Dienstag, November 20, 2007

Transgender Remberence Day

Der 20 Nov. ist und bleibt eine besonderer Tag.

An diesem Tag wird weltweit der transgender Menschen gedacht, die verstorben sind. Die den Weg nicht schafften, die Opfer körperlicher und sexueller Gewalt geworden sind. In Deutschland kennen wir kein solches Gedenken.

Und doch ist es wichtig, um überhaupt Engagement zu ermöglichen. Um überhaupt wieder sichtbar zu werden. Um die nicht zu vergessen, die es nicht geschafft haben.

Es sind so viele.

Ich erinnere konkret heute an Bianca Müller, die sich das Leben nahm, weil sie im neuen Geschlecht nicht ankommen konnte. Weil ihr verwehrt war, was sie sich selber sehnlichst wünschte und keine Partnerschaft sie halten konnte, in ihrem zu Recht ungehaltenen Zorn.

Es wird dringend Zeit, auch in Deutschland unsere Geschichten zusammen zu tragen und zu erzählen. Nicht nur die schönen und geglückten - weit mehr aber auch die, die drohen vergessen zu werden. Weit mehr die Menschen in Erinnerung zurück zu uns zu holen, die gegangen sind. Laut oder leise. Gewaltsam oder von eigener Hand.

Kein Engel verrät ihre Spur.






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Hier ist noch zu sehen, was die die Freundinnen und Freunde aus USA machen. Und ich selber wünschte mir, dass auch wir in Deutschland etwas mehr lernen von den Bürgerrechtsbewegungen, von dem öffentlichen Engagement, von den guten Traditionen eines anderen Amerikas, das kämpft und aufsteht, wenn Unrecht sich breit macht.



Authentisch, klar und offen. Im Raum der Kirche. Mit dem Licht in der Hand. Und ich werde traurig, wenn ich daran denke, wie erschreckend anders doch unsere Kirche damit umgeht. Zeit, anzufangen und erst recht nicht mehr aufzuhören. Gegen die Ausgrenzung. Gegen die Unsichtbarkeit. Und gegen den Kleinglauben, als ob wir nicht dazu gehören dürften.

Dienstag, November 13, 2007

Gerade zu passend - oder bring back the old music



Wer von Euch hat ihn noch? Den Plattenteller?

Love is a repeticious danger - oder: Herzschlag Music

Fast zeitgleich geschehen merkwürdige Dinge. Mein neu-altes Auto verfügt über keinen CD Player. Nichts ist mehr mit Musik aus den letzten 10 Jahren. Aus und vorbei. Was geht ist Radio. Und auch Cassetten.

Sagte ich Cassetten? Aber ja. !988 gebaut verfügt der Sierra tatsächlich über einen Casettenspieler der damals neueren Marke. Inklusive Dolby und Autoreverse. Dinge, nach denen man sich damals die Finger leckte und die heute so abgeschmackt daher kommen, wie nie zuvor.

Dennoch machte ich mich auf den Weg zu meinem schwarzen Beutel in der Garage. Music from my mind. Schon damals begriff ich die Welt mit dem Ohr. Man muss es sich vorstellen: schwebend in der Schwebebahn, allen öffentlichen Blicken wie Angriffen ausgesetzt, allein mein einem Walkman bewaffnet. Musik laut und leise flüsterte sich in meine Seele. Sie war Schutz und Offenbarung zugleich. Wie ein warmer Mantel, der mich umhüllte. Zu mir sprach tröstend, als das Draußen thumb wurde, unverständlich. Zu laut und dennoch allgegenwärtig.

Es gibt einige Casetten, ohne die wäre mein Leben anders verlaufen. Lieder, die mich begleitet haben und mit mir verschmolzen sind, Schritt für Schritt mir voraus waren oder mich einholten. Manchmal sind solche Texte und Melodien wie ein Spiegel, in dem man erkennen kann, was man noch nicht geworden ist. Wohin das Sehnen geht und bleibt, weil nur das Bleiben auch Dauer verspricht und die Erfüllung hier und da, dem Leben zuwieder liefe.

So lernte ich sehnend auf meine Veränderung zu hören, auf die Geschwister, die mich mit guten Texten begleiteten und deren Erscheinung ich jederzeit an ein, zwei Akkorden erkennen konnte. Sie bargen mich im Wuppertal, sie nahm ich auch mit zu Beginn meines Vikariates.

Heute nun, auf der Rückfahrt zurück von den Hauptschülern in Dortmund, fand ich die Casette von Elke wieder, eben jene, die wie eine große Schwester zu mir reden vermochte in vielerlei Sprachen und das gerade da, wo die Bibel verstummte, wo die Frommen schwiegen, wo das Leben denen ausging, die stets davon predigen mussten. Da waren es die Lieder einer Freundin, die mir den Haustür Schlüssel gab, ohne jedes Zögern und mit dem ich in Wuppertal eine Zuflucht fand. "Wenn Du einmal nicht weiter weisst, komm zu mir." Diese einfachen Sätze sind es, die satt und hungrig zugleich machen. Dieses Da Sein, als hätte dieser eine Mensch in einem Moment gesehen, was andere niemals gewahr werden. Ein Mensch, mehr nicht. Nackt und verletztlich in allen Wechseln, denen ja auch ich hilflos oft gegenüber stand.

Ich höre jetzt noch Joni Mitchell im Nachhall in meinem Ohr.


Eine Ballade, die es immer weiter zieht, ein Refrain, der immer wieder aufgenommen wird und neu ansetzt gegen allen Stillstand und alle Trauer dennoch alltäglich weiter zu erzählen von Liebe und Schmerz, von Bleiben und Aufbruch, von Vergangenheit und Gegenwart. "Love is a repeticous danger, seemd that I´m a custom too. At least I do accept the changes, almost better than I used to do." Besser kann man diese Zeit der offenen Zukunft wie Angst um einen selber nicht ausdrücken.

Es hat mich nicht verwundert, dass ich dem ersten Menschen außerhalb meiner persönlichen Welt, - es war eine Kollegin im Predigerseminar Essen - meine Geschichte NUR auf Englisch erklären konnte. So als wäre ich sprachlich wie geschlechtlich in eine andere Welt versetzt, die ich erst langsam zu begreifen suche. So gingen wir zur Ruhr herunter, und ich fühlte mich wohl im Fremden, das zugleich vertraut und adäquat war zu solcherlei Erfahrung. Im selben das andere zu leben. Frau zu werden zur Unzeit. Asynchron und quer. Sperrig wie ein New York Slang mitten in Essen Steele.

Nicht alle konnten das verstehen. Dass ich zugleich eine andere Geschichte schrieb und las und buchstabierte. Dass dieser Asynchronizität, dieses Zu Spät Kommen, zugleich eine ungeheuere Gleichzeitigkeit entsprach. Eine Fähigkeit, alte Texte lebendig zu machen, als wären sie gerade geschehen. Eine Gabe, sich selber in die Bibel zu wickeln, um der eigenen Rettung entgegen zu sehen.

Denn nichts anderes tat ich. Und nichts anderes geschah auch, indem ich auf diese modernen Propheten hörte, die mir mit ihren Liedern die Seele streichelten dort, wo mich niemand mehr sonst berühren mochte. Trautes Willkomm.

Dieser Herzschlag hat mich nie verlassen. Diese Gleichzeitigkeit war das, was ich mir selber nicht erklären konnte, war sie doch nicht artifiziell, sondern aus Anfechtung und Erfahrung geschöpft. Eine Gabe, die der Erinnerung bedarf. Eine Blume, die mit eigenen Geschichten getränkt werden wollte. Wer nicht gibt, empfängt auch nicht. Ein einfacher Satz und doch so wahr.

So also lief ich damals durch Wuppertal, stieg in die Schwebe- und andere Bahnen, oftmals Musik auf dem Kopf, immer wieder sich der Geschwister versichernd. Denn alleine mit meinem Gebrechen zu sein, das war mir unvorstellbar. Es musste doch andere geben, die ähnliches erlebt haben, deren Worte nicht die meinen waren, aber doch benachbart und warm. So ein Mensch war Joni Mitchell, mit ihrem Texten vom "blue motel room", die mir Elke auf das Band spielte.

Eine Casette mit Musik geschenkt zu bekommen ist ein Versprechen und eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Eigentlich ein banaler Vorgang und doch voller Subversität. Wie oft sass ich alleine vor der Stereo Anlage, das einzige, was ich damals als Luxus ansehen konnte. Ein Rack von Techinics, ein Doppellaufwerk von Casettenrekorder. Immer wieder Musik ausgegossen über alles Leben. Das, was der Heilige Geist zu tun verspricht, geschah dort. Rein umittelbar, ohne Umschweife. Mitten ins Herz.

Love is a repeticous danger - mit "Liebe ist eine sich wiederholende Gefahr" mehr schlecht als recht übersetzt - das ging mir mitten ins Herz, gerade dann wenn das Herz blühte nach langer Zeit und wuchs am eigenen. Frauenliebende Frau, so hätte ich mich später genannt und doch nur Stempelkissenfarbe verbraucht und zu eigenen Aussagen zu kommen. Man kann sich keine eigenen Label verpassen und das, was wir heute Identität nennen, ist doch meist nur dier hilflose Versuch, sich selber zu etikettieren. Schon lange nicht meine Tätigkeit, die allenfalls zur Heimarbeit tauglich war.

Identität - das war immer,was mich in Bewegung und ins Spiel brachte. Was mich berührte und zur Berührungen veranlasste. Das war nie statisch, sondern extrem flüssig gerade dort in dieser Zeit und zum Glück sage ich heute erst recht.

Es waren diese eingängigen Worte, verbunden mit sanfter Melodie. Eine Lyrik des Alltagsliebe, des banalen Lebens, der Verwechselbarkeit und manchmal auch Lakonität. Denn wie sollte ein Mensch all seine Wechsel bejahen können, ohne lakonisch zu werden? Ohne einen Refrain zu finden und zu dichten, der passen kann und der brauchbar, weil anwendbar erscheint. Eine einfache Überlebensstratiegie in einem Satz ausgedrückt: "... at least I do accept the changes, almost better than I used to do. "

Dass der Veränderung ein Einverständnis, das das Besondere des Wechsels versprochen werden will mit dem Alltag, dass Neu Werden auch eine banal-lakonsiche Seite hat, das hat niemals jemand besser ausdrücken können als diese paar Zeilen. So lapidar verpackt in einer Erzählung, die sich um Gelingen und Scheitern dreht. Um Ankommen und Verloren gehen, um zerbrochene Freundschaften und Grenzen, über die man mit fortgeschrittenem Alter nicht mehr gehen kann. Ein Vorbei im Augenblick, wo man es versucht. Ein Scheitern und Schweigen. Mehr nicht, während Joni Mitchell tapfer weiter singt. Traurig und berührt. Tapfer und mutig nicht zulässt, dass das Leben stehen bleibt. Deswegen die nächste Zeile und die kommende Strophe.

Manchmal denke ich dabei an all die, die mich im Predigerseminar begleitet haben, die auch auf ihrem Weg in den Beruf waren und doch mehr: Seitenreferenten. Begleiter im positiven Sinn. Heute trägt und keine Brücke mehr und auch die Sprache versagt sich ander Faktizität des anderen. Und diesmal bin nicht ich es, die anders ist. Die anders geworden ist. Diesmal sind es die Pfarrämter und Beamtenrechte, die Kinder und Familien, die ungebrochenen Karrieren in einer Institution, die niemals begreifen konnte, wie ein Mensch wie ich lebe und leben kann.

Bei denen ich immer noch ein Wunder war oder bestenfalls - unerkannt.

So also ändern sich die Zeiten.





P.S.: Erst jetzt bemerke ich, dass ich mich in durchaus guter Gesellschaft befinde, fand sich doch in Wikipedia folgender, verwegener Satz: "

Madonna has cited Mitchell as the first female artist that really spoke to her as a teenager; "I was really, really into Joni Mitchell. I knew every word to Court and Spark; I worshiped her when I was in high school. Blue is amazing. I would have to say of all the women I've heard, she had the most profound effect on me from a lyrical point of view."[15]"




Montag, November 12, 2007

Boha ey - Wuppertal

Schön, dass es ein gemütliches Wochenende war.
Ja, das tut gut bei so einem Wetter. Bindfäden von Regen. Die Nachbarin nebenan klärte mich auf: 40 Liter Niederschlag am Niederrhein. Beindruckend und weit mehr ...

Zwischen durch waren wir mit Tante Gerta in Wuppertal. Gerta ist die Schwester von Petras Vater. Willi und Gerta. So nannte man die Kinder - damals. In Wuppertal wir dann Tante Reni, die eigentlich Irene heißt und im zarten Alter von 94 Jahren ist. Zugleich ist sie die Schwester von Petras Muter. Geborene Becher zu Wuppertal.

