Dienstag, Juli 24, 2007

Parsevalstr. 26a

Gerade entdecke ich auf dem vom sozial-psychiatrischen Dienst in Düsseldorf ausgestelltem Passierschein und Attest diese Adresse.

Tatsächlich - hier war mein zu Hause. Parsevalstr. 26a in Wuppertal. Hier unter dem Dach begann mein Übergang, Umstieg, Transitus. In einem kleinen Fachwerkhaus, versteckt in Unterbarmen, sanft gelegen am Fuße der Kirchlichen Hochschule, wo ich studierte um mein Examen abzulegen.

Bild: Karin Kammann
Hier haben wir auch geheiratet und hier haben wir uns getrennt. Hier schrieb ich eines Abends auf der Schreibmaschine, was ich nicht über Jahre nicht sagen konnte. Was ich für mich behielt und was ich als Krankheit zum Tode erachtete. Während ich in die Tasten griff, und Type auf Type, Buchstabe für Buchstabe in das Papier drückte, sah sie mir über die Schulter und ahnte wohl, dass sich unser Leben ändern sollte.

Zum ersten Mal konnte ich mich einem Menschen anvertrauen. Und dann in einer Art und Weise, die ihn unglücklich machen würde. Selige Dialektik. Trautes Willkomm mit Tränen in den Augen.

Nicht konnte ich sagen. Ich saß da und schrieb mir die Seele wund. Nein, gewollt hatte ich es auch nicht - und doch, sonst würde ich es nicht tun. Nein, gehen wollte ich diesen Weg nicht und ging ihn doch. Gewünscht habe ich es mir nicht und eigentlich doch immer: dass wahr wird, was ich fühlte. Dass das Leben mich einholen möge, auch wenn es seinen Preis haben würde.

Gefunden hatten wir diese Wohnung durch Vermittlung der Kirchlichen Hochschule. Da gäbe es eine ältere Dame, die noch eine Wohnung frei hätte. So kam es, dass wir unter dem Dach eine ganze Etage für uns hatten, zwei Zimmer plus Küche und Bad. Urgemütlich mit Klappfenstern. Kleinen Aussichten über das Wuppertal. Wenn ich recht überlege, war mein Ort immer schon unter dem Dach, so auch hier wo ich diese Zeilen schreibe.

Unter dem Dach - das heißt auch nur noch den Himmel über sich. Ich erinnere mich noch an schlaflose Nächte, in denen nur der Mond durch das Fenster zog. Das endlos lange Blicken auf die Wolken und das ungläubige Staunen über mich selber: sollte das tatsächlich mein Weg werden?

Immerhin war ich damals ein frisch verheirateter Theologiestudent vor dem Ersten Examen mit den allerbesten Aussichten auf eine kirchliche Karriere. Ich hätte einfach nur JA sagen müssen und die Wahrscheinlichkeit, dass ich jetzt als wohl bestallter Pfarrer mit Frau und vier Kindern am Niederrhein leben würde, wären nicht gering gewesen.

Wer mutet sich selber und vor allen den anderen so etwas zu? Und doch war es im Moment, da ich saß und schrieb wie eine Erlösung. Was ich über Jahre mit mir trug, was ich wie mein innerstes Geheimnis hütete, fand den Weg nach außen. Vielleicht habe ich diesen Umweg über diese Familie nehmen müssen, dass ich Vertrauen lernte. Dass ich mich angenommen fühlte, immerhin war mein Schwiegervater dann der nächste Mensch, der von meiner Ent-Scheidung erfuhr und mich - wider allem Erwarten - in den Arm nahm und drückte. Den Geruch seiner Wildlederjacke habe ich heute noch in der Nase.

So schmeckte ich das Vertrauen nur kurz und wie ein hungriger Mensch, hieß diese Entscheidung zugleich auch, dass diese Ehe beendet werden würde, dass ich nicht bleiben konnte. Was ja auch richtig ist und war, was nicht ich zu entscheiden hatte, sondern andere. Ich war einverstanden und die Abmachung galt: wenn die Operation ansteht, trennen wir uns. Bis dahin konnte ich bleiben.

Es wurden zwei Jahre dann und auc hwenn ich schnell startete, dauert die Bewilligung eines Geschlechterwechsels bei laufendem Leben doch etwas länger und man muss unzählige Prozeduren und Begutachtungen über sich ergehen lassen, muss ausweisen, dass man es ernst meint und vor allem eines lernen, jetzt wo die Entscheidung gefallen war und das war Warten.

So kamen diese Nächte zustande, an denen ich am Fenster stand, den Mond und die Wolken beobachtet und meine Entscheidung in mir Echo fand. So kam dieses merkwürdige Erleben zu mir, endlich losgegangen zu sein und doch still zu stehen. An der Holzwand hatten wir ein Bild, das ich bis heute lieb gewonnen habe. Ein Chagall. Der Rabbi mit der Thora. Und merkwürdig genug, wurde er mir in all den Nächten zum stillen Mitwisser und Freund.

Quelle / Link: www:artprints.com

Kann sein, schon hier war mir der Rabbi näher als der Pfarrer. Der die Thora trug wie ein kleines Kind, wie das Leben selber. Einige Wochen später begann ich die Hormontherapie, spürte von tag zu Tag die Veränderung, begrüßte sie und wusste zugleich: ab einem gewissen Punkt ist das unveränderlich.

