Montag, November 12, 2007

Boha ey - Wuppertal

Schön, dass es ein gemütliches Wochenende war.
Ja, das tut gut bei so einem Wetter. Bindfäden von Regen. Die Nachbarin nebenan klärte mich auf: 40 Liter Niederschlag am Niederrhein. Beindruckend und weit mehr ...

Zwischen durch waren wir mit Tante Gerta in Wuppertal. Gerta ist die Schwester von Petras Vater. Willi und Gerta. So nannte man die Kinder - damals. In Wuppertal wir dann Tante Reni, die eigentlich Irene heißt und im zarten Alter von 94 Jahren ist. Zugleich ist sie die Schwester von Petras Muter. Geborene Becher zu Wuppertal.

Beide - Gerta und Reni - kennen sich sehr gut. Über die Jahre hinweg. Über alle Jahre. Petras Mutter wurde frühzeitig von Wuppertal nach Krefeld evakuiert. Das geschah nach den ersten Flächenbombardements im , als noch Hitler Häuptling der Deutschen war. Da übten die Alliierten noch in Wuppertal - fürs Ruhrgebiet.

Ab und an blieben daher im Tal komplette Straßenzüge stehen. Ein bizarres Bild bei aller Zerstörung. Noch hatte man , gelernt, die Bombardierung dort fortzusetzen, wo man aufgehört hatte.

Damals, so sagte er es mir, stand mein Vater den Höhen von Essen-Werden und sah die Stadt brennen. Lichterloh. Wie eine Vorahnung auf das Kommende. Auch 330 Kilometer Luftlinie waren klar genug. Auch um die Anneliese nach Krefeld zu evakuieren. Dort, wo der Willi (Petras Vater) schon immer wohnte, aber jetzt auch unterwegs war. Es war Krieg. Beide haben geheiratet zwischen Bomben und Bleiben die Liebe besiegelt und Anneliese blieb in Krefeld. Bis sie starb.

Immer wenn es dann nach Wuppertal ging, wurde es Petra als Kind schlecht. Wuppertal, das war ihr zu eng. Kein Horizont. Alles grau. Kein Himmel mehr. Nur Häuserschluchten am Arrenberg. Ich kann es heute verstehen, habe ich doch selber Jahre meines Lebens zugebracht, darunter gute wie schlechte

Während die beiden sich dann unterhielten, haben wir mit Rocco die klassische Schwebebahnfahrt gemacht. Und Erinnerungen stiegen in mir auf .Dort habe ich meinen sog. Alltagstest verbracht. Einmal mutwillig zwischen alle Geschlechter sich setzen. Weiter gehen als alle anderen. Die Kopfhörer des Walkmans schützen mich vor dem, was andere mir zudachten. Angst bis unter die Kniekehlen manchmal, sich so nackt und verletzlich auszuliefern. „Ey guck mal! Wahnsinn. Ist dat ein Mann oder eine Frau? Schwuli Du ... „ und all das, was man kostenlos in öffentlichen Verkehrsmitteln zu hören bekommt. Nun war die Fahrt beschaulicher und dennoch zitterten die Knie wieder. Immer wieder diese Situationen. In der Schwebebahn, auf der Straße. "Passing" heißt diese Übung und sie wollen sehen, ob man das auch stehen kann – obgleich man sich weder körperlich noch sonst wo seiner selbst versichern konnte. Aber egal jetzt ....

Rocco fand die Fahrt ausgesprochen amüsant und saß gerne auf unserem Schoß. Schaukelte und schwebte vor sich hin. Unter uns der Fluss. Adler Brücke. Dort stieg ich auch, um zu unserer Wohnung zu kommen. Damals 22 Jahre vorbei. Mit Heike wohnte ich unter dem Dach. Eine schöne Wohnung und billig zumal. Ein Theologiestudent, der das Examen machte. Eine Hochzeit auch noch in dieser Zwischenzeit. Innerlich konnte ich nicht mehr. Bestand und brach zusammen. Wie merkwürdig, das noch geschafft zu haben.

Die Wege zur Kirchlichen Hochschule hoch. Oftmals gegangen. Ich werde sie noch im Schlaf kennen. Lange meine Heimat. Erstes Willkomm außerhalb von Essen. Ich weiß noch wie heute, wie es eine lange Reise war mit dem Moped damals von Essen nach Wuppertal. Man kann sich so wunderbar gut verfahren dort. Einbahnstraßen, Kehren und verwinkelte Gassen. Industriebacksteine und Schieferhäuser. Aussichten auf das Tal, ab und an. Dann wieder Schwindel erregende Häuserschluchten. Vier und fünf Stockwerke hoch. Arbeiteraussichten. Ich war gern in Wuppertal – damals. Stadt der Frühindustrialisierung. Marx und Engel. Mechanische Webstühle und fromme Bürgerzirkel. Man werde mit Regenschirm und Gesangbuch dort geboren, sagte ein Volksspruch und so regnete es auch ununterbrochen an diesem Wochenende.

Bilder überblenden sich, wenn ich an Wuppertal denke. Die ersten Nächte über der Schreibtischlampe. Bewaffnet mit einem Tintenfass und einer Feder schrieb ich meine ersten Hebräischen Vokabeln auf. Eine ungeheuer schöne Sprache, dachte ich damals noch. Die Sprache Jesu und ich fühlte mich ihm über die Sprache und das nächtliche Aneinanderreihen von Buchstaben weitaus mehr verbunden, als durch diese Vorträge der Professoren. Mal wieder meine kleine Flucht, so wie ich sie immer hatte. Zeit meines Lebens bis heute.