Beide - Gerta und Reni - kennen sich sehr gut. Über die Jahre hinweg. Über alle Jahre. Petras Mutter wurde frühzeitig von Wuppertal nach Krefeld evakuiert. Das geschah nach den ersten Flächenbombardements im , als noch Hitler Häuptling der Deutschen war. Da übten die Alliierten noch in Wuppertal - fürs Ruhrgebiet.

Ab und an blieben daher im Tal komplette Straßenzüge stehen. Ein bizarres Bild bei aller Zerstörung. Noch hatte man , gelernt, die Bombardierung dort fortzusetzen, wo man aufgehört hatte.

Damals, so sagte er es mir, stand mein Vater den Höhen von Essen-Werden und sah die Stadt brennen. Lichterloh. Wie eine Vorahnung auf das Kommende. Auch 330 Kilometer Luftlinie waren klar genug. Auch um die Anneliese nach Krefeld zu evakuieren. Dort, wo der Willi (Petras Vater) schon immer wohnte, aber jetzt auch unterwegs war. Es war Krieg. Beide haben geheiratet zwischen Bomben und Bleiben die Liebe besiegelt und Anneliese blieb in Krefeld. Bis sie starb.

Immer wenn es dann nach Wuppertal ging, wurde es Petra als Kind schlecht. Wuppertal, das war ihr zu eng. Kein Horizont. Alles grau. Kein Himmel mehr. Nur Häuserschluchten am Arrenberg. Ich kann es heute verstehen, habe ich doch selber Jahre meines Lebens zugebracht, darunter gute wie schlechte

Während die beiden sich dann unterhielten, haben wir mit Rocco die klassische Schwebebahnfahrt gemacht. Und Erinnerungen stiegen in mir auf .Dort habe ich meinen sog. Alltagstest verbracht. Einmal mutwillig zwischen alle Geschlechter sich setzen. Weiter gehen als alle anderen. Die Kopfhörer des Walkmans schützen mich vor dem, was andere mir zudachten. Angst bis unter die Kniekehlen manchmal, sich so nackt und verletzlich auszuliefern. „Ey guck mal! Wahnsinn. Ist dat ein Mann oder eine Frau? Schwuli Du ... „ und all das, was man kostenlos in öffentlichen Verkehrsmitteln zu hören bekommt. Nun war die Fahrt beschaulicher und dennoch zitterten die Knie wieder. Immer wieder diese Situationen. In der Schwebebahn, auf der Straße. "Passing" heißt diese Übung und sie wollen sehen, ob man das auch stehen kann – obgleich man sich weder körperlich noch sonst wo seiner selbst versichern konnte. Aber egal jetzt ....

Rocco fand die Fahrt ausgesprochen amüsant und saß gerne auf unserem Schoß. Schaukelte und schwebte vor sich hin. Unter uns der Fluss. Adler Brücke. Dort stieg ich auch, um zu unserer Wohnung zu kommen. Damals 22 Jahre vorbei. Mit Heike wohnte ich unter dem Dach. Eine schöne Wohnung und billig zumal. Ein Theologiestudent, der das Examen machte. Eine Hochzeit auch noch in dieser Zwischenzeit. Innerlich konnte ich nicht mehr. Bestand und brach zusammen. Wie merkwürdig, das noch geschafft zu haben.

Die Wege zur Kirchlichen Hochschule hoch. Oftmals gegangen. Ich werde sie noch im Schlaf kennen. Lange meine Heimat. Erstes Willkomm außerhalb von Essen. Ich weiß noch wie heute, wie es eine lange Reise war mit dem Moped damals von Essen nach Wuppertal. Man kann sich so wunderbar gut verfahren dort. Einbahnstraßen, Kehren und verwinkelte Gassen. Industriebacksteine und Schieferhäuser. Aussichten auf das Tal, ab und an. Dann wieder Schwindel erregende Häuserschluchten. Vier und fünf Stockwerke hoch. Arbeiteraussichten. Ich war gern in Wuppertal – damals. Stadt der Frühindustrialisierung. Marx und Engel. Mechanische Webstühle und fromme Bürgerzirkel. Man werde mit Regenschirm und Gesangbuch dort geboren, sagte ein Volksspruch und so regnete es auch ununterbrochen an diesem Wochenende.

Bilder überblenden sich, wenn ich an Wuppertal denke. Die ersten Nächte über der Schreibtischlampe. Bewaffnet mit einem Tintenfass und einer Feder schrieb ich meine ersten Hebräischen Vokabeln auf. Eine ungeheuer schöne Sprache, dachte ich damals noch. Die Sprache Jesu und ich fühlte mich ihm über die Sprache und das nächtliche Aneinanderreihen von Buchstaben weitaus mehr verbunden, als durch diese Vorträge der Professoren. Mal wieder meine kleine Flucht, so wie ich sie immer hatte. Zeit meines Lebens bis heute.

Es waren schöne Zeiten damals, sage ich und werde senitmental und traurig zugleich. Es war so viel Aufbruch um mich herum. Gerade aus dem Krankenhaus entlassen, als Zivildienst leistender Mensch zwischen allerlei Alltag gewickelt, Haut und immer wieder neue Berührungen, man konnte die Menschen durch Berühren begreifen, wortwörtlich und ihr Geruch ging mir noch lange nach. Ich war gerne dort im Krankenhaus, wo ich das Schwimmen lernte im Schwesternheim, Zug um Zug weniger Anstrengung, sich einfach auf das Wasser legen, ein Einverständnis mit dem Element. Dort kam ich her, wo die Welt so elementar war und wurde, nun in dieses unüberschaubare Wuppertal aus lauter Hügeln und Tälern. Jeder Berg ist ein Dorf, sagte mir mein Nachbar noch und sollte recht behalten. Später las ich, dass Wuppertal früher über 45 Bahnhöfe gehabt habe, weit mehr als heute Schwebebahnhaltestellen. Ein Stadt wie ein Flickenteppich. Lang gezogen und eigen jeder Fleck. Hier Geschichte und da Geschichte. Immer wieder die Spuren von Menschen, Arbeitenden – nein, schön war mir Wuppertal nie aber doch eigenartig vertraut und nah. So als wäre ich dort noch einmal geboren und irgendwie stimmt das ja auch.

Die Hebräisch Vokabeln habe ich heute noch. Und das nicht nur aus Erinnerung, obgleich es eine seelig selbstvergessene Zeit war, da zu sitzen den Nachts und zu schreiben. Linie um Linie. Seltsam geschwungene neue Gefährten, so schien es mir. Ein Tor in eine neue Welt und dahinter jede Menge Leben. Ich bin dieses jüdische Erbe, das ich dort begann, eigentlich nie losgeworden, wenn gleich es anders wurde wie in einem Kaleidoskop immer neue Bilder hervorbrachte. Sch´ma Jisrael, Adonai Elóhenu. Adonai échat. So sagte ich noch Jahre später in der WDR Sendung bei Böttinger auf der Kanzel der Evangelischen Kirche das Bekenntnis Israels zu seinem einigen Gott und neimand nahm daran Anstoß – bis heute nicht. Ein kleine Vorspann war das, eine Skizze einer entlaufenen Pastorin, die nie heimisch wurde dort, wo es um Christus und die großen Dinge ging. Ja, mein Kopf konnte und wollt es wohl begreifen, nichts reizvoller als die trinitarischen Streitigkeiten im zweiten Jahrhundert nach Christus, aber mehr von allem fand ich es bemerkenswert, dass diese auf dem Marktplatz öffentlich ausgetragen wurden und ich dachte an die Fischhändler bei Asterix und Obelix und eine ganz und gar handfeste Theologie, die den Menschen das Denken erlaubt bis hin zum Streit.

Der Berg dort oben, die Kirchliche Hochschule, war ein kleines Refugium. Die da oben waren alle etwas seltsam, so sagte man im Tal. Nebenan war die ehemals pädagogische Hochschule, die Generationen von Lehrerinnen produzierte, die mit Pfarrern verheiratet waren. Doppeltbeamtete Glückseeligkeit. Heute ist eine Justizvollzugsschule dort untergebracht und so verschlossen die Theologie sich gibt, so sehr wuchsen dann die Trampelpfade zu, die da heimlich angelegt wurden, um von einer zur anderen Stätte zu gelangen.

Dieses Wuppertal habe ich also besucht und bin mit dem Finger noch mal die Strecken abgegangen. Eine Erinnerung an besser oder einfach nur andere Zeiten. Ein angehender Theologie Student, der sich versuchte zurecht zu finden und deren Reden immer so merkwürdig getränkt waren von Sprache und Zeit, von Berührung mit Dingen, die anderen noch nicht verstehen konnte. Gewiss, man sagte ich sei ambitioniert.

Später kehrte ich zurück um mein Examen zu machen. Zusammen mit Heike, die mich heraus liebte aus den Schatten, indem sie da war – mehr nicht. Es stand alles bereit und dennoch klappte auf einmal nichts. Es bliebt in diesen Wechselnächten, wo ich wach am Fenster stand und den Mond schaute, das vertraute Bild des Rabbi s mit der Thora Rolle im Arm, so als könne man sich selber darin einwickeln und bergen. Dieses Bild hing im Wohnzimmer, das ich dort zum ersten Mal in meinem Leben besaß, ansonsten gab es Zimmer unter dem Dach. Neun Quadratmeter wie in Heidelberg, wo ich zwischendurch studierte. Zwölf zuvor an der Kirchlichen Hochschule. Ich war genügsam. Mehr nicht und lernte nachts, wenn die Dämmerung sank, das Licht sich veränderte und Frieden einkehrte, eine merkwürdige Zeit zwischen Wachen und Meditation. So als wären meine Sinne besondern offen, aufzunehmen, zu versinken in eine eigene Welt, die zu mir reden wollte.

Sonntag, November 11, 2007

Erstaunliche Erkenntnisse ...

... förderte der Präses der Ev. Kirche im Rheinland in eine längst schon gelaufene Debatte zu Tage. In der WAZ meinte er, Hedge Fonds mit klassen kämpferischem Vokabular von Grund auf kritisieren zu müssen:


Was werfen Sie Hedge Fonds vor?
Schneider: Sie kaufen Firmen auf, um sich das Eigenkapital unter den Nagel zu reißen. Denen ist egal, was aus den Firmen wird, wenn sie weiterziehen. Außerdem beuten sie die Mitarbeiter aus.


Das gilt aber nicht für alle Finanzinvestoren gleichermaßen.

Schneider: Das habe ich auch nicht gesagt. Es gibt auch jene Investoren, die Firmen in kritischen Situationen helfen und sie vor der Pleite retten.

Können Sie da so genau unterscheiden zwischen den so genannten Heuschrecken und anderen Investoren?
Schneider: Diejenigen, die einzig auf Gewinn aus sind, sind deutlich zu erkennen. Sie zeichnen sich nämlich durch intransparente Unternehmensführung aus.

Wie zeigt sich das?
Schneider: Die innere Struktur von Hedge Fonds ist nicht nachzuvollziehen. Keiner weiß, wie sie denken oder planen. Die agieren so diskret, dass man gar nicht weiß, welche Menschen dahinter stecken. Das ist wie zu Zeiten des Feudalismus, als es geheime Räte gab. Das ist das Gegenteil einer offenen demokratischen Gesellschaft.
Quelle WAZ

Erstaunlich ist, dass die Ev. Kirche im Rheinland allen Forderungen zum Trotz bis heute noch nicht offen gelegt hat, wie sie selber denn ihre Pensionsgelder angelegt hat. Intransparenz in Finanzdingen ist dabei geradezu eine Konstante der Insitution Kirche geworden. Niemand weiß, wo die Gelder denn wirklich liegen. In welchen Fonds, Firmen oder Produkten diese Gelder sie stecken. Es sind ja immerhin diese Pensionsfonds, die die Hedge Fonds erst möglich machten.

Auch die beamtete Pfarrerschaft sorgt sich ersten Umfragen zu Folge am ehesten um die Bezahlbarkeit ihrer Pensionen - weit mehr als um den Zustand einer weiter schrumpfenden, gesellschaftlich irrelevanten Kirche. Das ist kein Wunder, wenn man sein Produkt so gründlich herunter gewirtschaftet hat wie die jetztige Generation, von der Erbringung volkswirtschaftlicher, relevanter Leistungen ganz abgesehen.

Kirche als selbst referenzierendes Auslaufmodell, das noch nicht mal merkt, dass niemand mehr zuhört. Ein Freund von mir sagte, wohl nicht nur mit einem Augenzwinkern, dass die genialste Idee der Kirche in den letzten Jahren die gewesen sei, den Kirchenaustritt nun 40 Euro kosten zu lassen. Nicht nur für eine Hartz IV Familie ein Grund, nung doch nicht mehr aus der Kirche aus zu treten.

