von allen kirchlichen Problemen. Los, einfach nur los in einen sonnigen Ostertag über die schwäbische Alb. Und ich kam an in Meersburg und Konstanz, fremd und doch zu Hause, meiner inneren Stimme ein Stück näher gekommen. Es war ein gutes Jahr dort in Konstanz. In Sicherheit vor der Kirche, dem engen Rheinland mit seinem Landeskirchenamt und eigenen Befindlichkeiten.

Zur Ordination hatte der Superintendent mir ein Buch geschenkt. Ich weiss nicht, ob ich davon erzählt hatte. Ich durfte mir, wohl auch aus Ermangelung eigener Kenntnisse, was wünschen. Und ich wünschte mir von Magriet de Moor dieses schöne Buch: Erst grau dann weiß dann blau. Die Geschichte eines Verschwindens wurde mir zur Ordination zugeeignet. Sicherlich wusste der Superintenden Leßmann nicht, was er mir da schenkte. Es geht um eine Frau, die spurlos verschwindet aus ihrer Ehe, ihren Beziehungen, ihrem Alltag. Und spurlos heisst tatsächlich, ohne eine Spur zu hinterlassen. Einfach weg. Und Robert, ihr Mann steht da. Nach zwei Jahren kehrt sie zurück. Wortlos ohne auch nur eine Frage zu beantworten, nimmt sie ihr vorhergehendes Leben wieder auf. Das war mein Ordinationsgeschenk.

So ähnlich fühlte ich mich damals auch, als ich an den See ging und niemandem Bescheid gab in der Kirche und Kirchenleitung. Als ich verschwand und mein neues Leben ausprobieren wollte. Ich traf auch auf Rose Ausländer, die nach Jahren zum ersten mal, von Zürich kommend, in Konstanz wieder den Fuß auf deutschen Boden setze. Die 1961 von dort dann übersetzte nach Meersburg, um den Droste-Hülshoff Preis zu erhalten. Und dann – völlig unüblich und kaum bekannt, ein Jahr in Konstanz blieb. Sich niederließ und schrieb. Auch sei schien wie verzaubert von dieser Idylle. Auch sie schien wie verhaftet und versöhnt von diesem kleinen Stück Niemandsland zwischen den Grenzen, wo keine Bombe jemals fiel und alles unberührt und heil erschien: eine Stadt, an dem der Krieg still vorbei gezogen ist. Mir sagte man, dass es eine List gewesen war, die Konstanz rettete. Dass man die Lichter brennen ließ, damit keiner der Bomber die Grenze zu Kreuzlingen erkennen konnte. Und so lief jede Bombe dort Gefahr, Schweizer Gebiet zu treffen.

Aber egal, Rose blieb dort und schrieb. Es war ihre erste Versöhnung mit einem Nachkriegsdeutschland. Die lyrische Berührung ihrer Seele, das Erkennen zaghafter Zugehörigkeiten, und sei es nur die Sprache, in der sie schrieb, dachte und webte.

So verschwand also auch ich nach Konstanz und kam zugleich an. Kam an mit meiner Phantasie zu schreiben, der Phantasie auch eine neues Leben auszuprobieren, einfach weg zu gehen, ohne jemanden Bescheid zu sagen. Ich musste raus, wenn immer ich nicht ersticken wollte. Und kam an und fand damals doch nicht den Mut, Ernst zu machen. Doch davon ein anderes Mal. Dann geht es um eine doppelte Entdeckung. Die Zürichs mit seiner handgreiflichen Exilantengeschichte und die von New York, den SubUrbs der Transgender mit Leslie Feinberg, einer kleinen Rabbinerin auf der WestSide, die mich zu Simchat HaThora einlud und auch von Alex, der 1999 schon begann, europäische Unternehmen wie Briefmarken zu sammeln.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Tja, ich staune darüber wie dieser Abschied von der Kirche dich "literarisch beflügelt". Wahrscheinlich ist "Schreiben" wirklich Deine Bestimmung, denn Dein mutiger und unkonventioneller Geist darf nicht länger in Kirchenmauern eingesperrt bleiben! Wer weiss vielleicht verkaufen wir ja irgendwann mal "Currywürste" oder sonst was verrücktes...... auf jeden Fall lassen wir uns nicht länger bevormunden! Das gilt natürlich auch für mich, denn Schule und Kirche ist doch DAS Traumpaar von dem wir uns verabschieden müssen.

Liebe Grüsse an Alle LISA