Dienstag, November 13, 2007

Love is a repeticious danger - oder: Herzschlag Music

Fast zeitgleich geschehen merkwürdige Dinge. Mein neu-altes Auto verfügt über keinen CD Player. Nichts ist mehr mit Musik aus den letzten 10 Jahren. Aus und vorbei. Was geht ist Radio. Und auch Cassetten.

Sagte ich Cassetten? Aber ja. !988 gebaut verfügt der Sierra tatsächlich über einen Casettenspieler der damals neueren Marke. Inklusive Dolby und Autoreverse. Dinge, nach denen man sich damals die Finger leckte und die heute so abgeschmackt daher kommen, wie nie zuvor.

Dennoch machte ich mich auf den Weg zu meinem schwarzen Beutel in der Garage. Music from my mind. Schon damals begriff ich die Welt mit dem Ohr. Man muss es sich vorstellen: schwebend in der Schwebebahn, allen öffentlichen Blicken wie Angriffen ausgesetzt, allein mein einem Walkman bewaffnet. Musik laut und leise flüsterte sich in meine Seele. Sie war Schutz und Offenbarung zugleich. Wie ein warmer Mantel, der mich umhüllte. Zu mir sprach tröstend, als das Draußen thumb wurde, unverständlich. Zu laut und dennoch allgegenwärtig.

Es gibt einige Casetten, ohne die wäre mein Leben anders verlaufen. Lieder, die mich begleitet haben und mit mir verschmolzen sind, Schritt für Schritt mir voraus waren oder mich einholten. Manchmal sind solche Texte und Melodien wie ein Spiegel, in dem man erkennen kann, was man noch nicht geworden ist. Wohin das Sehnen geht und bleibt, weil nur das Bleiben auch Dauer verspricht und die Erfüllung hier und da, dem Leben zuwieder liefe.

So lernte ich sehnend auf meine Veränderung zu hören, auf die Geschwister, die mich mit guten Texten begleiteten und deren Erscheinung ich jederzeit an ein, zwei Akkorden erkennen konnte. Sie bargen mich im Wuppertal, sie nahm ich auch mit zu Beginn meines Vikariates.

Heute nun, auf der Rückfahrt zurück von den Hauptschülern in Dortmund, fand ich die Casette von Elke wieder, eben jene, die wie eine große Schwester zu mir reden vermochte in vielerlei Sprachen und das gerade da, wo die Bibel verstummte, wo die Frommen schwiegen, wo das Leben denen ausging, die stets davon predigen mussten. Da waren es die Lieder einer Freundin, die mir den Haustür Schlüssel gab, ohne jedes Zögern und mit dem ich in Wuppertal eine Zuflucht fand. "Wenn Du einmal nicht weiter weisst, komm zu mir." Diese einfachen Sätze sind es, die satt und hungrig zugleich machen. Dieses Da Sein, als hätte dieser eine Mensch in einem Moment gesehen, was andere niemals gewahr werden. Ein Mensch, mehr nicht. Nackt und verletztlich in allen Wechseln, denen ja auch ich hilflos oft gegenüber stand.

Ich höre jetzt noch Joni Mitchell im Nachhall in meinem Ohr.


Eine Ballade, die es immer weiter zieht, ein Refrain, der immer wieder aufgenommen wird und neu ansetzt gegen allen Stillstand und alle Trauer dennoch alltäglich weiter zu erzählen von Liebe und Schmerz, von Bleiben und Aufbruch, von Vergangenheit und Gegenwart. "Love is a repeticous danger, seemd that I´m a custom too. At least I do accept the changes, almost better than I used to do." Besser kann man diese Zeit der offenen Zukunft wie Angst um einen selber nicht ausdrücken.

Es hat mich nicht verwundert, dass ich dem ersten Menschen außerhalb meiner persönlichen Welt, - es war eine Kollegin im Predigerseminar Essen - meine Geschichte NUR auf Englisch erklären konnte. So als wäre ich sprachlich wie geschlechtlich in eine andere Welt versetzt, die ich erst langsam zu begreifen suche. So gingen wir zur Ruhr herunter, und ich fühlte mich wohl im Fremden, das zugleich vertraut und adäquat war zu solcherlei Erfahrung. Im selben das andere zu leben. Frau zu werden zur Unzeit. Asynchron und quer. Sperrig wie ein New York Slang mitten in Essen Steele.

Nicht alle konnten das verstehen. Dass ich zugleich eine andere Geschichte schrieb und las und buchstabierte. Dass dieser Asynchronizität, dieses Zu Spät Kommen, zugleich eine ungeheuere Gleichzeitigkeit entsprach. Eine Fähigkeit, alte Texte lebendig zu machen, als wären sie gerade geschehen. Eine Gabe, sich selber in die Bibel zu wickeln, um der eigenen Rettung entgegen zu sehen.

Denn nichts anderes tat ich. Und nichts anderes geschah auch, indem ich auf diese modernen Propheten hörte, die mir mit ihren Liedern die Seele streichelten dort, wo mich niemand mehr sonst berühren mochte. Trautes Willkomm.