Seeliges Glück. So bleiben die Schafe aus ökonomischen Grund bei der Herde, während der Hirte das Blöken beginnt. Mit gleicher Berrechtigung könnte man aufblasbare Gottesdienstbesucher erfinden.

Wie sagte meine Oma Lisbeth noch so treffend: "Keine Nase ist zu klein, um sich nicht daran zu fassen." Wohlan Herr Präses. Wir warten auf Transparenz und demokratischen Ausweis.


Freitag, November 09, 2007

Kulturschock bei Ochs und Esel

Gestern war es endlich soweit. Mein 280CE landete neben Ochs und Esel in seinem Winterquartier. Nebenan muhten die Kühe. Hundebellen der gefährlichen Art versicherte mir, dass Einbrecher auch hier Chancen hätten. Also, Nummernschilder ab und schlafe gut.


Mein Winterauto habe ich inzwischen auch anmelden können. Mit längerem Anlauf zu Geldern. Zuerst ging nämlich gar nichts auf dem Amt, weil der alte, schon entwertete KFZ Schein fehlte. Den muss man neuerdings auch dabei haben oder den Verlust quittieren lassen. Da es vor Ort nicht ging, fragte ich nach gut Kölsch Art nach einer Lösung des Problems. "Schauen Sie, der Wagen habe ich für 350 Euro gekauft. Der Vorbesitzer ist 1925 geboren, wie Sie sehen. Der sitzt inzwischen im Altenheim und kann sich gar nicht mehr daran erinnern, den Wagen jemals gefahren zu haben. Da soll der jetzt noch einen entwerteten und unnützen KFZ Schein haben oder gar auffinden?"

"Nun, das ist nicht mein Problem. Aber ohne kann ich nichts machen," kam es mir entgegen.
“Also gut", sagte ich dann. "Dann unterschreibe ich Ihnen hier vor Ort, dass ich den Schein bekommen und verloren habe. Dann kommen wir wenigstens weiter und ich muss nicht noch mal herkommen und einen Tag frei nehmen.“

"Sehen Sie, sie haben mir doch vorhin gesagt, dass Sie den Schein gar nicht erst bekommen haben." "Ja, stimmt!" "Dann können sie ihn auch nicht verloren haben.“ kam die entwaffnende Logik der Bürokraten zurück.


Ich überlegte kurz: „Sagen Sie mal. Eigentlich kann es doch völlig egal, wer was verloren hat. Oder wie etwas nicht da ist. Sie sehen, ich habe hier den Fahrzeugbrief, das Auto gehört mir. Das müsste doch reichen als Nachweis.“ „Nun, so einfach ist das nicht mehr. Wir brauchen neuerdings den alten KFZ Schein, den wir einziehen müssen. Da können Sie mir dann höchstens noch einen schriftlichen Kaufvertrag vorlegen.“ „Wieso das denn? Ich habe den per mündlichem Vertrag gekauft. Das ist doch rechtsgültig. Oder? Sehen sie, der ist Baujahr 1988, so ein alter Sierra, da macht man keinen Vertrag mehr.“ „Ja gut, aber einen mündlichen Vertrag kann ich in die Akten nicht kopieren. Und ich brauche eine Unterlage dazu."


Ich stand auf, schaute auf meinen Hund Rocco, der sich gerade vor dem Schreibtisch schüttelte. „Siehste Rocco“ sagte ich „darum kommen alle Menschen so gerne her hin. Weil ihnen so fachlich und kompotent geholfen wird.“ Dann bedankte ich mich noch laut vor allen Wartenden und ging stinke wütend hinaus.

In Köln hätte man das anders und vor Ort regeln können. Immerhin lagen ja sonst alle Papiere vor samt Versicherungsbescheinigung und einem gültigen Personalausweis meiner Person vor. Der vermisste KFZ Schein war ja ungültig und entwertet worden. Aber ohne ging gar nichts. Neuerdings sammelt man im Amt auch Altpapier ein. Mehr als erstaunlich.

Am nächsten Tag es dann einer anderen Kollegin. Der erzählte ich vom W123 und dem Stall, wo er jetzt stehe. Den Bauern kannte sie sogar. "Jaja, als mein Vater noch den Hof hatte, haben wir den auch als Diesel gefahren."

Beim Tanken allerdings fiel mir abermals Kinnlade runter. Super kostet 1.44 Euro pro Liter. Wo ich doch nur 54 Cent gewohnt war. Dafür durfte der Benz auch mehr verbrauchen und belohnte mich mit satten 185 PS. Nie kam er über 10 Euro auf 100 km. Das waren jetzt umgerechnet knapp unter sieben Liter Super. Erstaunlich.

Für den Sierra 2.0 mit 105 PS setzte es min. 10 Liter Verbrauch. 14.50 Euro auf 100 Km. Schlicht ein Schock.
Mein Tankwart am Ort lächelte mich an. Bisher gab es alle zwei Monate für 20 Euro Super zum Starten. Von wegen "Benzinpreise interessieren mich nicht. Ich tanke immer nur für 20 Euro."

Der Spruch wirkte auf einmal sehr abgedroschen.
Traurig, so eine Spritschleuder zu fahren. Aber immerhin, Platz hat der Karton. Und zwei Jahre TÜV. Was willste mehr ?



Übrigens haben ihn Hanfried genannt. Weil bei uns alle Namen für ein Fahrzeug mit H beginnen. Um ehrlich zu sein, ein blöderer Name fiel uns nicht mehr ein. Kann sein, er macht ihm alle Ehre.

Die Zukunft des Autofahrens allerdings könnte so aussehen



Donnerstag, Oktober 11, 2007

Hauptschule? Aber ja doch - Hauptschule !!

Es war mal wieder ein netter Tag in einer Hauptschule. Seit Neuestem mache ich dort sog. Kompetenz-Analysen. Fahre um sechs Uhr am Niederrhein los, um um Achte pünktlich mit meinem Arbeitskoffer in der Schule zu sein. Und dann gibt es acht Stunden eine Klasse im Check.

Die Leerer sind meistens lehr und
ausgebrannt. Einige schon unter jahrzehntelanger Patina als Mensch verborgen. Wenn man nett ist , werden sie zutraulich und lassen sich etwas kraulen. Ansonsten viel Burn-Out und still stehende Angestrengtheit. Es tut auch ihnen , wenn da sind. Ein Tag andere Perspketive auf Schüler, die man tagtäglich vor sich sitzen hat.

Der Herr vom Arbeitgeberverband betreibt , was ihm eigentlich gar nicht steht. Er betreibt Werbung. Wunderbar inmitten der Hauptschule. Da, wo sich niemand sonst blicken lässt, ist er da. Wo doch alle Arbeitgeber hoffen auf den Fachkräfte-Aufschwung aus dem Osten. Und sich hier alles sparen. Das sind dann Jugendliche ohne Chance. Die an der Hauptschule. Und weil man ihnen von vornherein gibt, bleibt es auch so.

Trotzdem oder jetzt erst recht ist ihm die Förderung der Hauptschule eine
Herzensangelegenheit. Das gibt es bisher nur in Dortmund. Stahlarbeiterestadt mit aussterbender Industrie und Kultur.

Die Malocherstadt.

Man merkt es durch seine Angebote und die
Aufmerksamkeit, die er anderen gibt, dass es ihm ernst ist. Schön, dass er wieder da war. Heute morgen in der Schule. Macht weiter so.

Während dessen müssen die Kiddies angepackt werden. Es ist anders als in der Realschule. Wie sagte noch Josephine Baker: Um seinen Traum leben zu können,
muss man erst mal aus ihm erwachen. Viele von denen schlafen noch. Träumen noch. Berufswünsche aus der Nachmittagsflimmerkiste. Abgesehen. Kopiert. Ohne jemals sich drum gekümmert zu haben.

Dann gibt es diese wunderbare Auswertungsrunden. Ich komme sehr schnell auf den Punkt. Werde direktiv und finde ein Nicken oder Lächeln im Gesicht. Einer der ansonsten im PLO Arafat Tuch Vermummten, nimmt es freiwillig ab, lächelt schüchtern in die Runde. Ja, ich werde mich ab sofort zeigen und Konflikte annehmen lernen. Die Veränderung fängt immer bescheiden an. Und nicht nur mit flüchtigen Versprechen. Natürlich vor allen und schriftlich dokumentiert. Das ist gut so.

Jede Gruppe hat ihre eigene Weisheit. Die Kontrolle untereinander, die Erfahrung, dass man sich helfen und unterstützen kann, ist kaum ernsthaft gemacht. Anfangs schämen sie sich, offen zu sein. Zu reden von den Wünschen, ihre Fähigkeiten zu entdecken. Sich zu zeigen.

Später wird es anders. Ganz anders werden. Ayshe, die immer zu spät kommt bekommt Lächeln mehr von mir. Irritation allenthalben. Wie immer. "Hör auf damit, Prinzessin zu sein." - sage ich ihr. Sie erschrickt. Wirkt ertappt. Schlägt die Augen auf. Unschludig. So wie immer. Kann man mir etwa böse sein? Ja man kann und es ist dringend nötig. Statt dessen - sei erwachsen. Schon jetzt. Gegen den Strom gebürstet. Du brauchst das nicht mehr.

Daneben sitzt Matthias. Hyperaktiv. Wie schon so lange und den ganzen Tag über. Er braucht Berührung. Einmal kurz auf den Arm, die Schulter. Schon jetzt. Aufmerksamkeitsdefizitsydrom, das ist ein viel zu langes Wort für ihn. Er könnte es nocht nicht mal aussprechen. Er braucht keine Diagnosen, sondern Menschen, die sich nicht scheuen, ihm zu begegnen. Ihn mal in den Arm zu nehmen. Damit die Gefühle nachlaufen können. Die sich schon seit Wochen zu Hause angestaut haben. Mehr ist es nicht. Und doch alles für ihn.

Es sind diese kleinen Momente, die die Arbeit so angenehm machen. Dann kann auch ich nicht anders als sagen: gut, dass sie alle da sind. Kurzum: ein schöner Erfolg. Und schnell durch, ohne die Qualität zu vernachlässigen.

Man muss es nur wollen ...um 16 Uhr Feierabend.

Geschafft aber mit einem Lächeln im Gesicht.
Wie andere auch.



Johannes und Eva - Geschichte einer medialen Versuchung

Im Fernsehn bei Johannes gab es nun das Treffen mit Eva. Nach langer Zeit. Viel Platz im Fernsehn und doch keiner - von beiden Seiten.

Kerner versus Herman.

Eva Herman erinnert mich dabei an einen Betrunkenen, der an der Litfaßsäule torkelt und schreit, warum man ihn denn eingemauert habe. Das Tragische bei Eva Herman ist, dass das, was ihr Halt gibt,zugleich ihr Gefängnis wird. Davon wird sie sich nicht befreien können. Auch mit Hilfe eines Kerners nicht.

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Klar, dass sie sich nun gegen alles, was sie von diesem Kurs abbringen kann, wehren muss. Und auch klar, dass sie anderes nicht mehr wahrnehmen kann.

Schlimm allerdings wird es, wenn die "Verfertigung der Gedanken während des Sprechvorganges" (H.v.Kleist) eben zu solchen Ergebnissen wie die des Autobahn-Vergleiches führen. "Auch Hitler hat Autobahnen gebaut und wir fahren darauf!" Das kann man sich als Moderatorin vielleicht, aber als Werte-Kämpferin schon gar nicht mehr erlauben. Das geht wirklich nicht.

Anders Kerner, der ein Quoten trächtiges, "allgemein verschärftes Verhör zur Erheiterung des Publikums und Läuterung der Deliquentin" in Szene setze, das völlig unangemessen und tendenziös war. Ein Grund, weg zu sehen. Für immer.

Gastfreundschaft muss sich auch in Talkshows als ein Gut an und für sich ausweisen. Gerade dann, wenn die Kameras laufen. Einem Alfred Biolek wäre so etwas kaum unterlaufen, aber der hatte noch eine gewisse emotionale Reife und war nicht abhängig von flüchtig zusammen gestellten Karteikarten und Verhöranweisungen.

Fazit: Beide haben sie nach Maßen gründlich blamiert. Und nun haben sie öffentlich eine Freundschaft demontiert, wie es schlimmer nicht sein kann.

Der Beifall des Publikums täuscht.
Im Hals bleibt er stecken.

Quod erat demonstrandum.
Schade eigentlich.



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P.S.: Dieser Kommentar wurde an das Gästebuch von www.eva-herman.de geschickt und abgelehnt. Eine Zensur findet auch bei Frau Herman nicht statt. Warum auch, wenn man durch Schweigen mehr reden kann - in diesem Fall.

