Der Philosoph André Gorz ist tot. Und seine Frau.
Gestorben durch eigene Hand - zusammen mit seiner Frau. Ein Tod, der berührt, erinnert er doch ans Leben und die Liebe, die nicht aufhören mag, wenn der eine geht und der andere hinter-blieben ist. Das wäre nicht auszuhalten gewesen, weder hüben noch drüben.
Daher klingt es folgerichtig, wenn als letzter Satz von beiden zu lesen ist: »Oft haben wir uns gesagt, dass wir, sollten wir wundersamer Weise ein zweites Leben haben, es zusammen verbringen möchten.«, so überliefert die ZEIT die letzten Worte der beiden.
André Groz war einer der profiliertesten philosophischen Stimmen und hat nun sein eigenes Schweigen eingereicht. Sein Tod zuletzt redet noch, seine Worte verstummen nicht über diesen Tod hinaus haben die beiden ein Buch veröffentlicht, posthum und sehr lebendig: Briefe an D. Dass die Liebe sein kann vor dem Tod, im Tod und darüber hinaus, dass ein Mensch seine Existens binden kann und darin sich zu seinen eigenen Fähigkeiten befreit sieht, ist kaum nirgends ansichtiger als an den beiden.
Hier der aus seiner ersten Identität vertriebene Jude, der im Exilsland Schweiz (mal wieder und immer noch die) seine Dorinne trifft. Da die englische Frau, die liebt und sonst nichts, die Zeit ihres Lebens englisch mit ihrem Mann spricht, während dieser nach Frankreich emigriert und Mitarbeiter von Jean Paul Satre wird und später noch mehr.
Ja, es gibt gute Beispiele der konvertierenden Identität, die sich selber such und findet in dem, was ihr begegnet. Und es gibt gute Beispiele dafür, dass der Wechsel bejaht, gewollt und gelebt werden muss wie ebenfalls der Abschied. Die jüdischen Geschichten wurden in Deutschland überwiegend vergessen, man erinnert sich ihrer als einer Reminiszenz mit dem Unterton des jetzt amtlichen Bedauerns und hat doch nicht verstanden, was uns alles dort verloren ging.
Verloren gehen - sich dem Tod anheim geben - gemeinsam und ohne Furcht, das haben nun die Groz auch gemacht. Eigentlich heißt André doch Gerhrard Hirsch aus Wien und niemand ermag mehr den Weg ermessen, den jener hinter sich gebracht hat gleichwie jene Frau, die einen Mann heiratete und über 60 Jahre lang begleitete, deren erste Projekte grandios scheiterten.
Im Scheitern einander treu zu sein - das mag auch jetzt gelten als beide sich dem Neuen übergaben. Man fand sie zusammen gelegt auf dem Bett, tod und umarmt, bleibend mit dem Hinweis auf der Türe, man möge doch bitte die Polizei rufen, damit niemand erschrecke vor dem Anblick zweier bis zum Tod Liebenden.
In der Zeit können wir nun kluge Sätze lesen wie diese: Die Liebe zu Dorine konstituierte die Existenz von André Gorz wie sein Werk. Jene Engländerin damals zu treffen, nach dem Krieg, in seinem Exilland, der Schweiz, kam für ihn, den entwurzelten Wiener Juden, der Entscheidung gleich, die Existenz nicht länger zu verweigern und sich aus einer umfassenden Erfahrung der Nichtigkeit, der Identitätslosigkeit heraus neu zu erschaffen.
Und zugleich kommen mir die Tränen in die Augen, weil man spüren und erleben muss, was es heisst, eine Existenz neu zu erschaffen. Dass man konvertiert von Gerhard Hirsch, Sohn eines Wiener Holzhändlers zu André Groz, der ein weltbekannter Philosoph und Sozialkritiker genannt wird. Was für Wege war er und seine Frau gegangen.
60 Jahre haben sie zusammen gelebt. In einem Augenblick sind sie auch zusammen gestorben. Es gab kein Abbruch des Schicksals, keine Abbitte des Todes, kein Vorher-Nachher und Danach. Die Gleichzeitigkeit der Liebe haben sie über den Tod gerettet. Und damit ihre Freiheit demonstriert.
Was mich berührt ist die große Frei-Willigkeit, dieser Welt, diesem Leben und allen Veränderungen in ihm zu begegnen - bis in den Tod. Ein tiefen Einverständnis in das, was uns am Leben hält, was uns nährt und da sein lässt.
Manchmal braucht es nicht viel. Einen Menschen, den man um den Hals fallen kann, um die Halse des Lebens zu schaffen. Eine Wende nach dem Wind, wenn es anderswo nicht weiter geht. Der Ruf ins Neue, wenn das Leben nicht mehr zu meistern ist.
Ich denke, die beiden sich sich darin treu geblieben.
Sie verdienen unseren Respekt.
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