Dienstag, Juli 24, 2007

Anruf entgegen genommen

Es ist merkwürdig. Da ruft mich heute ein Bestatter an und möchte, dass ich eine Traueransprache halte. Eigentlich nichts Befremdliches. Man verhandelt geschäftsmäßig über den Preis. "Ich kann andere Redner anrufen, die machen das für 250 Euro!". Ich habe keine Lust zu verhandeln. Sage lapidar: "Wenn es Sie interessiert, schicken Sie mir doch die Unterlagen per Fax!" Was einige Minuten später auch geschah. Immerhin muss man sich die Preise nicht auch noch kaputt machen lassen.

Dann rufe ich im Trauerhaus an. Lasse klingeln. Einmal, zweimal, mehrmals. Spät, sehr spät wenn ich fast nicht mehr damit rechne, kommt eine brüchige Stimme. Eine alte Frau. Eine Mutter. Die Mutter einer Tocher. Der einzigen. Die wir zu Grabe tragen.

Selten habe ich am Telefon so viel Zwischentöne bemerkt. Ich bleibe und mache damit mehr, als ich darf. Normalerweise verabreden wir uns zu einem Gespräch. Nun höre ich zu. "Das ist alles, was ich sagen kann!" Ein sich wiederholender Refrain. Immer wieder. Als wäre sie an ihrer Grenze. Als könne sie nicht weiter.

Ich warte. Einen Moment und danach noch einen. "Sie ist ganz friedlich eingeschlafen .... ja, ich habe sie da noch sitzen sehen .... nein, sie wollte auch nur noch alleine sein .... einfach keine Luft mehr bekommen ... wollte nicht mehr .... ich weiß gar nicht mehr zu sagen .... Polizei war auch noch da .... so friedlich ... ja meine einzige Tocher ... " Ich bietet ihr an, um 16 Uhr vorbei zu kommen. "Nein, das ist nicht nötig .... ich weiss sonst nichts mehr zu sagen .... nein, sie haben sie nicht mehr aufgeschnitten ... natürlicher Tod .... wie ihr Vater auch ...nein nein, machen Sie sich keine Umstände ... ja, wenn was ist ... nein, ich weiss auch nicht mehr weiter ... " Es gibt diese Pausen zwischen den Zeilen.

Ich beschließe, nicht zu fahren. Auch sie will in Ruhe gelassen werden. Auch sie kann nicht mehr weiter. Was soll ich bei ihr - mitten im Wohnzimmer, in dieser Wohnung, wo schon der Vater starb, - friedlich - und nun auch die einzige Tochter starb - friedlich - und nun dieser Mutter da sitzt, mit dem Telefonhörer in der Hand, eine fremde Frau im Ohr, die zuhört und nichts viel sagt, sondern nur: "Das muss schlimm sein für sie."

Als ich vom Einkaufen zurück kehre, zeigt mir mein Telefon, dass ich vier Anrufe hatte. Viermal dieselbe Nummer. Einmal Weinen und Schweigen. Danach noch mal Weinen. Dann dieselbe brüchige Stimme. "Hallo?" und aufgelegt. Dann noch einmal mit dem Mut, doch reden zu können. "Sie können ruhig vorbei kommen!" Und legt auf.

Seit dreizehn Minuten versuche ich, zurück zu rufen. Zu sagen: "Ich habe Ihren Anruf entgegen genommen. Ich komme gerne." Ich erreiche sie nicht.

Habe ich es jemals getan?

Ich buchstabiere:

76 Jahre.

Der Mann gestorben.
Vor sieben Jahren. Friedlich.
Zu Hause.

Die Tochter gestorben.
Vorgestern. Friedlich.
Zu Hause.

Nein, Sie brauchen nicht kommen.

Zum ersten Mal habe ich Angst, sie könne diesen friedlichen Tod nicht überlebt haben. Zum ersten Mal denke ich, das war nicht gut. Es war nah, dieses Gespräch. Wie an der Netzhaut des Lebens. Nicht viele Worte - dazwischen mehr als genug.

Ich rufe wieder an.
Bis ich dran bin.

Hoffentlich.



Parsevalstr. 26a

Gerade entdecke ich auf dem vom sozial-psychiatrischen Dienst in Düsseldorf ausgestelltem Passierschein und Attest diese Adresse.

Tatsächlich - hier war mein zu Hause. Parsevalstr. 26a in Wuppertal. Hier unter dem Dach begann mein Übergang, Umstieg, Transitus. In einem kleinen Fachwerkhaus, versteckt in Unterbarmen, sanft gelegen am Fuße der Kirchlichen Hochschule, wo ich studierte um mein Examen abzulegen.

Bild: Karin Kammann
Hier haben wir auch geheiratet und hier haben wir uns getrennt. Hier schrieb ich eines Abends auf der Schreibmaschine, was ich nicht über Jahre nicht sagen konnte. Was ich für mich behielt und was ich als Krankheit zum Tode erachtete. Während ich in die Tasten griff, und Type auf Type, Buchstabe für Buchstabe in das Papier drückte, sah sie mir über die Schulter und ahnte wohl, dass sich unser Leben ändern sollte.

Zum ersten Mal konnte ich mich einem Menschen anvertrauen. Und dann in einer Art und Weise, die ihn unglücklich machen würde. Selige Dialektik. Trautes Willkomm mit Tränen in den Augen.

Nicht konnte ich sagen. Ich saß da und schrieb mir die Seele wund. Nein, gewollt hatte ich es auch nicht - und doch, sonst würde ich es nicht tun. Nein, gehen wollte ich diesen Weg nicht und ging ihn doch. Gewünscht habe ich es mir nicht und eigentlich doch immer: dass wahr wird, was ich fühlte. Dass das Leben mich einholen möge, auch wenn es seinen Preis haben würde.

Gefunden hatten wir diese Wohnung durch Vermittlung der Kirchlichen Hochschule. Da gäbe es eine ältere Dame, die noch eine Wohnung frei hätte. So kam es, dass wir unter dem Dach eine ganze Etage für uns hatten, zwei Zimmer plus Küche und Bad. Urgemütlich mit Klappfenstern. Kleinen Aussichten über das Wuppertal. Wenn ich recht überlege, war mein Ort immer schon unter dem Dach, so auch hier wo ich diese Zeilen schreibe.

Unter dem Dach - das heißt auch nur noch den Himmel über sich. Ich erinnere mich noch an schlaflose Nächte, in denen nur der Mond durch das Fenster zog. Das endlos lange Blicken auf die Wolken und das ungläubige Staunen über mich selber: sollte das tatsächlich mein Weg werden?

Immerhin war ich damals ein frisch verheirateter Theologiestudent vor dem Ersten Examen mit den allerbesten Aussichten auf eine kirchliche Karriere. Ich hätte einfach nur JA sagen müssen und die Wahrscheinlichkeit, dass ich jetzt als wohl bestallter Pfarrer mit Frau und vier Kindern am Niederrhein leben würde, wären nicht gering gewesen.

Wer mutet sich selber und vor allen den anderen so etwas zu? Und doch war es im Moment, da ich saß und schrieb wie eine Erlösung. Was ich über Jahre mit mir trug, was ich wie mein innerstes Geheimnis hütete, fand den Weg nach außen. Vielleicht habe ich diesen Umweg über diese Familie nehmen müssen, dass ich Vertrauen lernte. Dass ich mich angenommen fühlte, immerhin war mein Schwiegervater dann der nächste Mensch, der von meiner Ent-Scheidung erfuhr und mich - wider allem Erwarten - in den Arm nahm und drückte. Den Geruch seiner Wildlederjacke habe ich heute noch in der Nase.