Donnerstag, Oktober 04, 2007

SWR Nachtcafe

Nun also ist es soweit. Das Nachtcafé geht mit einer Woche Verspätung an den Start. Ein Blick auf die Seite bringt Erfreuliches zu Tage: Nun bin ich nicht nur Lebensberaterin sondern auch Coach, was sicherlich für einige besser verständlich ist. Und es scheint auch eine gute Zeit zu sein, sich mal wieder als Mensch an-zu-zeigen.

Ich freue mich auf die Reaktionen, zumal man doch aus im Raume der Kirche in einem eher schalltoten Raum leben muss: Unterstützung habe ich selten bis kaum kennen gelernt. Und bis zu letzt redete man nicht mit mir. Statt dessen gab man sich lieber den eigenen Ängsten und Projektionen hin. (1)

Wozu ich hier einladen möchte ist, sich hier etwas um zu sehen. Spazieren zu gehen mit der Seele. Über Geschichten, die berühren.

Was ich mir wünsche ist: Unterstützung, die sehr unterschiedlich aussehen kann. Zuerst damit, sich auch als Mensch an-zu-zeigen. Etwas, was wir schon so oft verlernt haben. Sich zu zeigen und da zu sein. Einen Kommentar zu Schreiben meinetwegen. Das tut auch mir gut, denn man singularisiert doch sehr schnell mit solch einer Geschichte. Man wurde zu lange als Exemplar Mensch betrachtet. Man hat gelebt, ohne sofort und schwindelfrei in einen guten Alltag zu finden.

Zu viele sind auf der Strecke geblieben. Zu wenigen wurde geholfen. Dank gebührt da meiner Partnerin - ohne Frage. Aber es ist dringend nötig, Unterstützung zu organisieren. Etwas Neues aufzubauen, das anderen hilft. Eine Ombudsstelle Transgender wäre nötig, am besten direkt angesiedelt im Familienministerium.

Das nächste wäre durchaus, mich einfach weiter zu empfehlen.

Ja, ich arbeite als Coach und Lebensberaterin und das sehr gerne und - wohl auch gut. Zur Zeit erarbeite ich ein Angebot zum Online Coaching und für eine Retraite oder ein Intensiv Coaching für Manager am Niederrhein - fragen Sie mich einfach. Ich schicke Ihnen die Unterlagen per Mail zu.

Ja, ich bin auch eine freie Trauerrednerin und habe noch lange nicht verlernt, was es zu sagen gilt in solchen Fällen. Inzwischen ist es mir ein tiefes Bedürfnis für die da zu sein, die diese Kirche schon verlassen haben, die Konfessions-freien, die von ihr (meist zu Recht) Ent-täuschten. Die aus vielerlei Gründen ausgetreten sind und doch Worte brauchen, die noch taugen. Diese Geschichten berühren mich auch heute. Man kann mich buchen.

Sicherlich wäre es gut, wenn sich auf diesem Wege auch ein Verlag für mein Buch finden würde. Etwas Mut und Unterstützung, sich durch diesen Berg an Leben zu wühlen, der noch wie lose Socken ungeordnet auf meinem Schreibtisch liegt, braucht es schon. Vorstellbar wäre auch eine Kolumne in einer Zeitschrift oder einem Magazin - warum nicht?

Und vielleicht wächst ja etwas über uns hinaus: eine Verbundenheit über die üblichen Zugehörigkeiten hinweg. Ein Berührung von Leben. Das wünschte ich mir: dass ich nicht mehr kämpfen muss, sondern mich anvertrauen kann, dem was mir begegnet. Auch jetzt wieder.

So wie Rose Ausländer schrieb in einem Gedicht, dass ich auf der Bühne zitierte in meinem Praxisprojekt "Ein Haarbreit Wunder" 1990 in der Pauluskirche zu Duisburg. (2)


Wo sind
die Auferstanden
die ihren Tod
überwunden haben
das Leben liebkosen
sich anvertrauen
dem Wind

Kein Engel
verrät
ihre Spur




_____________________________
(1) Von den mir bekannten, fünf Fällen von Geschlechterkonversion im Raum der Ev. Kirche hat keiner eine Beschäftigung oder seinen Arbeitsplatz erhalten können. Auch mir ist niemals eine Stelle oder eine Arbeit angeboten worden. Es ist ja nicht immer nur der Einzelfall, weswegen man an die Öffentlichkeit gehen muss. Die Gefahr der Exemplarisierung ist zu groß. Daher bleibt es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Unterstützung für andere nötig ist. Eine, die nahe beim Menschen ist und bleibt.

(2)Das Projekt "Ein Haarbreit Wunder" mit dem ersten Tanztheater im gottesdienstlichen Raum schaffte es 1990 immerhin, über 250 Menschen in die sonst eher menschenleere Pauluskirche zu Duisburg Hochfeld zu locken. Als Praxisprojekt wurde es im Rahmen meines Zweiten Examen mit mangelhaft bewertet.


Dienstag, Oktober 02, 2007

Keiner von beiden wolle den Tod des anderen überleben.

Der Philosoph André Gorz ist tot. Und seine Frau.

Gestorben durch eigene Hand - zusammen mit seiner Frau. Ein Tod, der berührt, erinnert er doch ans Leben und die Liebe, die nicht aufhören mag, wenn der eine geht und der andere hinter-blieben ist. Das wäre nicht auszuhalten gewesen, weder hüben noch drüben.

Daher klingt es folgerichtig, wenn als letzter Satz von beiden zu lesen ist: »Oft haben wir uns gesagt, dass wir, sollten wir wundersamer Weise ein zweites Leben haben, es zusammen verbringen möchten.«, so überliefert die ZEIT die letzten Worte der beiden.

André Groz war einer der profiliertesten philosophischen Stimmen und hat nun sein eigenes Schweigen eingereicht. Sein Tod zuletzt redet noch, seine Worte verstummen nicht über diesen Tod hinaus haben die beiden ein Buch veröffentlicht, posthum und sehr lebendig: Briefe an D. Dass die Liebe sein kann vor dem Tod, im Tod und darüber hinaus, dass ein Mensch seine Existens binden kann und darin sich zu seinen eigenen Fähigkeiten befreit sieht, ist kaum nirgends ansichtiger als an den beiden.

Hier der aus seiner ersten Identität vertriebene Jude, der im Exilsland Schweiz (mal wieder und immer noch die) seine Dorinne trifft. Da die englische Frau, die liebt und sonst nichts, die Zeit ihres Lebens englisch mit ihrem Mann spricht, während dieser nach Frankreich emigriert und Mitarbeiter von Jean Paul Satre wird und später noch mehr.

Ja, es gibt gute Beispiele der konvertierenden Identität, die sich selber such und findet in dem, was ihr begegnet. Und es gibt gute Beispiele dafür, dass der Wechsel bejaht, gewollt und gelebt werden muss wie ebenfalls der Abschied. Die jüdischen Geschichten wurden in Deutschland überwiegend vergessen, man erinnert sich ihrer als einer Reminiszenz mit dem Unterton des jetzt amtlichen Bedauerns und hat doch nicht verstanden, was uns alles dort verloren ging.

Verloren gehen - sich dem Tod anheim geben - gemeinsam und ohne Furcht, das haben nun die Groz auch gemacht. Eigentlich heißt André doch Gerhrard Hirsch aus Wien und niemand ermag mehr den Weg ermessen, den jener hinter sich gebracht hat gleichwie jene Frau, die einen Mann heiratete und über 60 Jahre lang begleitete, deren erste Projekte grandios scheiterten.

Im Scheitern einander treu zu sein - das mag auch jetzt gelten als beide sich dem Neuen übergaben. Man fand sie zusammen gelegt auf dem Bett, tod und umarmt, bleibend mit dem Hinweis auf der Türe, man möge doch bitte die Polizei rufen, damit niemand erschrecke vor dem Anblick zweier bis zum Tod Liebenden.

In der Zeit können wir nun kluge Sätze lesen wie diese: Die Liebe zu Dorine konstituierte die Existenz von André Gorz wie sein Werk. Jene Engländerin damals zu treffen, nach dem Krieg, in seinem Exilland, der Schweiz, kam für ihn, den entwurzelten Wiener Juden, der Entscheidung gleich, die Existenz nicht länger zu verweigern und sich aus einer umfassenden Erfahrung der Nichtigkeit, der Identitätslosigkeit heraus neu zu erschaffen.

Und zugleich kommen mir die Tränen in die Augen, weil man spüren und erleben muss, was es heisst, eine Existenz neu zu erschaffen. Dass man konvertiert von Gerhard Hirsch, Sohn eines Wiener Holzhändlers zu André Groz, der ein weltbekannter Philosoph und Sozialkritiker genannt wird. Was für Wege war er und seine Frau gegangen.

60 Jahre haben sie zusammen gelebt. In einem Augenblick sind sie auch zusammen gestorben. Es gab kein Abbruch des Schicksals, keine Abbitte des Todes, kein Vorher-Nachher und Danach. Die Gleichzeitigkeit der Liebe haben sie über den Tod gerettet. Und damit ihre Freiheit demonstriert.

Was mich berührt ist die große Frei-Willigkeit, dieser Welt, diesem Leben und allen Veränderungen in ihm zu begegnen - bis in den Tod. Ein tiefen Einverständnis in das, was uns am Leben hält, was uns nährt und da sein lässt.

Manchmal braucht es nicht viel. Einen Menschen, den man um den Hals fallen kann, um die Halse des Lebens zu schaffen. Eine Wende nach dem Wind, wenn es anderswo nicht weiter geht. Der Ruf ins Neue, wenn das Leben nicht mehr zu meistern ist.

Ich denke, die beiden sich sich darin treu geblieben.
Sie verdienen unseren Respekt.




Donnerstag, September 27, 2007

Eisregen im Nacken

Manchmal streift mich die Erinnerung, dann bleibe ich sitzen oder stehen, grad da wo ich bin. So als wäre es ein temporärer Stillstand. Einen Moment eingefroren, damit mir anderes nicht entgeht.

Heute war es die Zeit meines Vikariates, das ich "nachdem alles durchgestanden" war, mit über drei Jahren Verspätung beginnen durfte. Es ist so merkwürdig, als ob ein Mensche einfach so mal drei Jahre weg sein kann und dann wieder da ist. Nicht mehr als ambitionierter Theologie Student und frisch verheiratet - sondern jetzt als frisch aus dem Ei gepellte Frau, nackt fast auf der Seele, verletzlich bei jedem Atemhauch.

Ich habe das alte Bild vom Predigerseminar wieder gefunden. Rocco hatte es fast schon zerrissen und in der Schnauze (wenn es einen anti.klerikalen Hund gibt, dann ihn) und ich konnte es gerade zu retten. Stand dann da und sah hin. Noch einmal. Und dann blieb die Zeit stehen.

Es gib Bilder, die produziert man als Dokumentation von etwas. Die landen dann in der Schublade und eigentlich holt man sie nie wieder hervor. Ich glaube, dieses Bild hatte etwas davon und doch ist es eigen.


Da stehe ich nun. In der Mitte und doch innerlich am rand. Kann weder verstehen, wie ich all meine gemachten Erfahrungen verarbeiten soll, noch wie ich wirklich dahin gekommen bin. "Eisregen im Nacken!" - das war meine Metapher für dieses Vikariat und das für lange Zeit. So, als könne und dürfte ich mich nicht mehr bewegen. Als müsste genügen, dass ich da bin und zugleich innerlich erfroren.

Es ist schwer zu beschreiben, wenn man nach drei Jahren wieder zurück kommt, an den Ort, wo es weiter gehen sollte. Es ist kaum auszumalen, wie man dann da steht, verändert und doch derselbe Mensch. Als wäre man verschwunden gewesen und doch noch da, irgendwie.

Andere Erfahrungen drängten sich mir in den Vordergrund. Eine Unsicherheit im Blick. Immer wieder. Der Übergang war ja terminiert und erfolgte unter ungeheuerem Zeitdruck. Die Kirche sagte: "Kommen sie wieder, wenn alles geregelt ist!" Als ob man so mal schnell verschwinden und alles regeln könnte. Als ob das ein Spaziergang wäre, ein auf Zeit und Datum überschaubares Projekt.
Das war es beileibe nicht, bei Leibe und der Suspendierung in den Übergang, dem Verschwinden korrespondierte kein Wieder Ankommen. Auch wenn ich jetzt da stand, mitten im Predigerseminar zu Bonn, aus dem Ei gepellt und innerlich nackt. Tatsächlich hatte ich innerhalb von drei Jahren alles "geregelt". Zumindest von außen.

