Freitag, Oktober 27, 2006

Du sollst Dir ein Bild machen

Kirchliche Beschlüsse haben eine eigene Diktion. Eine ganz besondere Sprache, kühl, inhaltsleer und doch treffend. Da tut es gut, sie lesen zu lernen und zugleich gegen das Licht zu halten, um das Wasserzeichen des Mißtrauen zu entdecken. Ein tiefes Mißtrauen gegenüber dem, was fremd und anders ist. Das sich nicht einpasst wie erwartet. Und vor allem auch ein Mißtrauen gegenüber sich selbst und der eigenen Verpflichtung als Gemeinde: dass man wirklich könnte, wozu man berufen ist. Dass man hält, was man verspricht. Dass anderes möglich wird.

Erst spät konnte ich auch den Brief des Presbyteriums zu Uedem lesen, den ich zuvor Petra stumm überreicht hatte, damit sie ihn las - stellvertretend für mich. Sie öffnete ihn draußen auf der Bank vor unserem Haus. Las und sagte nur: "Vergiss es". Ich nickte. "Hatte ich mir schon gedacht, als niemand anrief." Heute nun, über eine Woche danach , lese ich ihn zum ersten Mal selber. Nehme ihn in die Hand und zu mir. Es steht dort geschrieben:

"Sehr geehrte Frau Kammann,

das Presbyterium in Uedem hat sich in seiner Sitzung am 18. Oktober ausführlich über die Fortsetzung Ihres Predigtdienstes in Uedem beraten und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der diesbezüglich im Mai 2005 gefasste Beschluss aufgehoben wird.

Das Presbyterium hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, zumal ihre Gottesdienste in der Gemeinde geschätzt wurden. Allerdings hat Ihr Verhalten einigen Mitgliedern des Presbyteriums und nicht zuletzt Ihre Aktion vor dem Landeskirchenamt am 29. Sept. das Presbyterium bewogen, die Zusammenarbeit einzustellen.

Ihrem Wunsch nach einer Verabschiedung in einem Gottesdienst hat das Presbyterium nicht entsprochen. In der nächsten Ausgabe des Gemeindebriefes wird jedoch ein Artikel erscheinen, der auf Ihre Predigttätigkeit in Uedem zurück blickt.

Mit freundlichem Gruß
Joachim Wolff, Pfr."

Jene doch altbekannte Diktion. Es wäre wirklich nicht schwer gewesen, anders zu beschließen. Es wäre nicht schwer gewesen, anders zu schreiben. Sie konnten es nicht. Unterschrieben hat diesen Brief ausgerechner jener Joachim Wolff, mit dem ich in Heidelberg gemeinsam studiert habe. Der sitzt nun seit Jahren im Pfarramt, dort zu Büderich und weiß nichts von mir. Verwundert bin ich nicht, dass er unterschreiben konnte, ohne ein Wort mit mir zu wechseln. Er ist nun bestallt zum Verwalter der Gemeinde - bis ein neuer Pfarrer kommt. Aber - so ist es nun mal.

Merkwürdig bleibt schon, dass es immer mein "Fehlverhalten" ist, das erinnert, erwähnt und festgehalten wird in solchen Beschlüssen. Die andere Seite der Geschichte klappt komplett weg. Als ob ich nicht so elend lange Wege gegangen wäre, sondern einfach nur eine Fehlfunktion aufweise, die vor weiterer Verwendung zurück schrecken lässt. Ein Brain Bug: "Attention! This woman has permanent fatals errors." Blue Screen und "Please press Control and Escape!".

Also scheute man sich auch hier nicht, Ursache mit Wirkung zu verwechseln. Meine Talarniederlegung begriff man bei weiten nicht als meine Antwort auf den Versuch der Landeskirche, mir die Ordinationsreche zu entsagen - ohne Rechtsgrundlage. Meine Talarniederlegung war ein Angriff auf die Gemeinde. Sonst hätten sie es nicht erwähnen mussen.