So schmeckte ich das Vertrauen nur kurz und wie ein hungriger Mensch, hieß diese Entscheidung zugleich auch, dass diese Ehe beendet werden würde, dass ich nicht bleiben konnte. Was ja auch richtig ist und war, was nicht ich zu entscheiden hatte, sondern andere. Ich war einverstanden und die Abmachung galt: wenn die Operation ansteht, trennen wir uns. Bis dahin konnte ich bleiben.

Es wurden zwei Jahre dann und auc hwenn ich schnell startete, dauert die Bewilligung eines Geschlechterwechsels bei laufendem Leben doch etwas länger und man muss unzählige Prozeduren und Begutachtungen über sich ergehen lassen, muss ausweisen, dass man es ernst meint und vor allem eines lernen, jetzt wo die Entscheidung gefallen war und das war Warten.

So kamen diese Nächte zustande, an denen ich am Fenster stand, den Mond und die Wolken beobachtet und meine Entscheidung in mir Echo fand. So kam dieses merkwürdige Erleben zu mir, endlich losgegangen zu sein und doch still zu stehen. An der Holzwand hatten wir ein Bild, das ich bis heute lieb gewonnen habe. Ein Chagall. Der Rabbi mit der Thora. Und merkwürdig genug, wurde er mir in all den Nächten zum stillen Mitwisser und Freund.

Quelle / Link: www:artprints.com

Kann sein, schon hier war mir der Rabbi näher als der Pfarrer. Der die Thora trug wie ein kleines Kind, wie das Leben selber. Einige Wochen später begann ich die Hormontherapie, spürte von tag zu Tag die Veränderung, begrüßte sie und wusste zugleich: ab einem gewissen Punkt ist das unveränderlich.

Erstaunlicher Weise bestand ich mein Examen, damals schon in ein kleines Gästezimmer gezogen mit einem Schreibtsich auf Holzböcken, drei mal zwei Meter Leben mit Aussicht ins Tal. Eigentlich eine unerhörte Leistung, ging doch im Jahre 1986 fast ein Drittel der Kandidaten nicht an den Start. Ich wusste zugleich, dass dies meine einzige Chance war. Jetzt oder nie. Zumal nach einem halben Jahr Hormontherapie.

Der Kirche offenbarte ich mich wenig später, im Oktober 1986 in einem ausführlichen Gespräch mit dem damaligen Ausbildungsreferenten Mehlhausen. Ich sagte, dass ich mich ändern würde, dass ich eine Frau werde und legte ihm als Bestätigung das Transsexuellen Gesetz von 1981 auf den Tisch, das ich zuvor auf dem Kopierer der Kirchlichen Hochschule gelegt hatte. 10 Seiten Gesetz. Merkwürdig genug, fand sich weder dieses Gesetz noch eine Aktennotiz in meiner Personalakte wieder.

Danach passierte erst mal gar nichts. Ein Jahr lang versorgte meine Partnerin mich, während ich Gutachten und Artzbesuche hinter mich brachte. Ein Mensch, der sich selber anzeigt. Als lebendig. Unvorstellbar das ganze, wenn man bedenkt, dass bei laufendem Scheidungsverfahren (das ja auch eingereicht werden musste) ich dennoch in der Parsevalstr. 26a mein Asylplätzchen finden konnte. Dafür bin ich bis heute noch dankbar weit über das hinaus, was ich hier schreiben kann.

Der Alltag stellte sich ein. Bei der Bäckereiverkäuferin war ich auf einmal die "Cousine". Der Friseur versuchte sich an einer ersten Minipli. Ich machte die verrücktesten Sachen, wollte und musste ich doch auf - unter Beobachtung - dokumentieren, dass mein Wollen echt und mein Wunsch zu wechseln nicht zu erschüttern sein. Wohin der Weg mich führen sollte - ich wusste es nicht. Wusste aber wohl, dass ich Schritt halten wollte, den Rhythmus erkennen wollte von Stehen und Warten, von vorsichtigem Gehen und Ausprobieren.

Erst viel später dann sollte auch die Kirche sich wieder melden. Es gab, sicherlich auch durch die wohlwollende Intervention meines Schwiegervaters, der in Sekunden begriff was die Kirche bis heute nicht verstand, und eines weiteren Superintendenten des Kirchenkreises Jülich nach einem Jahr Wartezeit ein befristetes Stipendium. Unmöglich auch, dass meine Ehefrau bei weiteren Scheidungsverfahren noch weiter für mich aufkommen sollte. Es gab zudem ein Versprechen, dass ich nach Düren kommen könne. Um erneut Fuß zu fassen. Allein, es geschah nicht.

"Grünes Licht!" so hörte ich stets. Und nichts geschah. So musste ich ausziehen, während meiner Operation. So musste ich mir ohne Personalausweis eine neue Wohnung suchen, aber das ist eine andere Geschichte und die soll ein anderes mal erzählt werden.


Montag, Juli 23, 2007

Passierscheine ins Leben

So sehen sie also aus, diese Passierscheine im Niemandsland der Geschlechter.

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Man fügt diese Bescheinigung dem Personalausweis bei und hofft, damit "durch" zu kommen. Passing sagt man im Englischen dazu und meint, dass man eine Grenze schon längst überschritten hat und nun - amtlich bestätigt - eine neue Begrenzung braucht, um nicht ganz schutzlos da zu stehen. So hatte ich also eine Zeit lang meinen eigenen Passier- und Begrenzungsschein immer bei mir.

Ausgestellt wurde dieser tatsächlich vom sozial-psychiatrischen Dienst der Stadt Düsseldorf. Dr. Behrends, dem ich nach wie vor sehr zu Dank verpflichtet bin für seine unkomplizierte Tat. Denn während die Kirchenfürsten sich voyueristisch selber lähmten, schrieb er mir dieses Attest, mit welchem es mir dann möglich war, eine Wohnung in Wuppertal anzumieten.

Tatsächlich bin ich während meiner Operation zugleich umgezogen, weil der Superintendent von Jülich nicht in der Lage war, seine Hand zu reichen dann, als ich sie dringend gebraucht hatte. Immer wiederholte er "Grünes Licht!" - aber es war niemand da, der den Gang einlegte.

Wahrscheinlich sah auch er nur zu, was werden würde, fasziniert von einem Menschenkind, das öffentlich und offensichtlich aus dem angeborenen Geschlecht desertierte. Sah zu und tat nichts.

Ich glaube tatsächlich, da entsteht eine eigene Asynchronität, die es kaum mehr erlaubt, Vertrauen zu fassen. Weil man alles sieht und doch nichts tut. Weil das Auge erblindet, wenn es alles sehen will. Weil der Voyeurismus die eigene Phantasie ins Spiel bringen will, anstatt wirklich zu tun, was nötig wäre.

Umso witziger, dass nun - zwanzig Jahre danach - das Landeskirchenamt den sozial-psychiatrischen Dienst in Düsseldorf meint in meiner Angelegenheit einschalten zu müssen. Was wiederum vortrefflich zeigt, dass sie nichts gelernt haben. Aber auch gar nichts.

Ein Theologe aus der Dritten Welt sagte mir mal auf meiner ersten Karl-Barth Tagung auf dem Schweizer Leuenberg, für ihn fasse sich die gesamte Theologie in einem einzigen Satz zusammen:

"Großes Problem, ein Mensch geht vorbei!"