Innerlich kochte es. Innerlich konnte ich nach all den vielen Erfahrungen nicht glauben, dass es nun wirklich weiter geht. Versprechungen platzen zuvor wie Seifenblasen. Ohne Personalausweis musste ich umziehen, während der Operation. Eine Theologen WG wollte mich aufnehmen, allein der einzige Mann dort weigerte sich, während die Frauen keinerlei Bedenken hatte. Immer wieder diese Anfeindungen zwischendurch. Man betritt ein Zugabteil und scannt die Menschen, die Situation, den Raum. Unmerklich immer wieder. Woher könnte Gefahr kommen? Vor wem muss ich Angst haben?

Die Welt war auf einmal verschwunden gewesen. Und nun sollte sie wieder da sein? Unglaublich, wie ich da stand. Vikarin Karin Kammann. Wie fremd das klang. Wie ungläubig. Dachte ich wirklich, ich könne in dieser Kirche bleiben, die Menschen erst dann wieder ansieht und wahrnimmt, wenn alles vorbei und ausgestanden ist? Die wegschaut, statt wahrzunehmen?

Was mich damals rettete, war die Musik, die Freundinnen mit auf den Weg gaben. Elementar und klein. Der Walkman wurde mein bester Freund, der mich ins Leben stolpern ließ, mich wegbrachte von all dem "ZuViel", was da um mich war. Es waren Lieder wie dieses hier, die mir ans Herz wuchsen, die aussprechen konnten, wofür ich noch keine Worte hatte oder fand. Eine tiefe Trauer im Herzen. Der Wunsch nach Nähe und Umarmung - später dann.



Zuletzt waren es damals auch die Gedichte von Margret Atwood, die ich gegen die von Else Lasker Schüler gewechselt habe. Diese aus der Wirklichkeit geschnitzte Sprache, die nichts beschönigt oder aushaltbar macht - im Gegenteil. Diese Texte wurden fast mein inneres Gebet. Mein Mandala an den Gott, das mich rettete vor der allzeitig lächelnden Verfügbarkeit einer Kirche, eines Vikariates und der immer lauernden Gefahr der leeren Worte. Etwas zu beschönigen, was nicht schön war. So weiter machen zu können, als wäre nichts passiert. Und sprachlich brauchte ich eine Zuflucht vor dem Goodwill der Kirche, die nicht verstand, dass da nur ein Mensch war.

Verletzt. Traurig. Durchgekommen.
Überlebt. Irgendwie.

Auch dieses Gedicht gehörte dazu, für mich war es mehr ein Gebet.

"Dieses Gedicht ist traurig
& sentimental und voller
Klagen. Wo bist du gewesen,
als ich dich brauchte?

Ich würde gerne einen Strauß
hübscher sauberer Worte für dich pflücken
ihn dir überreichen und wieder gehen,
Zweck erfüllt. Ich bring´s nicht
fertig. Heute ist der kürzeste Tag
des Jahres, verschrumpelt,
blau gefroren & kalt, taubstumm.
Da an der Ecke, das bin ich. Eis-
regen im Nacken, wortlos. Wo bist du?"





________________________
P.S.: Vor ein paar Wochen habe ich mir die Mühe gemacht, nach den Kolleginnen und Kollegen zu recherchieren. Es war nicht allzu schwer. Bis auf eine, sind alle in den kirchlichen Dienst aufgenommen worden und arbeiten nun als Pfarrerinnen und Pfarrer. Ein Kontakt allerdings besteht heute nicht mehr. Wer ins lebenslängliche Beamtenrecht konvertiert, betritt einen neuen Raum. Und der verträgt sich kaum mit Sensibilitäten und der Ausschau nach denen, die es nicht geschafft haben.


Mittwoch, September 26, 2007

Bomot zwischen den Zeilen


Wer nicht vorkommen muss, kann da sein.
Mehr ist nicht, was ich suche.


(Formuliert anlässlich der Suche nach einer Co-Moderation im Xing Forum: Die Lust am Schreiben)

Sprudel Lisbeth

Eine Fingerübung aussem Ruhrpott
von Karin Kammann


Meine Oma, die Lisbeth, die hat nur Sprudel getrunken.

Dat kam vonne magere Jahre, als se da mit ihren fünf Kinders da saß, allein mitten nachem Krieg. Dat war nich so einfach. Dabei is mein Opa noch gar nicht ma im Krieg gefallen, sondern einfach im Jahr 46 umgekippt - mitten auffe Straße und tot. Und nix war mehr wie bisher.

Elisabeth heißt se eigentlich, aber Sprudel-Lisbeth hat man se genannt. Eben weil se dann nur noch Sprudel getrunken hat und nix anderes mehr. Und Sprudel Lisbeth - dat blieb se dann auch ihr Leben lang bis, - na ja, bis se mit 72 Jährkes mal an sonnem Baily Cream genippt hat und dann doch glatt sachte: "Kind, soo schlecht schmeckt dat nich. Wenn se mir da noch wat vonner leckeren Kondensmilch rein tus, dann is dat richtig lecker!"

Da waret dann nix mehr mit Sprudel und so. Da hatte se dann immer ne Flasche Bailys Cream mit der Bärenmarke auffem Wohnzimmertisch stehen. Süß wie sie nu ma war.

Nich, dattze jetzt ständig besoffen gewesen wäre. Ne, überhaupt nicht. Dat würde ja auch mitte Bärenmarke drinne gar nicht gehn. Aber nach einem Leben voller Gelassenheit und Entbehrung (immerhin hatte se alle fünf Kinder durchgebracht und is alle wat Ordentliches aus denen geworden) war se irgendwie auffen Geschmack gekommen. Dem vom Leben und mehr. Verbittert war die nie. Hätte se ja auch werdn können.

Im Gegenteil. Das war ein Ausbund an Humor, trotz alledem. Denke, so Menschen gibbet eigentlich nur im Ruhrgebiet und die ganze Unternehmenskacke, die wir da jetzt so erleben tun, so mitte RAG zum Beispiel, die dann die degussa frißt und zu Evonik wird, wat keiner hier verstehn kann - dat is nix fürn Ruhrpottler. Die kommen da einfach mitte Seele nich mehr nach.

Und die Seele, die war immer wichtig für Menschen von da.

Weisse, wennze auffem Pütt gearbeitet has, da musste se dich verlassen können. Da konnste nicht ma sagen: Ätsch, happich gar nicht so gemeint. Kommtgetz ganz anners, als besprochen. Du kannst da keinen Kohlenflöz im Zickzack durche Gegend ziehen. Dat klappt nich.

Aber die Manager von heute, die machen dat so.

Die sagen heute hü und morgen hott und dann müssen se alle springen, weil se sonst doch Angst vorm Arbeitsverlust haben. Beim Pütt weisse schon von langem, dat dat so nich klappen kann. Heute haltense alle die Schnauze und warten, bisset zusammen bricht. Und dann gehtet erst recht los.

Dat war damals wahrscheinlich nicht so. Da hatte se höchstens Angst, datte nicht mehr kanns. Datte den Rücken krumm hast, datt die Maloche deinen Körper gefressen hat. Aber Vertrauen, dat konnte se immer noch, auf wenne mittem Pülleken Bier am Büdeken standes und nix mehr zu tun hattes. Da warse nicht draußen aussem Leben, da stand dann immer einer mit dabei, dem et ähnlich ging oder anners - aber der war trotzdem da.

Dat dat Vertrauen gegen Geld getauscht wurde, gegen so Beraterblabla, dat is kulturell gesprochen die größte Katastrophe vom Pott. Da kommse nich mehr mit. Und die Manager da oben, die kennen dat gar nicht mehr. Datte mit Vertrauen vonne Kumpels oder Mitarbeiter arbeiten muss. Dat dat eine gemeinsame Unternehmung ist und datte Dir sicher sein muss, dat alle mitkommen, da unter Tage.

Heute knüppeln die nur noch auf Leistung, weil da son Schreibtischhengst von Berater wieder irgendwat ausgetüftelt hat, wat noch nie funktioniert hat. Da wird dann neuerdings jede Zeit, die de für etwas braucht erfasst und in Zahlen verarbeitet. Ein Mitarbeiter, so happich getz ma gehört, der wird zu sonner eigenen Einheit. Sone FTE, sagen se dazu und dann wird der gleich in Stücke gehackt.

Son dreiviertel FTE muss jetzt für die Arbeit genügen, sagen se dann. Und meinen, datte um 25 % einsparen muss. Oder drauflegen, je nachdem. Son FTE, dat bis du nämlich. Dat merkse aber erst später, wennse dir annen Kragen gehen mit ihren Zahlen und so. Da heisstet dann, datte hier und da noch wat mehr machen muss, und datt da dat doch besser und schneller gehen muss. Dat sind dann die "stillen Reserven" eines Unternehmens, so sagen se dann. Die Benchmark für schlanke Prozesse oder sonst son Quatsch.

In Wirklichkeit isset ne Katastrophe. Und die fressen dat Vertrauen auf und fressen dich gleich mit dazu. Son FTE is nen Full Time Employee, so heißt dat jetzt wat früher dein Kumpel war. Son Abreitsplatz. Dat ist jetzt nen FTE geworden. Toll wa?

Und dann krisse an alle Stellen son Prozent dran geklebt. Watte mehr machen muss, damitte bleiben darfs da inne Mühle, deren Richtung du schon lange nicht mehr verstehs.

Und Montags is dann immer dä Gottesdienst, wie wir intern immer sagen. Da bimmelt der Chef seine Manager zusammen. Die sind auf einmal alle da - sonst vertecken se sich immer hinter den Computer oder am Handy, sind nur am quasseln und keiner weiß, wat se wirklich machen - und dann müssen die Zahlen runter gebetet werden. Man, dat is als wär da sone Mutti, die die alle streng wat abfragt. Ich bin ma in son Treffen von denen reingeplatzt, weil ich da noch wat vergessen hatte. Da waren da voll am Zahlen klöppeln. Wie die Bekloppten. Nur Zahlen, sonst nix. Verstehse? Allet wird in Zahlen übersetzt. Dabei ginget eigentlich um uns und unsere Jobs.

Dat is allet nich normal, sach ich ma. Da hat die Sprudel-Lisbeth dat trotz allem Hin und Her in ihrem Leben, doch einfacher gehabt. Die hat noch vertrauen können. Dattet Leben gut weiter geht mir ihr. Dattet einer gut meint.

Dat mittem Härzeken und dem Vertrauen - sach ich ma, dat geht getz ganz hier weck. Dat is ganz selten geworden. Und daher wirtet dich nich überraschen, wat ich gestern gekauft habe. Ne?

Kannze Dir wahrscheinlich schon denken, oder?

Klar, ne Falsche Bailys Cream und ne dicke Dose Bärenmarke happich mir mitgebracht. Ich sach Dir, dat Zeug schmeckt ekelhaft, echt. Aber is immer noch besser, als all dat, wat die da oben inne Chefetagen für uns angezettelt haben.

Sach ich ma, oder?

Sonntag, September 23, 2007

SWR Nachtcafe - Begegnungen

Sicherlich ist es nicht einfach, nach Jahren wieder ins Fernsehn zu gehen. Man sollte sich klar sein, was man zu sagen hat. Und auch klar darüber, dass auch das Fernsehen seine eigenen Interessen hat, die nicht mit den eigenen zur Deckung zu bringen sind.

Es gibt so viele, die ins Licht möchten. Als ob die Kamera etwas mehr sagen könnte von dem, was ein Mensch erlebt hat, wie er fühlt und denkt. Als ob die Öffentlichkeit per se gut wäre. Das ist sie nicht - im Gegenteil, kann sie viel Unsinn anrichten.

So schrieb ich schon in meinem Vortrag
"Und danach - was dann?" für den CSD Kassel:

"Der Voyeurismus wird erst durch die Kamera bedient und weckt damit die Begehrlichkeiten eines Publikums, das in unserem Fall stets auf das Besondere und Exotische, das Fremde angefixt wird. Solidarisierungen werden im Blick der Kamera unmöglich. Das grelle Licht verbrennt die Zwischentöne, immer wieder werden dieselben Stereotypen transportiert. Darüber sind die vermeidlich Agierenden schon längst zu Objekten medialer Bedürfnisse degradiert und verschwinden als Person gerade dann, wenn sie sich in den Mittelpunkt stehen.

Mediale Dialektik.Der Begehrlichkeit des Auges kann sich niemand entziehen.

Was man im Alltagstest von Betroffenen tagtäglich erlebt werden kann, wird nun öffentlich kopiert: Das Erstaunen am Offensichtlichen. „Ey, was ist das denn?“ Keine von uns kommt an diesem Phänomen vorbei, nur ist es fraglich, dieses noch weiterhin öffentlich in den Medien ausführen zu müssen. Man muss einen neuen Weg finden, zu reden gegen den ersten und zweiten Eindruck. Denn in der Projektionen der Sehenden, im gebannten Auge bleiben auch wir Betroffenen gefangen und können uns nicht bewegen."

