Donnerstag, November 23, 2006

Der Trauer das Wort reden

Manchmal kommt es doch noch vor, dass ich Traueransprachen halte. Nicht für die Kirchenmitglieder, die haben ihre eigenen Pfarrer. Und die wiederum ihre eigenen Geschichten mit den Bestattern. Ich halte sie für grad mal für die, die aus der Kirche ausgetreten sind. Die keine Konfession haben oder haben müssen.

Für mich ist es eine alte und gute Übung, die ich gerne mache. Trauerreden haben mit Menschen zu tun, die verschwunden sind. Die nicht mehr greifbar sind, aber irgendwie doch noch da. Daher geht es bei dieser Arbeit auch um Präsenz und Wahrnehmung. Viele fragen mich dann ganz verwundert: Trauerreden - so was machst Du gerne? Ist das nicht zu traurig? Und ich sage: Nein, nicht unbedingt. Ganz im Gegenteil, es ist hoch interessant.

Gefordert wird man immer wieder durch den Anlass. Zu fast 99.8% kenne ich die Verstorbenen nicht. Ich bespreche somit Menschen, die ich nicht kennen gelernt habe, deren Lebendigkeit sich mir entzieht und deren Berichte vom Leben mir nur aus zweiter Hand zu kommen. Filtergeschichten sozusagen, niemals unmittelbar. Nie gibt es einen direkter Eindruck. Eine Begegnung ist ausgeschlossen.

So fertige ich Reden für die, deren Eindruck sich nur nach dem Verschwinden öffnet, deren Existenz nur noch aus den Rändern des Vermissens, des Fehlens sich rekonstruieren lassen kann. Es ist tatsächlich eine Unbekannte ohne Gleichung in der Zeit. Eien akribische Arbeit mit Menschen, die anfangen zu trauern. Ganz im Hier und Jetzt.

Die Herausforderung jeder Rede ist es, den Verstorbenen vor den Augen der Trauernden wieder lebendig werden zu lassen. Ihn oder sie so ansichtig zu machen, das ein Erkennen sich vollzieht. Ein Wiedersehen als Abschied. Das ist für die die Grundherausforderung: Dass ich einem Menschen potraitiere. Als Schraffur, nie ganz erschöpfend. Es ist zugleich der Akt, einen Menschen in einer letzten, öffentliche Sprachhandlung sie zu würdigen. Seiner letzten.

Erst über die Ränder einer Existenz hinaus entsteht der Eindruck einer Person. Aus den Gesprächen, die man mit den Hinterbliebenden führt. Manchmal auch aus Bilder, die man einsehen kann. Aber immer noch aus diesem Echo der Seele, das mir in den Gesprächen entgegen kommt. Aus dem, was jetzt fehlt und gestern noch da war. Ein echtes Inter-esse, Dazwischen Sein.

Manchmal muss man detektivisch unterwegs sein. Sehr genau hinhören auf die Zwischentöne; es aushalten und nicht mit vorschnellen Schablonen hantieren, bis sich ein erstes Bild eines Menschen sich zusammen setzt. Manchmal ist es auch nur ein Fragment, eine kleine Besonderheit wie die, dass ein Selbstmord in Mülheim Ruhr noch nicht mal in der Zeitung berichtet wurde. Vergessen bis über den Tod hinaus ... das war der Schlüssel, um eine Person in ihrer Tat zu verstehen. Sie zu würdigen und in der Ansprache die Nachricht nach zu liefern, die die Zeitung nicht bringen wollte.

Immer findet sich, was mich berührt. Und so lange bleibe ich auch im Gespräch. Bis bei mir der Eindruck wächst, ich kann etwas sagen. So lange sitze ich da als eine Fremde in einer Familie oder auch mitten drin, umgeben von fremden Menschen, die mir Geschichten erzählen, um die ich sie nicht gebeten habe. Eine merkwürdige Situation ist das, schnell vertraut und nah.

Das zu leisten ist nicht einfach und das wieder umzusetzen in Worte ist oft eine Herausforderung, der man gewachsen sein muss. Gehört habe ich schon, dass man inzwischen auch Trauerreden zum Discount-Preis bekommen kann. Für 100 Euro eine Auflistung der Lebensdaten. Von Geburt bis Ausgang. Wie eine beigelegter Lebenslauf bei einer Bewerbung über den Tod hinaus. Herunter gelesen wie eine Agenda oder die Aufstellung einer Fußballmannschaft. Morgen spielt ihr wieder weiter ...