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P.S.: Erschreckend bis witzig war es, neulich zu erfahren, dass das Landeskirchenamt tatsächlich in meinem Fall zuletzt genau denselben sozial-psychiatrischen Dienst in Düsseldorf einschalten wollte. 20 Jahre danach, allerdings nicht für ein Gutachten, sondern offensichtlich um mich zwangsweise untersuchen zu lassen. Was ja wohl auch auf das Trefflichste anzeigt, wieviel Jahr sie zu spät kommen. Natürlich hat sich die Leitung des Dienstes- trotz Bitten des Landeskirchenamtes - jedlichen Kommentares zu mir und einem solchen Ansinnen enthalten. Recht so.

Der kleine Unterschied

Oft werde ich jetzt schon mal gefragt, was anders geworden ist dadurch, dass ich keine Pastorin mehr bin und auch nicht mehr werden kann. Ich gebe zu, da schwingt für mich auch jede Menge Verletzung mit. Unfassbarkeiten, die man nicht für möglich gehalten hat.

Und dennoch gibt es einen kleinen Unterschied, der sich sehr positiv auf mein Leben auswirkt. Als Pastorin war es mir unmöglich, mich zu meiner Geschichte zu verhalten. Es war wie durch eine gläserne Wand, da durfte nichts nach außen dringen. Da war die Pastorin hier, die zu funktionieren hatte und in ihren Maßen durchaus auch eigene Gedanken haben durfte. Und da war meine Geschichte, all das Er- und Durchlebte zwischen den Geschlechtern, diese Reise, die ich ja schon im Jahre 1986 dann begonnen hatte. Davon war zu schweigen. Davon durfte ich nichts sagen. Das war mein persönliches Problem.

Ich glaube, so ein Spaghat der Seele ist nur bedingt zu leben. Das kann auf Dauer eigentlich nicht gut gehen. Und irrig ist die Annahme, dass man einfach mal das Geschlecht wechseln könne. Das geht nicht, weil die dort und dabei gemachten Erfahrungen eben nicht rudimentär sind, sondern prägend für den weiteren Lebensweg. Das geht erst recht nicht, weil die Erfahrung von Einsamkeit, von ganz alleine sein, sich einbrennt gerade dort, wo es um Kirche geht.

Sicherlich, im besten Glauben mögen sie gedacht haben, das macht man eben und dann ist alles wie bisher, nur dass wir jetzt alle zusammen Frau K. sagen und nicht mehr Herr K. Das ist vielleicht exotisch, aber das bekommen wir viel besser hin, als wenn wir uns ernsthaft damit beschäftigen müssen, welche Erfahrungen dort gemacht werden.

Undenkbar bis heute, dass die Kirchenleitung realisisert hätte, dass so ein Weg auch durch Anfechtungen, durch Pöbeleien ging. Einmal bin ich sogar auf dem Weg zur Ev. Ehe- und Lebensberatung, wo ich für 100 Mark im Monat nachmittags das Telefon bedienen konnte, in der Unterführung angespuckt worden. Das alles geschah ebenso wie die Pöbeleien in der Schwebebahn, das unwillkürliche Wechseln der Straßenseite, wenn man sie schon auf sich zu kommen sag und zugleich wusste, es nutzt nichts. All diese Erfahrungen durften in der Kirche nicht vorkommen. Und gerade sie machten mich aus.

Nun, wo ich keine Pastorin mehr sein und werden kann, kommen diese Geschichten zurück. Nicht mehr in der alten Angst, nicht mehr in der Not - sondern eher wie alte Freundinnen. Weil sie auch zu mir gehören, weil man sie nicht von meinem Lebensweg abschneiden kann. Weil sie vielleicht auch einen wesentlichen Teil meines Lebens ausmachen.

Als Coach kann ich authentisch sein. Als Coach und Beraterin kann ich diese Geschichten alle als Freundinnen mitnehmen und muss mich nicht verstecken, muss sie nicht abspalten von meinem Alltag. All das, was ich mit großen Druck in dieser Kirche verdrängen musste, kann auf einmal da sein.

Auch die Trauer und die Tränen. Denn die hat es ja auch immer gegeben. Die vielen Verlusterfahrungen. Freunde, die mich verlassen haben. Einsamkeiten, die ich durchlebt habe. All das gehört nun, wie ein paulinischer Peristasen Katalog dazu. Und es macht den inneren Reichtum aus, die innere Spannweite, die man nur entwickelt, wenn man sich in den eigenen Widerspruch begibt, wenn man wagt, was es zu wagen gilt: Ich setze meine Fuß in die Luft und sie trug.

Daher kommt innerlich nun eine andere Verwurzelung zum Vorschein: Im Einklang zu leben und diesen kleinen Unterschied kenntlich zu machen. Eben, dass ich nur so, in und mit dieser Geschichte, die sicherlich nicht nur schön war, ich selber sein kann. Dass ich sie weder zur Schau stellen muss, nocht verleugnen.

Die Kirche selber konnte das nie begreifen. Die schrieb bis zuletzt noch, dass ich meine Geschlechterkonversion "funktionalisieren" würde, ohne jemals begriffen zu haben, was es denn gewesen ist. Daher ist es ja eigentlich witzig, wenn das Landeskirchenamt mich zum sozial-psychiatrischen Dienst nach Düsseldorf überweisen möchte - eben dorthin, wo ich im Jahre 1987 mein erstes Gutachten erhalten habe. Der Kreis des Unverständnis schließt sich damit. Und ich bleibe bei mir und mir selber treu.

Ein andere Gedanke zugleich: Kann sein, ich muss gar nicht mehr predigen. Kann sein, ich kann schreiben und mit dem, was ich dort zu sagen habe, die Menschen ganz anders erreichen als im Talar vor ca. 20 Predigthörern. Das Lesen braucht keine Kanzel. Das Schreiben kommt mir vor wie innerer Balsam.

Daher wird es Zeit für mein Buch und die Treue zu diesen Fingerübungen. Schön, wenn Menschen mitlesen. Ich danke Euch dafür.

Oder anders gesagt: Es lebe der kleine Unterschied.






P.S.: Ein kleiner Nachtrag zu sog. Peristasen Katalogen.
Eigentlich kennt man sie in der Kirche oder Theologie überhaupt nicht mehr und mich wundert es auch nicht, dass diese Kernstücke der frohen Botschaft, die mit Erfahrung getränkt sein will, in Vergessenheit geraten ist. So schreibt Paulus im zweiten Brief an die Korinther in sechsten Kapitel einen Peristasen Katalog, wie ich ihn lieber nicht lesen möchte und der mir mehr vom Evangelium zeigt, als alle sonntägliche Predigt wohlbestallter Kirchenbeamten:

...
als die Verführer, und doch wahrhaftig;
als die Unbekannten, und doch bekannt;
als die Sterbenden, und siehe, wir leben;
als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet;
als die Traurigen, aber allezeit fröhlich;
als die Armen, aber die doch viele reich machen;
als die nichts innehaben, und doch alles haben

So - denke ich.

Genau so müsste Evangelium gelebt werden.

Als sich bewahrheitende Erfahrung, die vor den dunklen Seiten nicht Halt machen muss. Die sich zeigt und bereit ist zu zeigen: verletzlich weit mehr und offen, nicht nur für sich. Die gibt gerade dann, wenn es nichts mehr zu verteilen gibt. Die Offenheit lebt, wenn sie Verletzlichkeit wagt, die nicht fragt nach Effizienz und nutzen, sondern stolz ist, da zu sein. Mehr nicht.