Auch der SWR wollte anfangs diese Muster bedienen. Fragte mich nach Vorher-Nachher Bildern, als ob das jemals etwas mehr zum Verstehen beigetragen hätte. Ich denke: Nein. Es fixiert mehr, als es Sprache gibt. Es bannt und hypnotisiert den Blick. Man sieht alles und versteht nichts.

Dennoch war es eine gute Sendung, die man jetzt Freitag, am 5. Okt. um 22 Uhr im SWR sehen kann. Eine Sendung, die auch mich berührte. So viele Menschen, die ihre Veränderung lebten.

Ingrid van Bergen
, die stets auf der Flucht ist - aus gutem Gewissen sozusagen. Denn für sie wäre es nicht auszuhalten, wenn sie stehen blieb. Das zu verstehen, ist nicht einfach, wenn man ihr begegnet.

Aber ab und an entstehen diese kleinen Momente. Wo es stiller wird um sie herum. Ruhiger. Wo man mal einen Moment stehen bleibt, weil man es sich erlauben kann. Das war, als ich sie am nächsten Morgen verabschiedetet - morgens um acht am Hotelausgang. Die Sonne schien und legte sich lächelnd auf den See vor Schloss Monrepos.

"Wat machse denn schon soo früh hier auffe Beine?" kam es von hinten, als man ihre Schritte auf dem Gang hörte. "Ich wollte Dich verabschieden!" "Mensch, dat bin ick ja gar nicht gewöhnt!" sagte sie und blieb dann diesen einen Moment stehen. Und dann wirkte sie auf einmal berührt und zerbrechlich. So, als könne man sie in den Arm nehmen, flüchtig, wie eine fallende Porzellan Puppe - nur nicht zu lange.

Der Moment ging vorbei. Wir lächelten uns an. Erkannten einander. Dann kam die Stimme von der Rezeption: "Frau von Bergen, Ihr Taxi ist da!" "Na, dann will ich mich wieder vom Acker machen!" sagte sie und packte ihren Koffer.

Es gibt Menschen, die sind so gezeichnet vom Leben, dass sie voran gehen müssen. Immer voran. Und das nicht, weil sie aus schlechtem Gewissen getriebene sind. Sondern weil sie schon einmal so furchtbar wehrlos waren. Weil ihre Haut auf den Markt der Medien getragen wurde, ohne dass man sich retten konnte. So soll sie reglos sitzen geblieben sein, damals bei ihrem Prozess.

Begegnungen wie diese versöhnen mich mit dem Gang an die Öffentlichkeit. Begegnungen wie diese zeigen, dass man Geschwister hat, die man an den Narben erkennen kann. Nicht den offensichtlichen, sondern denen, die man unter der Haut trägt, die feinen Risse auf der Seele, die nicht heilen wollen.

Dienstag, Juli 24, 2007

Anruf entgegen genommen

Es ist merkwürdig. Da ruft mich heute ein Bestatter an und möchte, dass ich eine Traueransprache halte. Eigentlich nichts Befremdliches. Man verhandelt geschäftsmäßig über den Preis. "Ich kann andere Redner anrufen, die machen das für 250 Euro!". Ich habe keine Lust zu verhandeln. Sage lapidar: "Wenn es Sie interessiert, schicken Sie mir doch die Unterlagen per Fax!" Was einige Minuten später auch geschah. Immerhin muss man sich die Preise nicht auch noch kaputt machen lassen.

Dann rufe ich im Trauerhaus an. Lasse klingeln. Einmal, zweimal, mehrmals. Spät, sehr spät wenn ich fast nicht mehr damit rechne, kommt eine brüchige Stimme. Eine alte Frau. Eine Mutter. Die Mutter einer Tocher. Der einzigen. Die wir zu Grabe tragen.

Selten habe ich am Telefon so viel Zwischentöne bemerkt. Ich bleibe und mache damit mehr, als ich darf. Normalerweise verabreden wir uns zu einem Gespräch. Nun höre ich zu. "Das ist alles, was ich sagen kann!" Ein sich wiederholender Refrain. Immer wieder. Als wäre sie an ihrer Grenze. Als könne sie nicht weiter.

Ich warte. Einen Moment und danach noch einen. "Sie ist ganz friedlich eingeschlafen .... ja, ich habe sie da noch sitzen sehen .... nein, sie wollte auch nur noch alleine sein .... einfach keine Luft mehr bekommen ... wollte nicht mehr .... ich weiß gar nicht mehr zu sagen .... Polizei war auch noch da .... so friedlich ... ja meine einzige Tocher ... " Ich bietet ihr an, um 16 Uhr vorbei zu kommen. "Nein, das ist nicht nötig .... ich weiss sonst nichts mehr zu sagen .... nein, sie haben sie nicht mehr aufgeschnitten ... natürlicher Tod .... wie ihr Vater auch ...nein nein, machen Sie sich keine Umstände ... ja, wenn was ist ... nein, ich weiss auch nicht mehr weiter ... " Es gibt diese Pausen zwischen den Zeilen.

Ich beschließe, nicht zu fahren. Auch sie will in Ruhe gelassen werden. Auch sie kann nicht mehr weiter. Was soll ich bei ihr - mitten im Wohnzimmer, in dieser Wohnung, wo schon der Vater starb, - friedlich - und nun auch die einzige Tochter starb - friedlich - und nun dieser Mutter da sitzt, mit dem Telefonhörer in der Hand, eine fremde Frau im Ohr, die zuhört und nichts viel sagt, sondern nur: "Das muss schlimm sein für sie."

Als ich vom Einkaufen zurück kehre, zeigt mir mein Telefon, dass ich vier Anrufe hatte. Viermal dieselbe Nummer. Einmal Weinen und Schweigen. Danach noch mal Weinen. Dann dieselbe brüchige Stimme. "Hallo?" und aufgelegt. Dann noch einmal mit dem Mut, doch reden zu können. "Sie können ruhig vorbei kommen!" Und legt auf.

Seit dreizehn Minuten versuche ich, zurück zu rufen. Zu sagen: "Ich habe Ihren Anruf entgegen genommen. Ich komme gerne." Ich erreiche sie nicht.

Habe ich es jemals getan?

Ich buchstabiere:

76 Jahre.

Der Mann gestorben.
Vor sieben Jahren. Friedlich.
Zu Hause.

Die Tochter gestorben.
Vorgestern. Friedlich.
Zu Hause.

Nein, Sie brauchen nicht kommen.

Zum ersten Mal habe ich Angst, sie könne diesen friedlichen Tod nicht überlebt haben. Zum ersten Mal denke ich, das war nicht gut. Es war nah, dieses Gespräch. Wie an der Netzhaut des Lebens. Nicht viele Worte - dazwischen mehr als genug.

Ich rufe wieder an.
Bis ich dran bin.

Hoffentlich.



Parsevalstr. 26a

Gerade entdecke ich auf dem vom sozial-psychiatrischen Dienst in Düsseldorf ausgestelltem Passierschein und Attest diese Adresse.

Tatsächlich - hier war mein zu Hause. Parsevalstr. 26a in Wuppertal. Hier unter dem Dach begann mein Übergang, Umstieg, Transitus. In einem kleinen Fachwerkhaus, versteckt in Unterbarmen, sanft gelegen am Fuße der Kirchlichen Hochschule, wo ich studierte um mein Examen abzulegen.

Bild: Karin Kammann
Hier haben wir auch geheiratet und hier haben wir uns getrennt. Hier schrieb ich eines Abends auf der Schreibmaschine, was ich nicht über Jahre nicht sagen konnte. Was ich für mich behielt und was ich als Krankheit zum Tode erachtete. Während ich in die Tasten griff, und Type auf Type, Buchstabe für Buchstabe in das Papier drückte, sah sie mir über die Schulter und ahnte wohl, dass sich unser Leben ändern sollte.

Zum ersten Mal konnte ich mich einem Menschen anvertrauen. Und dann in einer Art und Weise, die ihn unglücklich machen würde. Selige Dialektik. Trautes Willkomm mit Tränen in den Augen.

Nicht konnte ich sagen. Ich saß da und schrieb mir die Seele wund. Nein, gewollt hatte ich es auch nicht - und doch, sonst würde ich es nicht tun. Nein, gehen wollte ich diesen Weg nicht und ging ihn doch. Gewünscht habe ich es mir nicht und eigentlich doch immer: dass wahr wird, was ich fühlte. Dass das Leben mich einholen möge, auch wenn es seinen Preis haben würde.

Gefunden hatten wir diese Wohnung durch Vermittlung der Kirchlichen Hochschule. Da gäbe es eine ältere Dame, die noch eine Wohnung frei hätte. So kam es, dass wir unter dem Dach eine ganze Etage für uns hatten, zwei Zimmer plus Küche und Bad. Urgemütlich mit Klappfenstern. Kleinen Aussichten über das Wuppertal. Wenn ich recht überlege, war mein Ort immer schon unter dem Dach, so auch hier wo ich diese Zeilen schreibe.

Unter dem Dach - das heißt auch nur noch den Himmel über sich. Ich erinnere mich noch an schlaflose Nächte, in denen nur der Mond durch das Fenster zog. Das endlos lange Blicken auf die Wolken und das ungläubige Staunen über mich selber: sollte das tatsächlich mein Weg werden?

Immerhin war ich damals ein frisch verheirateter Theologiestudent vor dem Ersten Examen mit den allerbesten Aussichten auf eine kirchliche Karriere. Ich hätte einfach nur JA sagen müssen und die Wahrscheinlichkeit, dass ich jetzt als wohl bestallter Pfarrer mit Frau und vier Kindern am Niederrhein leben würde, wären nicht gering gewesen.

Wer mutet sich selber und vor allen den anderen so etwas zu? Und doch war es im Moment, da ich saß und schrieb wie eine Erlösung. Was ich über Jahre mit mir trug, was ich wie mein innerstes Geheimnis hütete, fand den Weg nach außen. Vielleicht habe ich diesen Umweg über diese Familie nehmen müssen, dass ich Vertrauen lernte. Dass ich mich angenommen fühlte, immerhin war mein Schwiegervater dann der nächste Mensch, der von meiner Ent-Scheidung erfuhr und mich - wider allem Erwarten - in den Arm nahm und drückte. Den Geruch seiner Wildlederjacke habe ich heute noch in der Nase.

So schmeckte ich das Vertrauen nur kurz und wie ein hungriger Mensch, hieß diese Entscheidung zugleich auch, dass diese Ehe beendet werden würde, dass ich nicht bleiben konnte. Was ja auch richtig ist und war, was nicht ich zu entscheiden hatte, sondern andere. Ich war einverstanden und die Abmachung galt: wenn die Operation ansteht, trennen wir uns. Bis dahin konnte ich bleiben.

Es wurden zwei Jahre dann und auc hwenn ich schnell startete, dauert die Bewilligung eines Geschlechterwechsels bei laufendem Leben doch etwas länger und man muss unzählige Prozeduren und Begutachtungen über sich ergehen lassen, muss ausweisen, dass man es ernst meint und vor allem eines lernen, jetzt wo die Entscheidung gefallen war und das war Warten.

So kamen diese Nächte zustande, an denen ich am Fenster stand, den Mond und die Wolken beobachtet und meine Entscheidung in mir Echo fand. So kam dieses merkwürdige Erleben zu mir, endlich losgegangen zu sein und doch still zu stehen. An der Holzwand hatten wir ein Bild, das ich bis heute lieb gewonnen habe. Ein Chagall. Der Rabbi mit der Thora. Und merkwürdig genug, wurde er mir in all den Nächten zum stillen Mitwisser und Freund.

Quelle / Link: www:artprints.com

Kann sein, schon hier war mir der Rabbi näher als der Pfarrer. Der die Thora trug wie ein kleines Kind, wie das Leben selber. Einige Wochen später begann ich die Hormontherapie, spürte von tag zu Tag die Veränderung, begrüßte sie und wusste zugleich: ab einem gewissen Punkt ist das unveränderlich.

Erstaunlicher Weise bestand ich mein Examen, damals schon in ein kleines Gästezimmer gezogen mit einem Schreibtsich auf Holzböcken, drei mal zwei Meter Leben mit Aussicht ins Tal. Eigentlich eine unerhörte Leistung, ging doch im Jahre 1986 fast ein Drittel der Kandidaten nicht an den Start. Ich wusste zugleich, dass dies meine einzige Chance war. Jetzt oder nie. Zumal nach einem halben Jahr Hormontherapie.

Der Kirche offenbarte ich mich wenig später, im Oktober 1986 in einem ausführlichen Gespräch mit dem damaligen Ausbildungsreferenten Mehlhausen. Ich sagte, dass ich mich ändern würde, dass ich eine Frau werde und legte ihm als Bestätigung das Transsexuellen Gesetz von 1981 auf den Tisch, das ich zuvor auf dem Kopierer der Kirchlichen Hochschule gelegt hatte. 10 Seiten Gesetz. Merkwürdig genug, fand sich weder dieses Gesetz noch eine Aktennotiz in meiner Personalakte wieder.