Dieser Herzschlag hat mich nie verlassen. Diese Gleichzeitigkeit war das, was ich mir selber nicht erklären konnte, war sie doch nicht artifiziell, sondern aus Anfechtung und Erfahrung geschöpft. Eine Gabe, die der Erinnerung bedarf. Eine Blume, die mit eigenen Geschichten getränkt werden wollte. Wer nicht gibt, empfängt auch nicht. Ein einfacher Satz und doch so wahr.

So also lief ich damals durch Wuppertal, stieg in die Schwebe- und andere Bahnen, oftmals Musik auf dem Kopf, immer wieder sich der Geschwister versichernd. Denn alleine mit meinem Gebrechen zu sein, das war mir unvorstellbar. Es musste doch andere geben, die ähnliches erlebt haben, deren Worte nicht die meinen waren, aber doch benachbart und warm. So ein Mensch war Joni Mitchell, mit ihrem Texten vom "blue motel room", die mir Elke auf das Band spielte.

Eine Casette mit Musik geschenkt zu bekommen ist ein Versprechen und eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Eigentlich ein banaler Vorgang und doch voller Subversität. Wie oft sass ich alleine vor der Stereo Anlage, das einzige, was ich damals als Luxus ansehen konnte. Ein Rack von Techinics, ein Doppellaufwerk von Casettenrekorder. Immer wieder Musik ausgegossen über alles Leben. Das, was der Heilige Geist zu tun verspricht, geschah dort. Rein umittelbar, ohne Umschweife. Mitten ins Herz.

Love is a repeticous danger - mit "Liebe ist eine sich wiederholende Gefahr" mehr schlecht als recht übersetzt - das ging mir mitten ins Herz, gerade dann wenn das Herz blühte nach langer Zeit und wuchs am eigenen. Frauenliebende Frau, so hätte ich mich später genannt und doch nur Stempelkissenfarbe verbraucht und zu eigenen Aussagen zu kommen. Man kann sich keine eigenen Label verpassen und das, was wir heute Identität nennen, ist doch meist nur dier hilflose Versuch, sich selber zu etikettieren. Schon lange nicht meine Tätigkeit, die allenfalls zur Heimarbeit tauglich war.

Identität - das war immer,was mich in Bewegung und ins Spiel brachte. Was mich berührte und zur Berührungen veranlasste. Das war nie statisch, sondern extrem flüssig gerade dort in dieser Zeit und zum Glück sage ich heute erst recht.

Es waren diese eingängigen Worte, verbunden mit sanfter Melodie. Eine Lyrik des Alltagsliebe, des banalen Lebens, der Verwechselbarkeit und manchmal auch Lakonität. Denn wie sollte ein Mensch all seine Wechsel bejahen können, ohne lakonisch zu werden? Ohne einen Refrain zu finden und zu dichten, der passen kann und der brauchbar, weil anwendbar erscheint. Eine einfache Überlebensstratiegie in einem Satz ausgedrückt: "... at least I do accept the changes, almost better than I used to do. "

Dass der Veränderung ein Einverständnis, das das Besondere des Wechsels versprochen werden will mit dem Alltag, dass Neu Werden auch eine banal-lakonsiche Seite hat, das hat niemals jemand besser ausdrücken können als diese paar Zeilen. So lapidar verpackt in einer Erzählung, die sich um Gelingen und Scheitern dreht. Um Ankommen und Verloren gehen, um zerbrochene Freundschaften und Grenzen, über die man mit fortgeschrittenem Alter nicht mehr gehen kann. Ein Vorbei im Augenblick, wo man es versucht. Ein Scheitern und Schweigen. Mehr nicht, während Joni Mitchell tapfer weiter singt. Traurig und berührt. Tapfer und mutig nicht zulässt, dass das Leben stehen bleibt. Deswegen die nächste Zeile und die kommende Strophe.

Manchmal denke ich dabei an all die, die mich im Predigerseminar begleitet haben, die auch auf ihrem Weg in den Beruf waren und doch mehr: Seitenreferenten. Begleiter im positiven Sinn. Heute trägt und keine Brücke mehr und auch die Sprache versagt sich ander Faktizität des anderen. Und diesmal bin nicht ich es, die anders ist. Die anders geworden ist. Diesmal sind es die Pfarrämter und Beamtenrechte, die Kinder und Familien, die ungebrochenen Karrieren in einer Institution, die niemals begreifen konnte, wie ein Mensch wie ich lebe und leben kann.

Bei denen ich immer noch ein Wunder war oder bestenfalls - unerkannt.

So also ändern sich die Zeiten.





P.S.: Erst jetzt bemerke ich, dass ich mich in durchaus guter Gesellschaft befinde, fand sich doch in Wikipedia folgender, verwegener Satz: "

Madonna has cited Mitchell as the first female artist that really spoke to her as a teenager; "I was really, really into Joni Mitchell. I knew every word to Court and Spark; I worshiped her when I was in high school. Blue is amazing. I would have to say of all the women I've heard, she had the most profound effect on me from a lyrical point of view."[15]"




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