Im Landeskirchenamt durch den Spiegel springen

Nun, ich hätte mich selber dafür nicht fähig gehalten. Aber ich habe es getan. Am Donnerstag bin ich - mit durchaus zittrigem Herzen - ins Landeskirchenamt zu Düsseldorf gegangen. Der Ort, den ich wohl - nicht nur von den Toilettenanlagen beiderlei Geschlechts - am besten kennen gelernt habe. Ein blass grauer Betonbau, inzwischen mit einem Atrium ausgebaut und neuerdings auch Videokameras, damit nicht jeder unangemeldet herein kommen kann. Wo wir im Ersten Theologischen Examen 1986 uns noch nass regnen ließen und unsere erste Zigarette nach den Prüfungen rauchten, befindet sich nun ein großer Holztresen von Glas überdacht. Dahinter wurde wie ein müder Kapitän auf See ein Pförtner platziert, der alles im Griff haben soll, nicht unähnlich dem Entree der umgebenden internationalen Unternehmen, nur etwas müder als hätte man ihn nach langem Schlaf unwillig geweckt. Schlafes Bruder im Herrn.

In der Kriminologie sagt man ja wohl nicht zu unrecht, dass ein Täter gerne den Tatort wieder aufsuchen soll und in ungefähr war es ja auch so, denn im September letzten Jahres hatte ich ja in öffentlicher Aktion meinen Talar dort niedergelegt und durch die Verbrennung der landeskirchlichen Androhung, mir nun letzlich und endgültig die Ordinationsrechte zu entziehen (wer erinnert sich da nicht an einen Mönch aus Wittenberg) dokumentiert, dass ich nicht länger zum Gehorsam gegenüber diesem Landeskirchenamt bereit war.

Bild: R.Reschkowski

Nun also kam ich zurück, um meine Personalakte einzusehen. Das ist ein gutes und verbrieftes Recht und wo man nichts mehr verlieren kann - die Ordinationsrechte wurden natürlich entzogen - wächst eine eigentümliche Freiheit. Man muss sich von solchen Besuchen zum ersten Mal nichts mehr versprechen. Die Hoffnung, die mich seit dem Jahre 1986 begleitete, doch noch in diesem Beruf arbeiten zu können, das Vertrauen, dass ich damals im Oktober dem Ausbildungsreferenten Herrn Mehlhausen entgegen brachte, als ich ihm meinen Wechsel geflissentlich anzeigte, es gäbe einen kirchlichen Ort für mich - all das war vergangen und vorbei. Die Kirche hat ihre eigene Antwort gegeben und nun war ich da, diese in der bestens dokumentierten Personalakte nachzulesen.

Denn eines musst man ihnen lassen: auch wenn es umfangreiche vier (sic!!) Ordner waren, so konnte man fast alles Wesentliche darin wieder finden und - vor allem - noch viel mehr. Freundlich wurde ich von der Kirchenbeamtin in ihr Arbeitszimmer gebeten, die Akten lagen zur Einsichtnahme bereit und insgeheim sah ich auch ein leichtes Lächeln um ihren Mundwinkel. Grad so als wolle sie sagen: Mensch Frau Kammann, das hätte ich auch nicht erwartet, dass sie klein beigeben bei diesem wohl produzierten Stapel Papier hier vor mir.

Vier Katen auf einem Tisch - wer konnte das schon von sich behaupten, wo doch heute nur noch die Menschen genommen und gewählt werden, die keinen Ärger machen, deren Akte und Charakter handhabbarer zu sein scheint und deren Aussagen stromlinienförmiger. Ein Doppelhefter Leben in Papier reicht meist für eine lebenslange Beamtenkarriere. Bei mir waren es nun vier Ordner, die da wie ein verstaubtes kirchliches Leben zwischen blassgrünen Deckeln vor mir lag.

"Die zwei dünnen, blauen Aktenordner sind ihre Verfahren vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht!" kam es freundlich von hinten, von einer sicherlich sachkundingen Mitarbeitenden. Ach ja, die Verfahren - einmal ein gewonnenes aus dem Jahre 1999, acht Jahre jetzt her, als ich im Sonderdienst nicht beschäftigt wurde. Eine ganz merkwürdige Geschichte, wo auch in den Akten nicht mehr nachzulesen war, was da geschah im Jahr 1996, wo eine Gemeinde mehrheitlich mit nur einer Gegenstimme meinte, mich aus dem kirchlichen und damit pastoralen Dienst entfernen zu müssen.

Die Hoffnung trog, dort etwas mehr erfahren zu können als das, was bekannt war. Wegen nicht näher zu bezeichnender "Verhaltensauffälligkeit", hieß es etwas gedrechselt im Anschreiben des späteren EKD Präses Kock, so als hätten sie krampfhaft etwas gesucht, was man auch auf Papier bringen könne. Es blieb nicht viel, aber in der Durchsicht meiner Akten fiel hier zum ersten Mal das Wort: "verhaltensauffällig " und als Leser von Institutionsakten versiert war, hörte hier schon die Glocken schrillen. Eine verhaltensauffällige Pastorin - das ist schon ein Skandal in sich, wie er seit Martin Luther sicherlich nicht mehr vorgekommen ist. Eine Predigerin, die sich nicht anpassen will - da ist doch höchste Aufmerksamkeit geboten. Wo kommen wir denn hin, wenn das alle tun würden.

Kurzum, nach diesem Beschluss konnte man mir zwar die Bezüge nicht verwehren, da ja ausdrücklich und schriftlich testiert "kein konkretes Verschulden nachweisbar" sei, aber man war sich einig, dass ich als Pastorin nicht mehr taugte und ließ mich fortan nicht mehr auf die Kanzel. Meine Klage - ich kehre zur ersten blauen Akte zurück - war erfolgreich. Das kirchliche Verwaltungsgericht attestierte in der Auffassung, ich müsse - wenn schon denn schon - auch predigen dürfen. Zwar kam dieser Beschluss zu spät - schon im April 2000 wurde ich durch Zeitablauf entlassen - dennoch war er für mich eine tiefe innere Befriedigung. Dass ein Landeskirchenamt nicht eben machen kann, wie es will. Und dass es - so glaubte ich es damals noch - eine eigene, unabhängige Justiz auch in Kirchenkreisen geben kann.

Das war also die eine Gerichtsakte, das gewonnene Verfahren 1999, das dann doch keine wesentlichen Konsequenzen mehr zeitigen konnte. Interessant allerdings war, dass man - trotz verlorenem Verfahren und Kostenfeststellungsbeschluß - meinen Anwalt nicht bezahlen wollte. Der musste sein nicht allzu üppiges Honorar mehr als zweimal beim Landeskirchenamt anmahnen, was ich für einen sehr zynischen Umgang eines Verlierers erachtete. Immerhin war mein Anwalt schon weit über 70 Jahre. Unverschämt und - mit dem Blick in diese Akte - tatsächlich belegbar.

Die zweite blaue Akte umfasste mein letztes Verfahren aus dem Jahre 2006, in welchem die Kirche letzt-gültig entschied, dass keinerlei Fürsorgepflicht gegenüber mir bestehe. Entlassene Theologen gelten damit rechtlich als nicht-existent und endgültig ent-sorgt. Das bestätigte dieses Urteil. Es gibt sie schlicht nicht mehr, egal ob sie arbeitslos oder Hartz IV sind, egal ob sie als Mutter oder Vater Verantwortung übernommen haben, egal ob sie Jahre zuvor für diese Kirche gearbeitet haben oder was auch immer. Mit der Entlassung aus dem kirchlichen Dienst wird der Dienstherr blind.