Aber wie sollte man auch begreifen, wenn man nicht mal den Mut fand, mit mir zu reden? So vollzog man unhinterfragt genau das, was das Landeskirchenamt brauchte. Verschaffte jenen die Rechtsgrundlage, die sie zuvor entbehrten. Machte aus Unrecht Recht.

Das alles erinnert mich sehr an meine sog. "Abberufung" aus Chorweiler im Jahre 1996. Sie folgt sprachlich einem ähnlichen Muster. Dort schrieb der damalige Stadtsuperintendent Manfred Kock, der spätere Präses der EKD, über mich:

"Kompliziert ist der Fall deshalb, weil es kaum greifbare Fehlverhaltensweisen gibt, die Frau Kammann anzulasten sind. Es sind vielmehr atmosphärische Probleme, Irritationen, die ihr Auftreten in der Gemeinde auslöst. Aus der Gemeinde wird berichtet, sie habe wenig Gespür für eine Angemessenheit des Umgang mit anderen Mitarbeiterinnen. Diese reagierten teilweise verschreckt und verstört, wenn Frau Kammann mit Kußhänden begrüßt oder verabschiedet. Zudem, so schreibt die Gemeinde, gäbe es eine äußerst beklemmende Atmosphäre, weil Frau Kammann ihre persönliche Problematik auf andere Mitarbeiter ablädt. Daher hat das Presbyterium diese Situation für nicht länger tragbar erklärt."

Sie sehen: der Fehler liegt stets bei mir. Auch wenn er sich nicht immer verifizieren lässt, macht man sich ein passendes Bild. Das Urteil über solche hahnebüchenden Argumente kann ich getrost meinen Lesern überlassen.

Persönlich wurde ich in keiner der beiden Sitzungen angehört. Man machte, was in die eigene Welt sich einpasste. Das Mindeste in einem demokratischen Rechststaat wäre doch, wenigstens dazu angehört zu werden. So dachte ich. Das gönnt man selbst jedem Angeklagten im Prozess. Bei der Kirche und ihren Beschlüssen wie Urteilen sieht es da anders aus. Man soll sich ein Bild machen, damit die klerikale Welt unberührt bleibt.

Beide Stellungnahmen künden auch davon, dass ich predigen könne. Und es hinfort nicht mehr tun darf. Der Widerspruch ist als Luftmasche eingewebt. Bei Kock klingt es so:

"Persönlich habe ich den Eindruck, dass Frau Kammann auf der einen Seite hochbegabt ist. Sie hat, so habe ich mich einmal überzeugen können, eine ausgesprochen gute sprachliche Begabung und verfügt über die Fähigkeit, konkret und schlüssig zu sprechen."

Dass es auch anders geht, zeigt vielleicht zum Abschluss die Stellungnahme des Wachtendonker Bürgervereins, für den ich vor zwei Jahren als Bürgermeister Kandidatin in Wachtendonk antrat und am "schwarzen" Niederrhein immerhin 44,3 % der Stimmen bei der Bürgermeister-Stichwahl erhielt.

"Der WBV Vorstand ist von Karin Kammann vorab über alle sie persönlich betreffende Umstände, die zur Angreifbarkeit Ihre Person führen könnten, hinlänglich unterrichtet worden. Nach gemeinsamer Aussprache im Vorstand hat dieser sich voll und ganz hinter die Kandidatur von Karin Kammann gestellt und unterstützt diese auch weiter. Eine Diskussion ihrer Vergangenheit in der Öffentlichkeit halten wir weder für notwendig noch für angebracht.

Wir sind weiter der Überzeugung, dass bürgerliche Rechte und Wählbarkeit nicht daran geknüpft sind, durch welche persönlichen Schwierigkeiten und Entwicklung ein Mensch gegangen ist. Gerade das Meistern dieser betrachten wir als persönliche Reife, als menschliche Kompetenz und innere Wahrheit."

So etwas von der Kirche zu erwarten, wäre Illusion. Oder glauben Sie noch an die Auferstehung? Und wenn ja, warum?





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