Donnerstag, April 26, 2007

Zum Weghören

Es kommt mir noch ein Fall aus meiner Praxis in den Sinn:

Ich sollte einen angegehnden IT Leiter in Kommunikation trainieren. Alle bisherigen Kurse seien gescheitert und dann - klar, kommt man zu mir. Das Problem: Der Mann konnte sein Gegenüber einfach nicht anschauen, während eines Gespräches. Und niemand konnte ihn davon abbringen, den Kontakt doch während des ganzen Gespräches zu halten und nicht zwischendurch aus dem Fenster zu sehen oder sonst wo hin. Von allen wurde ein solches Verhalten als unangemessen empfunden. So könne er sich seine Bewerbung vollends abschminken.

Der Fall war spanndend, fürwahr.

Was würden Sie denken?
Wie kommt so ein Fehlverhalten zustande?
Wie könnte man intervenieren, um ihn in Kontakt zu bringen?

Die Lösung war eigentlich einfach, nur kam niemand darauf:

Der Mann war bis zu seinem 23 Lebensjahr ein ausgezeichneter Klavierspieler und Organist, was er aber nicht sofort anderen anzeigte. Denn mit einem finalem Konzert in der Düsseldorfer Tonhalle hatte er von heute auf morgen seinen musikalischen Weg beendet, auch um sich vom Elternhaus und dem dortigen Druck zu emanzipieren. Ein harter und sehr ungewöhnlicher Schritt, den er auch erst mal niemanden mitteilte.

Seitdem war er in die IT Branche konvertiert und wechselte die Manuale mit dem Keyboard, was eigentlich auch nahe lag. Er wurde ein ausgezeichneter IT Systemspezialist, der alle "Register" ziehen konnte und höchste Anerkennung genoss - wäre da eben nicht sein problematisches Verhalten bei den Gesprächen.

Na, - weiss jemand schon die Lösung?

Gut, die Sachlage bekam nun einen Hintergrund. Aber damit war kaum erklärt, warum er sich denn so und nicht anders verhalten musste. Unter der Voraussetzung, dass jedes Verhalten in sich Sinn macht, kamen wir einen Schritt weiter.

Der Mann verstand die Welt mit dem Ohr.
Und nicht über die Augen.

Und jedes Mal, wenn er sich abwendete, gab er das beste, was er zum Verständnis entwickelt hatte: sein Ohr und seine ungeteilte Aufmerksamkeit.


Wir haben dann zwei Sätze in die Bewerbung eingebaut: Wissen Sie, von Haus aus bin ich Musiker und geben Ihnen gerne mein Ohr. (Abzubringen war er ja nicht mehr von seinem Verhalten, was unzählige vor mit versucht hatten)
Und glauben Sie mir, wer eine Fuge von Bach spielen kann, der wird auch ihre Systemlandschaft verstehen und analysieren können.

Die folgenden Bewerbungsgespräche waren überaus erfolgreich, drehten sie sich doch alle samt nicht mehr um sein Verhalten, sondern um die doch so spannende Schnittmenge von Musik, Informatik und Kunst. Und tatsächlich konnte er später sich seine neue Stelle problemlos aussuchen.

Natürlich nicht nur deswegen, aber wohl auch.