Auch diese Entscheidung brachte die Dinge auf den Punkt. Arbeitslose Theologen überlässt man besser sich selbst. "Pech gehabt", sagte damals die Richterin, als ich darauf verwies, dass auch mein damaliger Sonderdienst ja de jure gar nicht geleistet wurde, da über Jahre hinweg keine Dienstanweisung für mich bestand. "Das hätten sie sofort damals einklagen müssen. Jetzt ist es zu spät." Und so beschränkte sich sich auf ein rein formelles Verfahren voller verfahrensrechtlicher Richtigkeiten. Eine unabhängige Justiz in der Kirche, so wie ich es 1999 noch dachte, verflog im Kopfnicken der Entsorgungspezialisten. Es wurde ausgeführt und ausgegrenzt. Die Institution feierte sich selber, hatte sie jetzt doch alles richtig gemacht, war dieser Prozess nicht zu verlieren und zeigte doch nur, dass der Mensch schon lange ausgezogen war in diesem Verfahren.

Keine weitere Fürsorgepflicht, sobald man entlassen wurde. Basta. Und aus die Maus. Keine Hilfe vom Arbeitsamt oder der Agentur, da man als Beamter dort nie Beiträge eingezahlt hatte. Keine Hilfe, obwohl man sich verbindlich auf diesen und keinen anderen Weg mit der Kirche eingelassen hatte. Immerhin habe ich das nun schriftlich in einem Urteil bekommen.

Die anderen beiden großen Aktenordner quollen über. Manchmal muss man durch den Spiegel springen, um in ein neues Land zu kommen. Und in diesem Papierwust kam mir eine Menge Erinnerung entgegen. Gut dachte ich noch, dass ich ruhig bleiben kann. Dass ich hier Einsicht nehme und mir niemand das Recht dazu streitig machen kann. Eigentlich haben sie die Arbeit besser gemacht als ich. Hier liegt das Recherche Material für mein Buch: mitten im Landeskirchenamt von beflissenen Kirchenbeamten liebe- und mühevoll zusammen getragen. Zu oft las ich dabei den Vermerkt: Akte nicht in Registratur.

Auffällig zuletzt waren mir noch drei erstaunliche Feststellungen, die das letzte Jahr betrafen. Da konnte ich also lesen, dass das Landeskirchenamt tatsächlich versucht hat, den sozial-psychiatrischen Dienst einzuschalten. Was sie dort wohl wollten? Natürlich war und ist es immer noch der einfachste Weg, einen Dissidenten, einem Menschen mit abweichender Meinung, der psychiatrischen Begutachtung anheim zu geben. Aber für ein Landeskirchenamt dann doch etwas mehr als abenteuerlich, wenn man sich zugleich zu Gemüte führt, dass niemand über die Monate mit mir in Kontakt trat geschweige denn mit mir geredet hat. Das wäre ja das Mindeste gewesen, was man hätte tun können. Statt dessen rief man die Sozialpsychiatrie auf den Plan, die einen Paulus sicherlich auch als dankbares Objekt der Begierde unter Beobachtung gehalten hätte. Allein, die Psychiatrie hat sich inzwischen auch verändert und die Antworten von dort waren mehr freundlich und bestimmt: Tut uns leid, wir haben und sehen keine Handhabe, gegen Frau Kammann tätig zu werden.

So saß ich da und staunte, was sich meinen Augen darbot. Notierte dann Namen und Telefonnummern und werde bei Zeiten dort sicherlich einmal anrufen und vorsprechen, was denn nun wirkliche das Begehren des Landeskirchenamtes war.
Immerhin - und davon gibt es zwischen diesen Aktendeckeln nicht wenige - ein unerhörter Vorgang eines ehemaligen Dienstherrn gegenüber seiner immer-noch Theologin, auch wenn sie inzwischen qua Rechtsspruch als nicht-existent im Sinne kirchlicher Fürsorge und damit der Wahrnehmung definiert wurde.

Noch toller kam es, als ich die Aktennotiz der Polizei Düsseldorf las, an die sich das Landeskirchenamt - wohl in Person des Oberkirchenrates Dembek - gewendet hatte. Dort wurde dann empfohlen, "bevor Frau K. das Gebäude betritt, die Nummer 110 zu wählen." Puh, das muss man sich erst mal vorstellen. Ein Taliban ist nichts dagegen, zumal er meist keinen Namen hat und auch nicht öffentlich als Frau K. auftritt. War ich etwas über Nacht zu einem öffentlichen Sicherheitsrisiko geworden, gegenüber der man zur Gefahrenabwehr die Polizei einschalten musste?, sinnierte ich noch über den Schreibtisch gebeugt.

"Danke," sagte ich der Kirchenbeamtin, als sie mir beim Aktenstudium ein Glas Wasser hinstellte. "Danke, dass sie nicht gleich die 110 gewählt haben, als ich heute bei Ihnen zur Akteneinsicht kam." Sie lächelte nur und antwortete: "Ich habe da besser mal keine Meinung zu." Und ich denke, sie tat gut daran.

Zu Mittag verließ ich das Landeskirchenamt. Nicht in Handschellen, sondern als durchaus freie Frau und Theologin, mit ein paar mehr Erkenntnissen und Fakten bewaffnet als zuvor. Der Pförtner winkte freundlich und fragte: "Alles bestens erledigt?" Ich nickte und ließ die Glastüre hinter mir zufallen. Draußen hatte es geregnet. Die Luft war - oder kam es mir nur so vor - merkwürdig frisch und klar. Ich kickte meine Vespa an und verschwand - bis zum nächsten Mal.


P.S.: Sie glauben es nicht, was ich hier geschrieben haben? Nun, kommen Sie doch das nächste Mal einfach zur Akteneinsicht mit. Es gibt ein nettes, kleines Zimmer, etwas Mineralwasser und einen freundlichen Pförtner, der die Lage im Griff behält. Und Einsicht nehmen darf jeder unter der Voraussetzung, dass er von mir beauftragt wurde. Ich nehme an, das wird man dann auch schnell ändern.

Montag, Juli 02, 2007

Ein protestantisches Leben ??

Nach all den Vorkommnissen im letzten Jahr - der Anzeige meiner Person von Seiten des LKA, meiner temporären Niederlegung des Talars sowie der außerordentlichen Aberkennung meiner Ordinationsrechte (singulär bisher) von Seiten der Kirche - brauche ich Ruhe. Längst nicht ist überwunden, was ich schon überwunden glaubte. Die Schlagschatten sind länger als geahnt.

Immerhin zog ich lange Zeit mein Bewußtsein aus der Tatsache, weltweit die erste und einzig ordinierte, transsexuelle Pastorin zu sein - wenn man sich denn wirklich mit diesem Etikett labeln möchte. Aber es gab so etwas wie eine geheime Komplizenschaft mit dem Himmel, der ja immer für besondere Lösungen zu haben war. Wer erinnert sich nicht an die List Jakobs, der Esau mit einem simplen Trick das Erstgeburtsrecht erfolgreich streitig machen konnte. Oder an die Impertinenz eines Paulus, der ja gerade frisch konvertiert vom Verfolger zum Fan, nun auch den Apostel-Titel für sich beanspruchte - gegen jene Jerusalemer Alteingesessenen. Kurzum: ich war mir ziemlich sicher, dass es da ein gnädiges Zwinkern vom Himmel gab, waren dort doch illustre Personen versammelt, die später durchaus ihre Chance bekamen.