Hier am Niederrhein haben wir inzwischen bis zu dreizehn Trauerredner, die sich um diese Arbeit bemühen. Das ist viel und es wird weiter zunehmen. Zu finden sind pensionierte Lehrer ebenso wie ein Krankenpfleger, der in der Nachtschicht sich vorbereitet. Auch eine Kunsttherapeutin, die dann Werbung für ausdruckstarkte Trauerkurse betreibt, sowie viele andere tummeln sich da.

Das Berufsbild des Trauerredners ist nicht beschrieben. Es ist gut so, weil nun viele unterschiedliche Berufe sich dort zusammen finden, eben auch die entlaufene Pastorin, wie ich es bin.

Unerträglich wird eine Ansprache, wenn sie Distanz nicht wahren kann. Wenn der Redner selber sich als Betroffener ausgibt, ohne es zu sein. Solches habe ich einmal bei einem Pfarrer erlebt und es war ein theaterreifer Mimikry, der sich da abspielte. Sicherlich überzeugend, aber das Grundgebot der Trauerrede aufs Schlimmste missachtend. Und das heißt: Du musst den Menschen ihre Gefühle lassen. Er nahm mit seiner Inszenierung den Trauernden die Gefühle. Er war der Trauernde und nicht mehr die Angehörigen. Und das sollte niemals geschehen. Also merke: eine gute Trauerrede erkennt man daran, dass die erste Reihe weint. Wenn nicht, so sage ich immer, habe ich etwas falsch gemacht.

Denn der Unterschied bleibt heilsam. Ich bin nicht von diesem Tod betroffen. Ich bin nicht Trauernde. Deswegen kann ich reden - stellvertretend für die, die es jetzt, in diesem Moment nicht mehr können. Denen der Tod die Sprache verschlagen hat. Die Trauerrede ist und bleibt stets ein stellvertretendes Tun. Ein dienendes. Wer das missachtet, begreift nichts von seiner Aufgabe.

Sicherlich gibt es auch Verunsicherungen. So wie bei meinem letzten Auftrag. Da hieß es: Passen Sie auf, Frau Kammann. Bei der Familie sind noch Rechnungen offen. Nehmen Sie besser Vorkasse. Und das tat ich, als ich die Mutter und Oma zum Urnengrab begleitete. Auf die Anmietung der Trauerhalle hatte man schon verzichtet; verständlich sogar, wenn man bedenkt das das teurer sein soll als meine Ansprache selber. Die Urne mit der Oma wollte man allerdings dann doch nicht ohne ein paar Worte selbst in die Erde versenken. Also kam ich dran.

Während man mir also diskret den Umschlag mit meinem Honorar zusteckte, wartete um die Ecke eine kleine, bescheidene Trauergemeinde. Familie vertraulich dekliniert. Gerade mal acht Personen. Dazwischen und besonders auffällig zwei Jugendliche. Schwarze Springerstiefel. Schwarze Jeans. Schwarze Bomberjacke. Kahle Schädel mit einer Tätowierung. Oh Mann, dachte ich. Genau die, denen ich niemals begegnen wollte. Nun standen sie in stattlicher Größe vor mir. Einer trug die Urne in der Hand.


Was sollte ich anders tun als das, was ich immer tat?

Also ging ich mit, schweigend Schritt für Schritt. In meinem Kopf sammelten sich die Phantasien. Liefen voll, liefen über ... keine Antwort auf alle Fragen. Als wir ans Grab kamen, stellten sie die Urne ab. Ich öffnete meine Ansprache und las tapfer daraus vor. Satz für Satz langsam, nur nicht zu schnell. Das sie meine Angst nicht merken. Denn noch bin ich nicht auf der Flucht.

Als ich durch kam und bis ans Ende, dort wo auch ich bete - wenn gewünscht - und noch einmal das Leben ausspanne zwischen Schuld und Vergebung, schaute ich kurz hoch. Die beiden direkt an. Ich mochte es nicht glauben. Dicke Tränen rollten über geröteten Wangen. Ja, der größte Feind sitzt immer innen. Die Gefühle, die man sonst nicht zeigen darf. Und der innere Feind war diesmal nicht zu besiegen. Gut so. Die Urne wurde in die Erde gesenkt und für einen Augenblick schien friedlich die Sonne auf alle Versammelten. Das letzte gute Werk der Oma, dachte ich noch und trat dann zwei Schritte zurück.



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