Mittwoch, September 24, 2008

Das schwarze Loch


Alle haben darauf gewartet, dass es endlich passiert.


In Genf wurde der grösste Teilchenbeschleuniger der Welt angeworfen, der endlich herausfinden sollte, woraus wir bestehen. Das kleinste der kleinsten Teilchen weit hinter einem Atom samt dessen Spaltprodukten. Unvorstellbar klein und nur in einer Millionsten Teil einer Minisekunde erzeugbar - das Geheimnis vom Werden.

Es geschah anderes.

Die Implosion fand statt.


Aber nicht in Genf, sondern in der Wall Street von New York. Die war schon länger das größere Experiment. Das Geheimnis des Vergehen und der Vernichtung wurde wahr. Einige behaupten nun, das schwarze Loch sei länger dort gewesen, nur hätte es bis dato niemand bemerkt.

Es muss so etwas wie negative Materie sein, die sich nun konvertiert und als schwarzes Loch den Kapitalmarkt selber verschlingt. Das ist nicht so ganz abwegig, konnte man doch inzwischen auch auf den Niedergang der Wirtschaft wetten und dabei noch kräftig verdienen.

Mein Opa sagte von einigen Jahren: Es muss wieder Krieg kommen. So erschrocken ich war, hatte derselbe Mann doch deren zweier überstanden, umso mehr kam mir diese Aussage in Erinnerung. Ohne Vernichtung kein Neuanfang. Und ohne Neuanfang keine Zukunft.

Nun implodiert die Welt nach innen.
So ein schwarzes Loch ist schon noch beeindruckend.

Einige sagen, so etwas gäbe es auch in der Seele. Unheilbar frisst es alle Hoffnung weg. Ich glaube, das stimmt sogar.


Donnerstag, September 04, 2008

Buchstäbliche Wanderschaften oder passierte Kost

Nun - nach all zu langer Zeit will ich wieder schreiben. Häppchenweise. Aber nicht in passierter Kost und Buchstaben, wenngleich das Wort "passiert" doch eine doppelte Bedeutung empfängt und daher bedingt tauglich ist für all das, was hier nicht steht und geschrieben wurde.

"Es steht geschrieben ..." - das ist eine der alten Chiffren und Floskeln, mit denen früher die Bibel herbei gerufen wurde. Zugleich mit dieser fraktal-theologischen Erinnerung sehe ich auf meinen Bildschirm, der nun mehr als Text und Programme offenbart und mir den Blick frei gibt auf ein Bild und Foto, das mich jeden Tag begrüsst und das ich nicht missen möchte.

Ein Lebensbegleiter für buchtstäbliche Wanderschaften.

Die geöffnete Schrift empfängt mich, ein schwarz-weiß Bild mit von rechts nach links zu lesender Schrift, mit einer Hand, die sanft darauf ruht, die das Fahren und Lesen lernt, als wäre die hebräische Sprache eine Blindenschrift geworden und man müsse erst fühlen, das da geschrieben stehe, bevor man es überhaupt begreifen kann.

Ein Übung ist es, die der Protestantismus anfangs noch kannte. Als man hinging und die Schrift nahm und übersetzte, sie wie ein Werkzeug benutzen konnte unter Schweiss und Tränen, da sie ja ein ein Wiederfahrnis sein wollte, etwas woran Er-fahrung zu gewinnen sei, gleichwie der Finger wieder und wieder über die Buchstaben fährt. All das jedoch ist so sehr verlernt worden und eingedampft, dass niemand mehr davon reden möchte, geschweige denn selber seine Nase samt Finger in dieses Buch tun möchte.

Mich also begrüsst dieses Bild jedes Mal als ein Willkommen Anzeiger, wenn ich den Bildschirm anwerfe. Ein Widerfahrnis zwischen den Zeilen, denn es steht ja geschrieben ....



Von März bis heute wäre nun der Bogen abzufahren, nicht um "up to date" zu bleiben, sondern um die Anknüpfung wieder zu finden, die vielen Wünsche, die zwischendurch bei mir zu Besuch waren, grüssten und sich verabschiedeten. Die vielen Begegnungen mit mehr als Menschen und auch den Wunsch, wieder weiter zu schreiben, die Form wieder zu finden, das allmorgentliche Ritual.

Ja auch das ist zu berichten: Urlaub hatten wir auch in der Toskana und dort wunderbare Fotos gesammelt, keine Momente des Alltags, achtsam unterwegs gesammelt, die man wie Beute dann an die Leinwand im heimischen Wohnzimmer wirft, wie wir es von Jugend an gewöhnt waren. "Komm", sagte meine Mutter dann, "wir machen einen Diaabend!"

Dann wurde die Leinwand samt Equippment aufgebaut und der Fernseher blieb endlich mal aus. Nachbarn und Bekannte waren eingeladen und Sekt samt Salzstangen bereitgestellt. Vater bekam den Lichtfinger, eine Taschenlampe, deren vordere Seite so verdunkelt war, dass man nur ein leuchtendes "V" sehen konnte. Damit fuhr er über die Bilder an der Wand und rezitierte die Erinnerung, geglückte Momente des Glücks, nun nach außen öffentlich dokumentiert. All das war nicht allzu fern entfernt von jenem jüdischen Schriftfinger, dem Rezitieren der Schrift, das erfahrbar macht, was geschrieben steht.

Heute rezitiert man keine Erfahrungen mehr. Man nimmt sie maximal an Anlass, die eigene wie einen unverdaulichen Senf hinzu zu tun. Wenn morgens die Andacht der Kirchen im Radio plärrt, schalten wir ab und stehen auf. Es ist schlicht unerträglich, dieses durchgehende Trittbrett Fahren auf den Erfahrungswelten anderer - als wäre die Aneignung von Leben nur als Raub möglich. Als hätte nicht auch die Bibel ins sich selber eine samtene, rauhe und erfahrbare Seite.

Auch wir haben inzwischen unserer Urlaubsbilder gesammelt und versammelt in einem Online Ordner. Schön, mit dem Auge spazieren zu gehen. Sich Auslauf zu gönnen, indem man mit dem Auge abfährt - denn noch immer haben Bilder wie Schrift die Macht unsere Erinnerung zu locken und darin weit mehr als das: die Sehnsucht auf Wiederholung nach vorne.