Das ist nun vorbei. Die Institution schlägt zurück, blind und ohne jemals zu fragen. Sie feiert sich selber und grenzt aus. Sie gewährt ein Bleiberecht, ohne jemals zu echter Teilhabe vorzudringen. Besonders erschreckend fand ich dabei das Verhalten eine gewissen Jürgen Dembeks, der ja damals als theologischer Beisizter im erfolgreichen Verfahren gegen die Landeskirche zugegen war, nun aber nur noch ablehnen, leugnen und nicht-verstehen kann. Eine ungeheuere Metamorphose eines Menschen, der nun ohnmächtig an der Macht, sich selber durchsetzen muss, samt allen Ungereimtheiten.

Also bin ich in den letzten Tagen meiner Geschichte nach nachgegangen, fand Spuren hier und dort und fing an, in eigener Sache zu recherchieren. Ich kam auf fast über 35 Menschen, die mein Lebensweg kreutzen und die nun ordentlich bestallt als Pfarrer/innnen in der Rheinischen Landeskirchen ihr Dasein fristen. Keine Frage gab es da, keine Antwort nur die Ahnung während der Recherche, dass es wohl doch an meiner geschlechtlichen Konversion gelegen haben muss, dass ich keine Stelle bekam, dass ich nun in Hartz IV mich wohl fühlen soll, dass Menschen mit eigener Geschichte nicht mehr tauglich seien für das Evangelium. Ein ungeheuerer Affront gegen die eigene Geschichte, eine Faulheit des Denkens und der menschlichen Begegnung.

Und dann fuhr ich mal mit dem Finger meine protestantsiche Lebenslinie ab:

_ Im Kindergottesdienst gewann ich dereinst beim "Gottesbrünnlein" (tatsächlich, so hieß die Seite für Kinder) eine Kamera. Kodak Instamatic 25, unglaublich und nur dem regelmäßigen Kirchegang in Kindesalter zu verdanken, als ich mit meinem Zwillingsbruder wie gebannt den Geschichten von Abraham und Sarah lauschte, den immer-wieder Aufbrüchen ins Neue, eingeklemmt zwischen zwei dunklen Holzbänken, die mehr und mehr meine Heimat wurden. Ich fand sie nicht schlimm, sie hatten so ein Widderhorn eingechnitzt zu Anfang und sie waren bequem. Ich mochte es, bevor ich mich in die Bank hineinzwängte, diese Hörner zu streicheln wie gute Freunde. Ihr mal wieder, seht, ich bin auch da.

_ Dann kam das Zeltlanger auf Texel. Letztlich sagte noch meine Mutter, dass wir ab zehn nicht mehr mit meinen Eltern in Urlaub fahren wollten. Es war diese Mischung aus ernster Andacht mit wilder Freiheit des Zeltens, die Morgenandachten und Lieder, die man für immer mit nimmt ins Leben. Schön war es, "Vom Aufgang der Sonne ..." zu singen, nachdem in der Nacht das Lager abgesoffen war, Koffer hoch schwammen und Klamotten am nächsten Tag durchnässt auf allen Leinen hingen. Schon immer war es diese Mischung, die ich mit Protestanten verband. Dazu die Ernsthaftigkeit eines Onkel Helmuts, - unseres Pfarrers - der bei den Menschen bliebt und vor allem bei sich.

_ Natürlich wusste und spürte ich spätestens ab meiner Pubertät, dass da was mir mir nicht stimmt. Und so suchte ich mir Hilfe, etwas Besonderes dass das Be-Sonderte in mir stoppen konnte. Eine homöopathische Hilfe, die ebenso unglaublich daher kommen musste, wie das tiefe Erschrecken in mir. Also bekehrte ich mich klassisch zu jenem Jesus, den mir der CVJM damals als Allheilmittel anpries gegen jede Sünde im Leben, besser noch als alle OxiProdukte für die Waschmaschine, da er nicht nur ein Leben wieder weiß, sondern auch wertvoll machen sollte.

_ Es begann nebenher meine zweite Karriere und ich wurde nun ein vom Glauben an den Herrn Jesus neu erwecktes Menschenkind, klug in der Bibelauslegung, die ich sehr bald als mein neues Zuhause entdeckte, da ich ja dort nicht reden konnte von all dem, was ich an Ungeheuerlichkeit in mir selber auszuhalten versuchte. So zog ich um, dissoziierte zwischen die Zeilen der Heiligen Schrift, die mir damals noch geung Platz anbot, mich einzufinden und zu sein - weit entfernt von der Reaktion einer Institution, die nur sich selber gelten lässt. Ich lief also mit Gittarre und langen Haaren durch die Gegend, versuchte Menschen zu bekehren und meinte, so mich selber am besten schützen zu können: indem auch ich erfolgreich war. Indem auch ich das anderen versprach, woran ich selber glaubte: dass man sich los-werden kann bei Gott. Wirklich loswerden.

_ Was mir immer half: Bodenhaftung, auch wenn die Menschen, denen ich damals begegnet bin, das durchaus anders sahen. Wohl zu recht. Aber Außen- und Innenansichten unterscheiden sich maßgeblich. Und wie ich dann meine Rundreise durch die christlichen Absonderheiten begann, war erstaunlich. In Wuppertal lehrte man das sog. "Zungenreden", ein unverständliches Kauderwelsch, was aber mit einem ungeheueren Anspruch auf Autorität und Wissen daher kam, als wäre es von Gott selber eingegeben. In Bergneustadt gab es die Wiedertäufer, die durch Untertauchen im Gottesdienst - durchaus wörtlich zu nehmen - ihre Neugeburt dokumentierten. Was gab es nicht alles in der Welten weiten Reise der christlichen Religion und Sekten. Unglaublich Dinge, doch fern von mir und dem Menschen. Es war - glaube ich - eine Szene in Arlo Guthries wunderbarem Film "Alices Restaurant" (eine Horde von Hippies besetzen eine leerstehende Kirche und lernen aneinander zu wachsen), die mich immer wieder ansprach und schützte. Da kam Arlo im Film zu einem Zelt mit einer Evangelisation und blieb für ein, zwei Momente stehen, sah den dort verkündeten Wunderheilungen zu, an einem Zeltmast gelehnt und voll Trauer um den verlorenen Vater oder seine verlorene Liebe, blieb stehen einen Moment und ging dann einfach - wortlos.

_ Gewiss blieb ich weiter auf der Suche. Und ich weiss nicht, was mich trieb, aber mit 17 Jahren landete ich dann in Taize bei den Brüdern, das erste Mal und ich kann mich noch zu gut erinnern, wie ich getrampt bin von Freiburg bis nach Dijon, den Rucksack auf dem Rücken mit einem kleinen Zelt plus Schlafsack. Es goß in Strömen und irgend ein freundlicher BMW Fahrer nahm mich mit, klatschnass wie ich war und ruinierte wohl so seinen Beifahrersitz. Warum Menschen so etwas machen wird sich für immer meinem Verständnis entziehen, dennoch was ich getrost und irgendwie sicher und kam - irgendwie an. Die Glocken hörte ich von ferne und Taize wurde für mich eine weitere Heimat, fremd und vertraut zu gleich. Ein Ankommen bei mir und bei Gott - als wäre ich nur zu zweit auszuhalten, ohne Beistand kaum lebensfähig und mir selbst sicher. So traf ich Frere Roger, lernte Frere Alois kennen, der meine Schweigegruppe (Retraite) leitete. Es war gut - schweigen und einfach da sein. Nichts mehr tun und ankommen: bei sich und bei Gott. Lavendelfelder. Herrlische Landschaften. Eine alte Bruchsteinkirche abseits des religiösen Getriebes. Da sein. Und wieder aufbrechen.

