Montag, Mai 22, 2006

Mein Gott Agatha ...

Es war mal wieder der dorfübliche Zufall, dass ich Frederike neulich auf meinem morgendlichen Gang mit Rocco traf. Im Gegensatz zu sonstigen Begegnungen sah sie diesmal kreuzunglücklich aus. Ihr gewohntes "Na, auch mal wieder mit dem Hund raus?" kam gänzlich schwach daher.

Das Problem stellte sich schnell heraus. Es hieß Agatha. Und Agatha brütete nicht mehr bei ihr. Wo sie es doch schon seit über sieben Jahren tat. Jedes Frühjahr und nun auf einmal nicht mehr. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, was ihr passiert sein mag. Wahrscheinlich ist sie sogar umgekommen!" sagte sie atemlos.

Na ja, dachte ich. Sieben Jahre sind schon eine lange Zeit für eine Ente. Auch bei brütenden Enten scheint es das verflixte siebente Jahr zu geben. Zeit zur Trennung, Zeit neues Ufer kennen zu lernen. Denn auch Enten wollen leben. Und nicht nur bei Frederike, die zugeben sehr rührig für ihre Kleinen war. Eine Entenmama aus Passion.

"Und jetzt halt Dich fest .... " unterbrach Frederike meine Gedanken. "Da gehe ich doch bei meiner Nachbarin vorbei und schaue über den Zaun ... und - was sehe ich da? " Na, was sollte sie dort schon sehen, dachte ich und hatte allenfalls Wäscheleinen und Blumenbeete im Sinn, da fuhr sie ungehemmt fort: "Genau - meine Agatha im gemachten Nest!! Bei meiner Nachbarin !!! Auf der Terasse !! Und die, die sagt mir das noch nicht mal! Stell Dir sowas mal vor !! Wo leben wir denn hier!"

Gute Frage, dachte ich noch. Agatha hatte wohl eine eigene Wahl getroffen. Vielleicht revolutionär für Wachtendonk, aber normal bis verständlich für brütende Enten. Und so kam, was kommen musste: Die Beziehung zwischen Frederike und ihrer Nachbarin - sonst immer beste Freundinnen - sackte auf den Gefrierpunkt. Kein Wort mehr, kein Gruß auf der Straße. Nichts. Nur eisiges Aneinander-Vorbei-Schauen. Zugleich wurde von Frederike die ganze Straße informiert, wie niederträchtig erfolgreich der Abwerbungsversuch doch gewesen sei. Und auch - wie schrecklich untreu Enten sein können.


Als ich Frederike fragte, ob sie denn mal nachgeprüft habe, ob es denn wirklich auch Agatha sei, die da brüte, antwortete sie: "Nein, wieso denn?" "Nun, es könnte ja auch eine andere Ente da drüben sein. Agatha könnte eines natürlichen Todes gestorben sein."

Also schellte ich bei der Nachbarin, Frederike im Schlepptau. Freundlich wurde geöffnet. "Ja bitte?" Ich erklärte die Situation und zwei Minuten später standen wir auf der Terasse vor der Ente, die unschuldig vor sich hin brütete. "Nun, ist das Deine Agatha oder ist sie es nicht ?" fragte ich inquisitorisch.

Frederike wirkte befremdet. "Nun, wo ich sie mir jetzt so genau ansehe", stotterte sie. "Also da oben den weißen Fleck am Hals, den hatte sie wohl nicht. Aber ich kann mich irren ... " Aha. "Und auch sonst .. Nein, das ist nicht meine Agatha !!", sagt sie.

Gerade als ich dachte, der Frieden wäre in Wachtendonk wieder hergestellt, fasste sich Frederike, sah die Nachbarin durchdringend an und sagte völlig unvermittelt: "Du Luder !!! Du hast mir hier eine andere Ente hingesetzt. Nur um mich zu ärgern. Sag, was hast Du mit meiner Agatha gemacht? Sag, hast Du sie umgebracht ??? "

Vorurteile sind sehr hartnäckig hier. Vieles auf dem Dorf lebt davon, sie wieder und wieder bestätigt zu sehen. Man tut eine Menge dafür, dass die Welt so bleiben kann, wie man sie hingezimmert hat. Und das gilt nicht nur für entlaufene Enten, wie man sich denken kann.

P.S.: Neulich sah ich Agatha auf der Niers. Zumindest denke ich, sie war es. Sechs Junge hatte sie bei sich und schien sich ihres Lebens und Nachwuchses sichtlich zu freuen. Schön dachte ich noch und beschloss, zu schweigen.

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