Danach passierte erst mal gar nichts. Ein Jahr lang versorgte meine Partnerin mich, während ich Gutachten und Artzbesuche hinter mich brachte. Ein Mensch, der sich selber anzeigt. Als lebendig. Unvorstellbar das ganze, wenn man bedenkt, dass bei laufendem Scheidungsverfahren (das ja auch eingereicht werden musste) ich dennoch in der Parsevalstr. 26a mein Asylplätzchen finden konnte. Dafür bin ich bis heute noch dankbar weit über das hinaus, was ich hier schreiben kann.

Der Alltag stellte sich ein. Bei der Bäckereiverkäuferin war ich auf einmal die "Cousine". Der Friseur versuchte sich an einer ersten Minipli. Ich machte die verrücktesten Sachen, wollte und musste ich doch auf - unter Beobachtung - dokumentieren, dass mein Wollen echt und mein Wunsch zu wechseln nicht zu erschüttern sein. Wohin der Weg mich führen sollte - ich wusste es nicht. Wusste aber wohl, dass ich Schritt halten wollte, den Rhythmus erkennen wollte von Stehen und Warten, von vorsichtigem Gehen und Ausprobieren.

Erst viel später dann sollte auch die Kirche sich wieder melden. Es gab, sicherlich auch durch die wohlwollende Intervention meines Schwiegervaters, der in Sekunden begriff was die Kirche bis heute nicht verstand, und eines weiteren Superintendenten des Kirchenkreises Jülich nach einem Jahr Wartezeit ein befristetes Stipendium. Unmöglich auch, dass meine Ehefrau bei weiteren Scheidungsverfahren noch weiter für mich aufkommen sollte. Es gab zudem ein Versprechen, dass ich nach Düren kommen könne. Um erneut Fuß zu fassen. Allein, es geschah nicht.

"Grünes Licht!" so hörte ich stets. Und nichts geschah. So musste ich ausziehen, während meiner Operation. So musste ich mir ohne Personalausweis eine neue Wohnung suchen, aber das ist eine andere Geschichte und die soll ein anderes mal erzählt werden.


Montag, Juli 23, 2007

Passierscheine ins Leben

So sehen sie also aus, diese Passierscheine im Niemandsland der Geschlechter.

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Man fügt diese Bescheinigung dem Personalausweis bei und hofft, damit "durch" zu kommen. Passing sagt man im Englischen dazu und meint, dass man eine Grenze schon längst überschritten hat und nun - amtlich bestätigt - eine neue Begrenzung braucht, um nicht ganz schutzlos da zu stehen. So hatte ich also eine Zeit lang meinen eigenen Passier- und Begrenzungsschein immer bei mir.

Ausgestellt wurde dieser tatsächlich vom sozial-psychiatrischen Dienst der Stadt Düsseldorf. Dr. Behrends, dem ich nach wie vor sehr zu Dank verpflichtet bin für seine unkomplizierte Tat. Denn während die Kirchenfürsten sich voyueristisch selber lähmten, schrieb er mir dieses Attest, mit welchem es mir dann möglich war, eine Wohnung in Wuppertal anzumieten.

Tatsächlich bin ich während meiner Operation zugleich umgezogen, weil der Superintendent von Jülich nicht in der Lage war, seine Hand zu reichen dann, als ich sie dringend gebraucht hatte. Immer wiederholte er "Grünes Licht!" - aber es war niemand da, der den Gang einlegte.

Wahrscheinlich sah auch er nur zu, was werden würde, fasziniert von einem Menschenkind, das öffentlich und offensichtlich aus dem angeborenen Geschlecht desertierte. Sah zu und tat nichts.

Ich glaube tatsächlich, da entsteht eine eigene Asynchronität, die es kaum mehr erlaubt, Vertrauen zu fassen. Weil man alles sieht und doch nichts tut. Weil das Auge erblindet, wenn es alles sehen will. Weil der Voyeurismus die eigene Phantasie ins Spiel bringen will, anstatt wirklich zu tun, was nötig wäre.

Umso witziger, dass nun - zwanzig Jahre danach - das Landeskirchenamt den sozial-psychiatrischen Dienst in Düsseldorf meint in meiner Angelegenheit einschalten zu müssen. Was wiederum vortrefflich zeigt, dass sie nichts gelernt haben. Aber auch gar nichts.

Ein Theologe aus der Dritten Welt sagte mir mal auf meiner ersten Karl-Barth Tagung auf dem Schweizer Leuenberg, für ihn fasse sich die gesamte Theologie in einem einzigen Satz zusammen:

"Großes Problem, ein Mensch geht vorbei!"




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P.S.: Erschreckend bis witzig war es, neulich zu erfahren, dass das Landeskirchenamt tatsächlich in meinem Fall zuletzt genau denselben sozial-psychiatrischen Dienst in Düsseldorf einschalten wollte. 20 Jahre danach, allerdings nicht für ein Gutachten, sondern offensichtlich um mich zwangsweise untersuchen zu lassen. Was ja wohl auch auf das Trefflichste anzeigt, wieviel Jahr sie zu spät kommen. Natürlich hat sich die Leitung des Dienstes- trotz Bitten des Landeskirchenamtes - jedlichen Kommentares zu mir und einem solchen Ansinnen enthalten. Recht so.

Der kleine Unterschied

Oft werde ich jetzt schon mal gefragt, was anders geworden ist dadurch, dass ich keine Pastorin mehr bin und auch nicht mehr werden kann. Ich gebe zu, da schwingt für mich auch jede Menge Verletzung mit. Unfassbarkeiten, die man nicht für möglich gehalten hat.

Und dennoch gibt es einen kleinen Unterschied, der sich sehr positiv auf mein Leben auswirkt. Als Pastorin war es mir unmöglich, mich zu meiner Geschichte zu verhalten. Es war wie durch eine gläserne Wand, da durfte nichts nach außen dringen. Da war die Pastorin hier, die zu funktionieren hatte und in ihren Maßen durchaus auch eigene Gedanken haben durfte. Und da war meine Geschichte, all das Er- und Durchlebte zwischen den Geschlechtern, diese Reise, die ich ja schon im Jahre 1986 dann begonnen hatte. Davon war zu schweigen. Davon durfte ich nichts sagen. Das war mein persönliches Problem.

Ich glaube, so ein Spaghat der Seele ist nur bedingt zu leben. Das kann auf Dauer eigentlich nicht gut gehen. Und irrig ist die Annahme, dass man einfach mal das Geschlecht wechseln könne. Das geht nicht, weil die dort und dabei gemachten Erfahrungen eben nicht rudimentär sind, sondern prägend für den weiteren Lebensweg. Das geht erst recht nicht, weil die Erfahrung von Einsamkeit, von ganz alleine sein, sich einbrennt gerade dort, wo es um Kirche geht.

Sicherlich, im besten Glauben mögen sie gedacht haben, das macht man eben und dann ist alles wie bisher, nur dass wir jetzt alle zusammen Frau K. sagen und nicht mehr Herr K. Das ist vielleicht exotisch, aber das bekommen wir viel besser hin, als wenn wir uns ernsthaft damit beschäftigen müssen, welche Erfahrungen dort gemacht werden.

Undenkbar bis heute, dass die Kirchenleitung realisisert hätte, dass so ein Weg auch durch Anfechtungen, durch Pöbeleien ging. Einmal bin ich sogar auf dem Weg zur Ev. Ehe- und Lebensberatung, wo ich für 100 Mark im Monat nachmittags das Telefon bedienen konnte, in der Unterführung angespuckt worden. Das alles geschah ebenso wie die Pöbeleien in der Schwebebahn, das unwillkürliche Wechseln der Straßenseite, wenn man sie schon auf sich zu kommen sag und zugleich wusste, es nutzt nichts. All diese Erfahrungen durften in der Kirche nicht vorkommen. Und gerade sie machten mich aus.

Nun, wo ich keine Pastorin mehr sein und werden kann, kommen diese Geschichten zurück. Nicht mehr in der alten Angst, nicht mehr in der Not - sondern eher wie alte Freundinnen. Weil sie auch zu mir gehören, weil man sie nicht von meinem Lebensweg abschneiden kann. Weil sie vielleicht auch einen wesentlichen Teil meines Lebens ausmachen.

Als Coach kann ich authentisch sein. Als Coach und Beraterin kann ich diese Geschichten alle als Freundinnen mitnehmen und muss mich nicht verstecken, muss sie nicht abspalten von meinem Alltag. All das, was ich mit großen Druck in dieser Kirche verdrängen musste, kann auf einmal da sein.

Auch die Trauer und die Tränen. Denn die hat es ja auch immer gegeben. Die vielen Verlusterfahrungen. Freunde, die mich verlassen haben. Einsamkeiten, die ich durchlebt habe. All das gehört nun, wie ein paulinischer Peristasen Katalog dazu. Und es macht den inneren Reichtum aus, die innere Spannweite, die man nur entwickelt, wenn man sich in den eigenen Widerspruch begibt, wenn man wagt, was es zu wagen gilt: Ich setze meine Fuß in die Luft und sie trug.

Daher kommt innerlich nun eine andere Verwurzelung zum Vorschein: Im Einklang zu leben und diesen kleinen Unterschied kenntlich zu machen. Eben, dass ich nur so, in und mit dieser Geschichte, die sicherlich nicht nur schön war, ich selber sein kann. Dass ich sie weder zur Schau stellen muss, nocht verleugnen.

Die Kirche selber konnte das nie begreifen. Die schrieb bis zuletzt noch, dass ich meine Geschlechterkonversion "funktionalisieren" würde, ohne jemals begriffen zu haben, was es denn gewesen ist. Daher ist es ja eigentlich witzig, wenn das Landeskirchenamt mich zum sozial-psychiatrischen Dienst nach Düsseldorf überweisen möchte - eben dorthin, wo ich im Jahre 1987 mein erstes Gutachten erhalten habe. Der Kreis des Unverständnis schließt sich damit. Und ich bleibe bei mir und mir selber treu.

Ein andere Gedanke zugleich: Kann sein, ich muss gar nicht mehr predigen. Kann sein, ich kann schreiben und mit dem, was ich dort zu sagen habe, die Menschen ganz anders erreichen als im Talar vor ca. 20 Predigthörern. Das Lesen braucht keine Kanzel. Das Schreiben kommt mir vor wie innerer Balsam.

Daher wird es Zeit für mein Buch und die Treue zu diesen Fingerübungen. Schön, wenn Menschen mitlesen. Ich danke Euch dafür.

Oder anders gesagt: Es lebe der kleine Unterschied.






P.S.: Ein kleiner Nachtrag zu sog. Peristasen Katalogen.
Eigentlich kennt man sie in der Kirche oder Theologie überhaupt nicht mehr und mich wundert es auch nicht, dass diese Kernstücke der frohen Botschaft, die mit Erfahrung getränkt sein will, in Vergessenheit geraten ist. So schreibt Paulus im zweiten Brief an die Korinther in sechsten Kapitel einen Peristasen Katalog, wie ich ihn lieber nicht lesen möchte und der mir mehr vom Evangelium zeigt, als alle sonntägliche Predigt wohlbestallter Kirchenbeamten:

...
als die Verführer, und doch wahrhaftig;
als die Unbekannten, und doch bekannt;
als die Sterbenden, und siehe, wir leben;
als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet;
als die Traurigen, aber allezeit fröhlich;
als die Armen, aber die doch viele reich machen;
als die nichts innehaben, und doch alles haben

So - denke ich.

Genau so müsste Evangelium gelebt werden.

Als sich bewahrheitende Erfahrung, die vor den dunklen Seiten nicht Halt machen muss. Die sich zeigt und bereit ist zu zeigen: verletzlich weit mehr und offen, nicht nur für sich. Die gibt gerade dann, wenn es nichts mehr zu verteilen gibt. Die Offenheit lebt, wenn sie Verletzlichkeit wagt, die nicht fragt nach Effizienz und nutzen, sondern stolz ist, da zu sein. Mehr nicht.


Im Landeskirchenamt durch den Spiegel springen

Nun, ich hätte mich selber dafür nicht fähig gehalten. Aber ich habe es getan. Am Donnerstag bin ich - mit durchaus zittrigem Herzen - ins Landeskirchenamt zu Düsseldorf gegangen. Der Ort, den ich wohl - nicht nur von den Toilettenanlagen beiderlei Geschlechts - am besten kennen gelernt habe. Ein blass grauer Betonbau, inzwischen mit einem Atrium ausgebaut und neuerdings auch Videokameras, damit nicht jeder unangemeldet herein kommen kann. Wo wir im Ersten Theologischen Examen 1986 uns noch nass regnen ließen und unsere erste Zigarette nach den Prüfungen rauchten, befindet sich nun ein großer Holztresen von Glas überdacht. Dahinter wurde wie ein müder Kapitän auf See ein Pförtner platziert, der alles im Griff haben soll, nicht unähnlich dem Entree der umgebenden internationalen Unternehmen, nur etwas müder als hätte man ihn nach langem Schlaf unwillig geweckt. Schlafes Bruder im Herrn.