_ Zivildienst habe ich geleistet und mich damals den Prozeduren der Kriegsdienstverweigerung unterzogen. Anders als viele von denen, die heute als Landeskirchenräte in Düsseldorf sitzen und meinten, mich wegen Gefährundungspotential bei der Polizei anzeigen zu müssen. Welch verkehrte Welten. Verweigert habe ich damals aus christlichen Gründen, obgleich ich immer große Smypathie hatte mit denen, die diese Fluchttüre nicht nötig hatten. Ohne anerkannte Religion. Ohne Glaube und Verlass auf einen Dritten. Einfach so - nein zu sagen. Dennoch, ich habe meine achtzehn Monate im Krankenhaus gearbeitet und es war eine sinnvoll gute Zeit - natürlich evangelisch dekliniert. Das Bethesda Krankenhaus zu Essen-Borbeck, so hörte ich zuletzt, sei inzwischen geschlossen worden. Das Schwesternwohnheim, in welchem ich ein Zimmer mit Balkon zugewiesen bekam, dient nun Senioren als Residenz. Damals war es für mich der Aufbruch ins Leben und ich kam unmittelbar und direkt an von den Krankenbetten. Menschen mit fragenden Augen, Sterbebegleitung und eine Routine, die nötig war, um damit klar zu kommen. Nebenher blieben mir die Stadtteffen von Taize: Breda und Paris, später im Studium nach Paris und mehr.

_ Da blieben also diese beiden Wurzeln. Einmal die Kirchengemeinde in Essen Haarzopf mitsamt Zeltlager und Morgenandachten, dann der CVJM, der sich sehr bald in eine eigene Taize Erfahrung mutierte, um sich ankommen zu können und nicht bleiben zu müssen. Diese allzeit-bereiten CVJM Menschen waren mir nie ganz geheuer - lieber etwas reisen und unterwegs sein, eine Parabel und Paradigma für das, was noch kommen sollte. Später sollte auch Onkel Helmut mit mir reden über alle Gräben hinweg und freundlich, ein Pfarrer der mich getauft hat, in dessen Kirche ich geheiratet hatte und der nun selber sehr genau und spontan begriff, dass da ein Mensch war, wenngleich die geschlechtlichen Prärogativen sich änderten. Undenkbar, dass er mich im Stich gelassen hätte. Undenkbar, dass er mir aufgrund meiner Tat ( und das Wechseln von Geschlecht wird immer noch als Tat angesehen, deren Täter zugleich auch erstes Opfer sind) die Freundschaft gekündigt hätte. Auch hier bewahrheitete sich, was gewachsen war, wenngleich ich dort dennoch nicht meine Lösung und Los-Sprechung finden konnte.

_ Was ich tat, was klar. Ich verwickelte mich weiter in diese Geschichte, auch wenn ich gerne Architektur studiert hätte und meine Mutter mir schon einen Studienplatz ins Lehramt Sekundarstufe II besorgt hatte. Leher wollte ich mit diesem inneren Gebrechen nicht werden und los gesprochen war ich nicht nicht. Denn darum ging es ja, wenn man Theologie studierte: das man für das Leben los gesprochen wurde. Entweder von seinem Gebrechen oder ins Leben hinein. Und so stand bei mir im Studium, das ich an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal nach meinem Zivildienst aufnahm immer beides auf der Probe: das Menschsein des Menschen wie auch Gottes Gottsein. Das war, was andere in mir kaum verstehen konnte, wohl aber doch spürten und irgendwie bewunderten. Dass ich Gott nie abseits des Menschen denken konnte ohne ihn dennoch auflösen zu müssen in billige Alltagserfahrung nach dem Motto: Gott hat uns alle lieb. Ich glaube in der Zeit wuchs eine gewisse Arroganz als Schutzmantel um mich herum und ich erinnere mich noch gut, wie ich nachts Stunde für Stunde hebräische Vokabelkarten malte, mit Tusche und Feder und ganz unmittelbar nah an dem, was ich als Heimat empfand. Das Hebräische war mir der Eintritt in eine neue Welt und ich lernte, gerne und unwidersprochen.

_ Die Los-sprechung ins Leben geschah langsam. Aber schon damals war mir klar, dass ich etwas anderes brauchte als die dünne Nahrung, die ich bisher im Studium bekam. Etwas anderes, als dieses allezeit nette GuteMenschen Christentum, zu dem man sich halten konnte ohne auch nur eine Konsequenz vergegenwärtigen zu müssen. Immerhin ging es bei mir um alles oder nichts. Um sein oder nicht sein können - vor Gott und den Menschen in gleicher Weise. Traue ich mich den Schritt heraus? Oder gibt es Heilung vor der Krankheit, verzweifelt nicht man selber sein zu wollen?

_ Die Antwort kam, auch wenn sei dauerte. Es waren zwei Erkenntnisse und ein Lehrer. Lehrer zu haben, ist ja nichts Schlimmes, im Gegenteil - ich brauchte sie. Nicht nur einen Onkel Helmut, sondern weit mehr. Im Studium wurde ich dann fündig in Heidelberg. Ein Lehrer, der Luther noch lateinisch lesen konnte und dessen Bibliographie so skurrile Titel enthielt wie: Erschienen in der Zeit. Es war natürlich die Lektüre von Sören Kierkegaard, die mich damals rettete und Luft holen hieß: Furcht und Zittern, oder diese elende Geschichte wie Abraham seinen Sohn Isaak retten sollte. Kierkegaard fand zwei Schlüssel für mich, die auch mir das Leben aufsperren sollten. Das war zum einen die "teleologische Suspension des Ethischen", anders dekliniert an der Fragen: wie kann Abraham losgehen, ohne doch ethisch - das heißt im Allgemeinen geboren zu sein. Und Kierkegaard findet an dieser Frage die besondere Existenz des Abraham wieder, der eben weder an seinem Glauben fanatisch oder verrückt wurde, noch ihn fahren lassen musste. In ähnlicher Beschaffenheit fand ja auch ich mich wieder. Und der zweite Begriff war die geglückte Wiederholung nach vorne, ein Wiedersehen im Leben als der andere, gerade in dem Moment, wo Abraham Isaak opfern will, bekommt er ihn wieder, aber verändert als ein geschenktes und darin freies Leben. Und mich wieder-holen in meine Hoffnung, das wollte ich ja stets, wenn dieser Wunsch schon nicht zu erschlagen sei. Wenn man doch ins Leben kommen wollte, obwohl man schon da war. Kurzum, dieses Seminar und die Freundschaft zu diesem, besonderne theologischen Lehrer schaffte es in mir, die Bremsen zu lösen, mich neu zu empfangen als eine, die das Leben lieb hat und nicht verzweifelt selbst sein musste oder eben verzweifelt nicht man selbst sein musste.

_ Sicherlich, zuvor habe ich es ja auch versucht: dieses normale Leben zu führen. Ein ambitionierter Theologie Student, der irgendwie anders tickte als die anderen. Der dazu gehörte und dann doch nicht. Und angepasst hatte ich mich auch - gut getarnt im Studium und doch nur bewaffnet mit einer Frage: wer bin ich, wer werde ich morgen sein?