Es waren schöne Zeiten damals, sage ich und werde senitmental und traurig zugleich. Es war so viel Aufbruch um mich herum. Gerade aus dem Krankenhaus entlassen, als Zivildienst leistender Mensch zwischen allerlei Alltag gewickelt, Haut und immer wieder neue Berührungen, man konnte die Menschen durch Berühren begreifen, wortwörtlich und ihr Geruch ging mir noch lange nach. Ich war gerne dort im Krankenhaus, wo ich das Schwimmen lernte im Schwesternheim, Zug um Zug weniger Anstrengung, sich einfach auf das Wasser legen, ein Einverständnis mit dem Element. Dort kam ich her, wo die Welt so elementar war und wurde, nun in dieses unüberschaubare Wuppertal aus lauter Hügeln und Tälern. Jeder Berg ist ein Dorf, sagte mir mein Nachbar noch und sollte recht behalten. Später las ich, dass Wuppertal früher über 45 Bahnhöfe gehabt habe, weit mehr als heute Schwebebahnhaltestellen. Ein Stadt wie ein Flickenteppich. Lang gezogen und eigen jeder Fleck. Hier Geschichte und da Geschichte. Immer wieder die Spuren von Menschen, Arbeitenden – nein, schön war mir Wuppertal nie aber doch eigenartig vertraut und nah. So als wäre ich dort noch einmal geboren und irgendwie stimmt das ja auch.

Die Hebräisch Vokabeln habe ich heute noch. Und das nicht nur aus Erinnerung, obgleich es eine seelig selbstvergessene Zeit war, da zu sitzen den Nachts und zu schreiben. Linie um Linie. Seltsam geschwungene neue Gefährten, so schien es mir. Ein Tor in eine neue Welt und dahinter jede Menge Leben. Ich bin dieses jüdische Erbe, das ich dort begann, eigentlich nie losgeworden, wenn gleich es anders wurde wie in einem Kaleidoskop immer neue Bilder hervorbrachte. Sch´ma Jisrael, Adonai Elóhenu. Adonai échat. So sagte ich noch Jahre später in der WDR Sendung bei Böttinger auf der Kanzel der Evangelischen Kirche das Bekenntnis Israels zu seinem einigen Gott und neimand nahm daran Anstoß – bis heute nicht. Ein kleine Vorspann war das, eine Skizze einer entlaufenen Pastorin, die nie heimisch wurde dort, wo es um Christus und die großen Dinge ging. Ja, mein Kopf konnte und wollt es wohl begreifen, nichts reizvoller als die trinitarischen Streitigkeiten im zweiten Jahrhundert nach Christus, aber mehr von allem fand ich es bemerkenswert, dass diese auf dem Marktplatz öffentlich ausgetragen wurden und ich dachte an die Fischhändler bei Asterix und Obelix und eine ganz und gar handfeste Theologie, die den Menschen das Denken erlaubt bis hin zum Streit.

Der Berg dort oben, die Kirchliche Hochschule, war ein kleines Refugium. Die da oben waren alle etwas seltsam, so sagte man im Tal. Nebenan war die ehemals pädagogische Hochschule, die Generationen von Lehrerinnen produzierte, die mit Pfarrern verheiratet waren. Doppeltbeamtete Glückseeligkeit. Heute ist eine Justizvollzugsschule dort untergebracht und so verschlossen die Theologie sich gibt, so sehr wuchsen dann die Trampelpfade zu, die da heimlich angelegt wurden, um von einer zur anderen Stätte zu gelangen.

Dieses Wuppertal habe ich also besucht und bin mit dem Finger noch mal die Strecken abgegangen. Eine Erinnerung an besser oder einfach nur andere Zeiten. Ein angehender Theologie Student, der sich versuchte zurecht zu finden und deren Reden immer so merkwürdig getränkt waren von Sprache und Zeit, von Berührung mit Dingen, die anderen noch nicht verstehen konnte. Gewiss, man sagte ich sei ambitioniert.

Später kehrte ich zurück um mein Examen zu machen. Zusammen mit Heike, die mich heraus liebte aus den Schatten, indem sie da war – mehr nicht. Es stand alles bereit und dennoch klappte auf einmal nichts. Es bliebt in diesen Wechselnächten, wo ich wach am Fenster stand und den Mond schaute, das vertraute Bild des Rabbi s mit der Thora Rolle im Arm, so als könne man sich selber darin einwickeln und bergen. Dieses Bild hing im Wohnzimmer, das ich dort zum ersten Mal in meinem Leben besaß, ansonsten gab es Zimmer unter dem Dach. Neun Quadratmeter wie in Heidelberg, wo ich zwischendurch studierte. Zwölf zuvor an der Kirchlichen Hochschule. Ich war genügsam. Mehr nicht und lernte nachts, wenn die Dämmerung sank, das Licht sich veränderte und Frieden einkehrte, eine merkwürdige Zeit zwischen Wachen und Meditation. So als wären meine Sinne besondern offen, aufzunehmen, zu versinken in eine eigene Welt, die zu mir reden wollte.

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