In der Kriminologie sagt man ja wohl nicht zu unrecht, dass ein Täter gerne den Tatort wieder aufsuchen soll und in ungefähr war es ja auch so, denn im September letzten Jahres hatte ich ja in öffentlicher Aktion meinen Talar dort niedergelegt und durch die Verbrennung der landeskirchlichen Androhung, mir nun letzlich und endgültig die Ordinationsrechte zu entziehen (wer erinnert sich da nicht an einen Mönch aus Wittenberg) dokumentiert, dass ich nicht länger zum Gehorsam gegenüber diesem Landeskirchenamt bereit war.

Bild: R.Reschkowski

Nun also kam ich zurück, um meine Personalakte einzusehen. Das ist ein gutes und verbrieftes Recht und wo man nichts mehr verlieren kann - die Ordinationsrechte wurden natürlich entzogen - wächst eine eigentümliche Freiheit. Man muss sich von solchen Besuchen zum ersten Mal nichts mehr versprechen. Die Hoffnung, die mich seit dem Jahre 1986 begleitete, doch noch in diesem Beruf arbeiten zu können, das Vertrauen, dass ich damals im Oktober dem Ausbildungsreferenten Herrn Mehlhausen entgegen brachte, als ich ihm meinen Wechsel geflissentlich anzeigte, es gäbe einen kirchlichen Ort für mich - all das war vergangen und vorbei. Die Kirche hat ihre eigene Antwort gegeben und nun war ich da, diese in der bestens dokumentierten Personalakte nachzulesen.

Denn eines musst man ihnen lassen: auch wenn es umfangreiche vier (sic!!) Ordner waren, so konnte man fast alles Wesentliche darin wieder finden und - vor allem - noch viel mehr. Freundlich wurde ich von der Kirchenbeamtin in ihr Arbeitszimmer gebeten, die Akten lagen zur Einsichtnahme bereit und insgeheim sah ich auch ein leichtes Lächeln um ihren Mundwinkel. Grad so als wolle sie sagen: Mensch Frau Kammann, das hätte ich auch nicht erwartet, dass sie klein beigeben bei diesem wohl produzierten Stapel Papier hier vor mir.

Vier Katen auf einem Tisch - wer konnte das schon von sich behaupten, wo doch heute nur noch die Menschen genommen und gewählt werden, die keinen Ärger machen, deren Akte und Charakter handhabbarer zu sein scheint und deren Aussagen stromlinienförmiger. Ein Doppelhefter Leben in Papier reicht meist für eine lebenslange Beamtenkarriere. Bei mir waren es nun vier Ordner, die da wie ein verstaubtes kirchliches Leben zwischen blassgrünen Deckeln vor mir lag.

"Die zwei dünnen, blauen Aktenordner sind ihre Verfahren vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht!" kam es freundlich von hinten, von einer sicherlich sachkundingen Mitarbeitenden. Ach ja, die Verfahren - einmal ein gewonnenes aus dem Jahre 1999, acht Jahre jetzt her, als ich im Sonderdienst nicht beschäftigt wurde. Eine ganz merkwürdige Geschichte, wo auch in den Akten nicht mehr nachzulesen war, was da geschah im Jahr 1996, wo eine Gemeinde mehrheitlich mit nur einer Gegenstimme meinte, mich aus dem kirchlichen und damit pastoralen Dienst entfernen zu müssen.

Die Hoffnung trog, dort etwas mehr erfahren zu können als das, was bekannt war. Wegen nicht näher zu bezeichnender "Verhaltensauffälligkeit", hieß es etwas gedrechselt im Anschreiben des späteren EKD Präses Kock, so als hätten sie krampfhaft etwas gesucht, was man auch auf Papier bringen könne. Es blieb nicht viel, aber in der Durchsicht meiner Akten fiel hier zum ersten Mal das Wort: "verhaltensauffällig " und als Leser von Institutionsakten versiert war, hörte hier schon die Glocken schrillen. Eine verhaltensauffällige Pastorin - das ist schon ein Skandal in sich, wie er seit Martin Luther sicherlich nicht mehr vorgekommen ist. Eine Predigerin, die sich nicht anpassen will - da ist doch höchste Aufmerksamkeit geboten. Wo kommen wir denn hin, wenn das alle tun würden.

Kurzum, nach diesem Beschluss konnte man mir zwar die Bezüge nicht verwehren, da ja ausdrücklich und schriftlich testiert "kein konkretes Verschulden nachweisbar" sei, aber man war sich einig, dass ich als Pastorin nicht mehr taugte und ließ mich fortan nicht mehr auf die Kanzel. Meine Klage - ich kehre zur ersten blauen Akte zurück - war erfolgreich. Das kirchliche Verwaltungsgericht attestierte in der Auffassung, ich müsse - wenn schon denn schon - auch predigen dürfen. Zwar kam dieser Beschluss zu spät - schon im April 2000 wurde ich durch Zeitablauf entlassen - dennoch war er für mich eine tiefe innere Befriedigung. Dass ein Landeskirchenamt nicht eben machen kann, wie es will. Und dass es - so glaubte ich es damals noch - eine eigene, unabhängige Justiz auch in Kirchenkreisen geben kann.

Das war also die eine Gerichtsakte, das gewonnene Verfahren 1999, das dann doch keine wesentlichen Konsequenzen mehr zeitigen konnte. Interessant allerdings war, dass man - trotz verlorenem Verfahren und Kostenfeststellungsbeschluß - meinen Anwalt nicht bezahlen wollte. Der musste sein nicht allzu üppiges Honorar mehr als zweimal beim Landeskirchenamt anmahnen, was ich für einen sehr zynischen Umgang eines Verlierers erachtete. Immerhin war mein Anwalt schon weit über 70 Jahre. Unverschämt und - mit dem Blick in diese Akte - tatsächlich belegbar.

Die zweite blaue Akte umfasste mein letztes Verfahren aus dem Jahre 2006, in welchem die Kirche letzt-gültig entschied, dass keinerlei Fürsorgepflicht gegenüber mir bestehe. Entlassene Theologen gelten damit rechtlich als nicht-existent und endgültig ent-sorgt. Das bestätigte dieses Urteil. Es gibt sie schlicht nicht mehr, egal ob sie arbeitslos oder Hartz IV sind, egal ob sie als Mutter oder Vater Verantwortung übernommen haben, egal ob sie Jahre zuvor für diese Kirche gearbeitet haben oder was auch immer. Mit der Entlassung aus dem kirchlichen Dienst wird der Dienstherr blind.

Auch diese Entscheidung brachte die Dinge auf den Punkt. Arbeitslose Theologen überlässt man besser sich selbst. "Pech gehabt", sagte damals die Richterin, als ich darauf verwies, dass auch mein damaliger Sonderdienst ja de jure gar nicht geleistet wurde, da über Jahre hinweg keine Dienstanweisung für mich bestand. "Das hätten sie sofort damals einklagen müssen. Jetzt ist es zu spät." Und so beschränkte sich sich auf ein rein formelles Verfahren voller verfahrensrechtlicher Richtigkeiten. Eine unabhängige Justiz in der Kirche, so wie ich es 1999 noch dachte, verflog im Kopfnicken der Entsorgungspezialisten. Es wurde ausgeführt und ausgegrenzt. Die Institution feierte sich selber, hatte sie jetzt doch alles richtig gemacht, war dieser Prozess nicht zu verlieren und zeigte doch nur, dass der Mensch schon lange ausgezogen war in diesem Verfahren.

Keine weitere Fürsorgepflicht, sobald man entlassen wurde. Basta. Und aus die Maus. Keine Hilfe vom Arbeitsamt oder der Agentur, da man als Beamter dort nie Beiträge eingezahlt hatte. Keine Hilfe, obwohl man sich verbindlich auf diesen und keinen anderen Weg mit der Kirche eingelassen hatte. Immerhin habe ich das nun schriftlich in einem Urteil bekommen.

Die anderen beiden großen Aktenordner quollen über. Manchmal muss man durch den Spiegel springen, um in ein neues Land zu kommen. Und in diesem Papierwust kam mir eine Menge Erinnerung entgegen. Gut dachte ich noch, dass ich ruhig bleiben kann. Dass ich hier Einsicht nehme und mir niemand das Recht dazu streitig machen kann. Eigentlich haben sie die Arbeit besser gemacht als ich. Hier liegt das Recherche Material für mein Buch: mitten im Landeskirchenamt von beflissenen Kirchenbeamten liebe- und mühevoll zusammen getragen. Zu oft las ich dabei den Vermerkt: Akte nicht in Registratur.

Auffällig zuletzt waren mir noch drei erstaunliche Feststellungen, die das letzte Jahr betrafen. Da konnte ich also lesen, dass das Landeskirchenamt tatsächlich versucht hat, den sozial-psychiatrischen Dienst einzuschalten. Was sie dort wohl wollten? Natürlich war und ist es immer noch der einfachste Weg, einen Dissidenten, einem Menschen mit abweichender Meinung, der psychiatrischen Begutachtung anheim zu geben. Aber für ein Landeskirchenamt dann doch etwas mehr als abenteuerlich, wenn man sich zugleich zu Gemüte führt, dass niemand über die Monate mit mir in Kontakt trat geschweige denn mit mir geredet hat. Das wäre ja das Mindeste gewesen, was man hätte tun können. Statt dessen rief man die Sozialpsychiatrie auf den Plan, die einen Paulus sicherlich auch als dankbares Objekt der Begierde unter Beobachtung gehalten hätte. Allein, die Psychiatrie hat sich inzwischen auch verändert und die Antworten von dort waren mehr freundlich und bestimmt: Tut uns leid, wir haben und sehen keine Handhabe, gegen Frau Kammann tätig zu werden.

So saß ich da und staunte, was sich meinen Augen darbot. Notierte dann Namen und Telefonnummern und werde bei Zeiten dort sicherlich einmal anrufen und vorsprechen, was denn nun wirkliche das Begehren des Landeskirchenamtes war.
Immerhin - und davon gibt es zwischen diesen Aktendeckeln nicht wenige - ein unerhörter Vorgang eines ehemaligen Dienstherrn gegenüber seiner immer-noch Theologin, auch wenn sie inzwischen qua Rechtsspruch als nicht-existent im Sinne kirchlicher Fürsorge und damit der Wahrnehmung definiert wurde.

Noch toller kam es, als ich die Aktennotiz der Polizei Düsseldorf las, an die sich das Landeskirchenamt - wohl in Person des Oberkirchenrates Dembek - gewendet hatte. Dort wurde dann empfohlen, "bevor Frau K. das Gebäude betritt, die Nummer 110 zu wählen." Puh, das muss man sich erst mal vorstellen. Ein Taliban ist nichts dagegen, zumal er meist keinen Namen hat und auch nicht öffentlich als Frau K. auftritt. War ich etwas über Nacht zu einem öffentlichen Sicherheitsrisiko geworden, gegenüber der man zur Gefahrenabwehr die Polizei einschalten musste?, sinnierte ich noch über den Schreibtisch gebeugt.

"Danke," sagte ich der Kirchenbeamtin, als sie mir beim Aktenstudium ein Glas Wasser hinstellte. "Danke, dass sie nicht gleich die 110 gewählt haben, als ich heute bei Ihnen zur Akteneinsicht kam." Sie lächelte nur und antwortete: "Ich habe da besser mal keine Meinung zu." Und ich denke, sie tat gut daran.

Zu Mittag verließ ich das Landeskirchenamt. Nicht in Handschellen, sondern als durchaus freie Frau und Theologin, mit ein paar mehr Erkenntnissen und Fakten bewaffnet als zuvor. Der Pförtner winkte freundlich und fragte: "Alles bestens erledigt?" Ich nickte und ließ die Glastüre hinter mir zufallen. Draußen hatte es geregnet. Die Luft war - oder kam es mir nur so vor - merkwürdig frisch und klar. Ich kickte meine Vespa an und verschwand - bis zum nächsten Mal.


P.S.: Sie glauben es nicht, was ich hier geschrieben haben? Nun, kommen Sie doch das nächste Mal einfach zur Akteneinsicht mit. Es gibt ein nettes, kleines Zimmer, etwas Mineralwasser und einen freundlichen Pförtner, der die Lage im Griff behält. Und Einsicht nehmen darf jeder unter der Voraussetzung, dass er von mir beauftragt wurde. Ich nehme an, das wird man dann auch schnell ändern.