_ Es brauchte Zeit, das alles in mir zu zu lassen und zu verstehen und vielleicht war es wie bei Luthers Thesenanschlag, der ja nicht eine plötzliche Erkenntnis definierte, sondern eine Einladung zur Diskussion war, ein sich auf die Probe stellen. Es brauchte Zeit, damit auch Erkenntnis im Körper verhaftet wird und sich Bahn machen kann. Zwischendurch zog ich nach Wuppertal und heiratete die Tochter eines Superintendenten, damals. Beheimatete mich mehr und mehr in dieser biblischen Familie und Tradition, so als könnte der übergroße Wunsch in mir sich vertreiben lassen, je mehr man sich in Traditionen erdete.

_ Mein Schwiegervater, Pfarrer und Freund meines Onkel Helmuts (nicht nur da schließen sich wohltuende Kreise im Leben), war zumindest der erste Mensch, den ich - neben meiner Frau - von mir erzählen konnte. Von diesem bangen Menschenkind, das sich nicht retten konnte und nun zu allem Stauen und Überdruß selbst in der Bibel den Ruf ins Leben vernahm: Geh los und riskiere Deine Existenz wie Isaak. Kein Opfer je, wie ja auch diese Geschichte im Judentum nicht die Opferung, sondern schlicht die Bindung Isaaks beschreibt und seine letzendlich neue Freiheit. Eine bessere Dialektik fürs neue Leben, als die allzu dummen Ausleger des Christentums es sich jemals zugetraut hatten. Immerhin, jenem Schwiegervater offenbarte ich mich und drückte ihm - unvergesslich - meine Tränen in sein Wildlederjacke und er nahm mich als Menschenkind an, einfach so, ohne Worte und blieb bis ich mich ausschütten konnte über all das viele Leid, was ich wohl behütet unter meinem Herzen trug und nun auch ausschütten musste. Es erstaunte mich so ungemein, diese Erfahrung machen zu dürfen, wenngleich es auch die Ermutigung zur Freiheit war, die offene Tür und ein Weg, dessen Richtung ich nicht kannte.

_ Ja, auch diese Erfahrungen gab es in der Kirche und mit kirchenleitenden Menschen, allein sie wirken unglaublich weit weg und vergilbt, so als könne sich die Institution mit wachsender Angst ihre Menschlichkeit nicht mehr leisten, eine pure Direktheit, ein einfaches Stehenbleiben mit der Frage auf den Lippen: Wie geht es Dir. In all meinen Geschichten und Erlebnissen habe ich nicht einmal diese Frage von Theologen an mich gestellt gesehen, nicht einmal den Blick erwidert, nicht einmal mich wahrgenommen.

_ Die Operation dann fand auch in einem Ev. Krankenhaus statt, damals in Mannheim und ich erinnere mich noch gut an meine letzte Nacht außerhalb, als akreditierter Mann im Hause eben jenes Lehrers und Professor, der mir damals Heimat gab und Verständnis und ein Abendessen dazu. Das war wahre Nächstenliebe und kein hinter wohlwollenden Toleranzen sich verschanzender Protestantismus, der sich selber am Klingelbeutel krault, unfähig ein Herz zu sehen. Gewiß, ich bin also auch evangelisch operiert und es mutet doch merkwürdig an dass ich, trotz geschlechtlicher Konversion, im theologischen Leben doch sehr streng dabei blieb: ein protestantisches Leben eben. Der Verwechselung war damit aber Tür und Tor geöffnet, dachten und denken die kirchenleitenden Gremien doch immer: wer das Geschlecht wechselt, dem kann nichts mehr heilig sein. Dem kann der Glaube nur noch ein Akzidenz im Leben sein, etwas Beliebiges und nicht mehr Wertvolles. Und so verhielten sich sich denn auch - bis heute. Was eigentlich zeigt und dokumentiert, dass sie es selber nicht mehr ernst nehmen können und wollen.

Berührend ...

Neulich bekam ich über meine Homepage eine Mail zugeschickt, ein sogenannter Homepage Kontakt. Dort stand dann:

Ich habe eine fast 15-jährige Tochter mit dem Verdacht auf Transsexualität. Sie war dieses Jahr in der psychotherapeutischen Klinik und wurde allerdings nach
16 Tagen entlassen, da die Therapeuten nicht mehr weiter wussten.

Durch meine Recherchen im Internet bin ich nun auf Ihre sehr schöne Homepage gestoßen und wollte Sie fragen, ob Sie mir nicht Beistand leisten könnten. Für einen telefonischen Rückruf wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich bin seit sechs Jahren geschieden und abends meist zwischen acht und erreichbar.

Berührend und erschreckend daran ist, dass Menschen lange surfen müssen und allen Mut zusammen nehmen, um sich selber zu erklären. Es gibt keine klaren Anlaufstellen. Seit mehr als 25 Jahren haben wir in Deutschland zwar ein Gesetz, dass den Übergang zwischen den Geschlechtern (und vielleicht auch die Grauzone) regeln möchte, aber überwiegend fehlen kompetente Ansprechpartner. Therapeuten arbeiten mit dem Instrumentarium der Diagnose und Intervention, suchen sich an dem zu orientieren, was als bekannt und damit erkennbar beschrieben wurde. Immer wieder stoße auch auf die Tatsache, dass gerade Therapeuten sich an dieser Diagnose "versuchen" und man kann bei dieser Meldung nachgerade dankbar sein, dass sie selber ihre Unwissenheit zugeben. Das ist nicht immer so - mit oft fatalen Ergebnissen.

Ich nahm also Kontakt zu diesem Vater auf und traf auf einen Mann, der völlig verunsichert war, da niemand ihm die notwendige Vermittlung anbot. Einfach zuhören. Ängste wahrnehmen. Fragen so sachlich wie möglich beantworten. Und vor allem da sein als jemand, der diesen Weg schon gegangen ist. Später im Laufe der Beratung nahm ich auch Kontakt mit seinem Kind auf. Es war weiter, als die Angst des Vater es erlaubte. Viel weiter. Und es brauchte etwas Zeit, bis auch dieses Kind lernte, den Vater mit zu nehmen. Der da nichts und niemanden verstehen konnte, aber eines unbedingt wusste: Ich möchte mein Kind bei aller Angst in mir, nicht im Stich lassen. Und das war wunderschön.

Zugleich aber stimmt auch, dass immer mehr TransMenschen in Deutschland aus dem Leben gekickt werden. Umfragen ergaben, dass über 90% der MannZuFrau Menschen keine Perspektive mehr entwickeln und arbeitslos werden. Ein Tribut an eine Lösung, die nur in Paragraphen denkt und nicht weiter schauen kann oder will. Sicherlich hat es auch mich nun getroffen, da man Zukunft in der Ev. Kirche nicht eröffnete, statt dessen alles verschloss aus eigener Angst. Anders als dieser Vater, war man nie in der Lage, die eigenen Ängste zu thematisieren und entliess, statt zu reden. Zeigte an bei der Polizei, statt vorbei zu kommen. Rechtfertigte sich selber, statt auch nur mal drei ehrliche Worte miteinander zu wechseln.

Was nötig wäre, ist tatsächlich eine Ombudsstelle für Transsexualität, für diese kleinen fast unscheinbaren Leistungen, die dennoch große Wirkung entfalten können. Die Holländer nebenan sind diesen Weg gegangen und erlauben nicht nur, sondern begleiten und vermitteln immer wieder, wenn es nötig ist, dass ein Mensche Mensch unter Menschen bleiben kann. Dass der Aussatz immer in den Köpfen anderer beginnt, haben sie begriffen. In Deutschland muss man statt dessen immer noch die eigene Haut zu Markte tragen. Schlimm genug.