Erstaunlicher Weise bestand ich mein Examen, damals schon in ein kleines Gästezimmer gezogen mit einem Schreibtsich auf Holzböcken, drei mal zwei Meter Leben mit Aussicht ins Tal. Eigentlich eine unerhörte Leistung, ging doch im Jahre 1986 fast ein Drittel der Kandidaten nicht an den Start. Ich wusste zugleich, dass dies meine einzige Chance war. Jetzt oder nie. Zumal nach einem halben Jahr Hormontherapie.

Der Kirche offenbarte ich mich wenig später, im Oktober 1986 in einem ausführlichen Gespräch mit dem damaligen Ausbildungsreferenten Mehlhausen. Ich sagte, dass ich mich ändern würde, dass ich eine Frau werde und legte ihm als Bestätigung das Transsexuellen Gesetz von 1981 auf den Tisch, das ich zuvor auf dem Kopierer der Kirchlichen Hochschule gelegt hatte. 10 Seiten Gesetz. Merkwürdig genug, fand sich weder dieses Gesetz noch eine Aktennotiz in meiner Personalakte wieder.

Danach passierte erst mal gar nichts. Ein Jahr lang versorgte meine Partnerin mich, während ich Gutachten und Artzbesuche hinter mich brachte. Ein Mensch, der sich selber anzeigt. Als lebendig. Unvorstellbar das ganze, wenn man bedenkt, dass bei laufendem Scheidungsverfahren (das ja auch eingereicht werden musste) ich dennoch in der Parsevalstr. 26a mein Asylplätzchen finden konnte. Dafür bin ich bis heute noch dankbar weit über das hinaus, was ich hier schreiben kann.

Der Alltag stellte sich ein. Bei der Bäckereiverkäuferin war ich auf einmal die "Cousine". Der Friseur versuchte sich an einer ersten Minipli. Ich machte die verrücktesten Sachen, wollte und musste ich doch auf - unter Beobachtung - dokumentieren, dass mein Wollen echt und mein Wunsch zu wechseln nicht zu erschüttern sein. Wohin der Weg mich führen sollte - ich wusste es nicht. Wusste aber wohl, dass ich Schritt halten wollte, den Rhythmus erkennen wollte von Stehen und Warten, von vorsichtigem Gehen und Ausprobieren.

Erst viel später dann sollte auch die Kirche sich wieder melden. Es gab, sicherlich auch durch die wohlwollende Intervention meines Schwiegervaters, der in Sekunden begriff was die Kirche bis heute nicht verstand, und eines weiteren Superintendenten des Kirchenkreises Jülich nach einem Jahr Wartezeit ein befristetes Stipendium. Unmöglich auch, dass meine Ehefrau bei weiteren Scheidungsverfahren noch weiter für mich aufkommen sollte. Es gab zudem ein Versprechen, dass ich nach Düren kommen könne. Um erneut Fuß zu fassen. Allein, es geschah nicht.

"Grünes Licht!" so hörte ich stets. Und nichts geschah. So musste ich ausziehen, während meiner Operation. So musste ich mir ohne Personalausweis eine neue Wohnung suchen, aber das ist eine andere Geschichte und die soll ein anderes mal erzählt werden.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Frau Kammann,
ich bin nur zufällig auf Ihren Blog gestoßen, weil ich bei Google Parsevalstr. 26 eingegeben habe- das wird nämlich ab Dezember unsere neue Heimat ;-)- dabei bin ich dann auf Ihre Geschichte gestoßen, die ich sehr bewegend finde. Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und dass es Ihnen richtig gut geht und Ihnen keine Steine mehr in den Weg gelegt werden...Schade, dass so vieles in unserer Gesellschaft noch nicht akzeptiert wird oder einfach als "normal" angesehen werden kann...Ob Mann oder Frau- ist doch sowas von egal- Sie bleiben doch der gleiche Mensch! Herzliche Grüße Ellen Becker

Karin hat gesagt…

Danke Frau Becker. Das hat mir gut gefallen. Wenn Sie da sind, schicken Sie doch mal eine Mail oder googlen meinen Namen. Würde mich freuen, mit Ihnen in Verbindung zu sein.

Karin Kammann

Anonym hat gesagt…

Das werde ich gerne machen! Ich hab gesehen, dass das Haus leider ganz schön "runtergekommen" ist- schade, so ein schönes Häuschen...Naja, vielleicht wird ja mal was dran gemacht. Wir ziehen in die 26d; bin gespannt, ob es uns dort gefällt. Wuppertal an sich macht es einem ja nicht ganz so leicht, sich einzuleben ;-) Ihnen weiterhin alles Gute und weiterhin viel Kraft! Liebe Grüße, Ellen Becker

Anonym hat gesagt…

Hallo mein Name ist Petra ich habe durch Zufall gesehen das sie in das Haus 26 d ein Ziehen Haus hat mal vor 30 Jahren meiner Oma gehört leider ist sie schon lange tot .Danach habe ich das Haus nie wieder gesehen bis heute .Meine Oma wohnte unten im Keller und meine Tante in der ersten Etage.Könnten sie mir vielleicht mal ein paar schöne Fotos von dem Haus schicken ich würde mich sehr freuen.Leider schaffe ich krankheitsbedingt nicht mehr den Weg dorthin.Ganz liebe Grüße Petra Götze aus Münster