Montag, Juli 23, 2007

Der kleine Unterschied

Oft werde ich jetzt schon mal gefragt, was anders geworden ist dadurch, dass ich keine Pastorin mehr bin und auch nicht mehr werden kann. Ich gebe zu, da schwingt für mich auch jede Menge Verletzung mit. Unfassbarkeiten, die man nicht für möglich gehalten hat.

Und dennoch gibt es einen kleinen Unterschied, der sich sehr positiv auf mein Leben auswirkt. Als Pastorin war es mir unmöglich, mich zu meiner Geschichte zu verhalten. Es war wie durch eine gläserne Wand, da durfte nichts nach außen dringen. Da war die Pastorin hier, die zu funktionieren hatte und in ihren Maßen durchaus auch eigene Gedanken haben durfte. Und da war meine Geschichte, all das Er- und Durchlebte zwischen den Geschlechtern, diese Reise, die ich ja schon im Jahre 1986 dann begonnen hatte. Davon war zu schweigen. Davon durfte ich nichts sagen. Das war mein persönliches Problem.

Ich glaube, so ein Spaghat der Seele ist nur bedingt zu leben. Das kann auf Dauer eigentlich nicht gut gehen. Und irrig ist die Annahme, dass man einfach mal das Geschlecht wechseln könne. Das geht nicht, weil die dort und dabei gemachten Erfahrungen eben nicht rudimentär sind, sondern prägend für den weiteren Lebensweg. Das geht erst recht nicht, weil die Erfahrung von Einsamkeit, von ganz alleine sein, sich einbrennt gerade dort, wo es um Kirche geht.

Sicherlich, im besten Glauben mögen sie gedacht haben, das macht man eben und dann ist alles wie bisher, nur dass wir jetzt alle zusammen Frau K. sagen und nicht mehr Herr K. Das ist vielleicht exotisch, aber das bekommen wir viel besser hin, als wenn wir uns ernsthaft damit beschäftigen müssen, welche Erfahrungen dort gemacht werden.

Undenkbar bis heute, dass die Kirchenleitung realisisert hätte, dass so ein Weg auch durch Anfechtungen, durch Pöbeleien ging. Einmal bin ich sogar auf dem Weg zur Ev. Ehe- und Lebensberatung, wo ich für 100 Mark im Monat nachmittags das Telefon bedienen konnte, in der Unterführung angespuckt worden. Das alles geschah ebenso wie die Pöbeleien in der Schwebebahn, das unwillkürliche Wechseln der Straßenseite, wenn man sie schon auf sich zu kommen sag und zugleich wusste, es nutzt nichts. All diese Erfahrungen durften in der Kirche nicht vorkommen. Und gerade sie machten mich aus.

Nun, wo ich keine Pastorin mehr sein und werden kann, kommen diese Geschichten zurück. Nicht mehr in der alten Angst, nicht mehr in der Not - sondern eher wie alte Freundinnen. Weil sie auch zu mir gehören, weil man sie nicht von meinem Lebensweg abschneiden kann. Weil sie vielleicht auch einen wesentlichen Teil meines Lebens ausmachen.

Als Coach kann ich authentisch sein. Als Coach und Beraterin kann ich diese Geschichten alle als Freundinnen mitnehmen und muss mich nicht verstecken, muss sie nicht abspalten von meinem Alltag. All das, was ich mit großen Druck in dieser Kirche verdrängen musste, kann auf einmal da sein.

Auch die Trauer und die Tränen. Denn die hat es ja auch immer gegeben. Die vielen Verlusterfahrungen. Freunde, die mich verlassen haben. Einsamkeiten, die ich durchlebt habe. All das gehört nun, wie ein paulinischer Peristasen Katalog dazu. Und es macht den inneren Reichtum aus, die innere Spannweite, die man nur entwickelt, wenn man sich in den eigenen Widerspruch begibt, wenn man wagt, was es zu wagen gilt: Ich setze meine Fuß in die Luft und sie trug.

Daher kommt innerlich nun eine andere Verwurzelung zum Vorschein: Im Einklang zu leben und diesen kleinen Unterschied kenntlich zu machen. Eben, dass ich nur so, in und mit dieser Geschichte, die sicherlich nicht nur schön war, ich selber sein kann. Dass ich sie weder zur Schau stellen muss, nocht verleugnen.

Die Kirche selber konnte das nie begreifen. Die schrieb bis zuletzt noch, dass ich meine Geschlechterkonversion "funktionalisieren" würde, ohne jemals begriffen zu haben, was es denn gewesen ist. Daher ist es ja eigentlich witzig, wenn das Landeskirchenamt mich zum sozial-psychiatrischen Dienst nach Düsseldorf überweisen möchte - eben dorthin, wo ich im Jahre 1987 mein erstes Gutachten erhalten habe. Der Kreis des Unverständnis schließt sich damit. Und ich bleibe bei mir und mir selber treu.

Ein andere Gedanke zugleich: Kann sein, ich muss gar nicht mehr predigen. Kann sein, ich kann schreiben und mit dem, was ich dort zu sagen habe, die Menschen ganz anders erreichen als im Talar vor ca. 20 Predigthörern. Das Lesen braucht keine Kanzel. Das Schreiben kommt mir vor wie innerer Balsam.

Daher wird es Zeit für mein Buch und die Treue zu diesen Fingerübungen. Schön, wenn Menschen mitlesen. Ich danke Euch dafür.

Oder anders gesagt: Es lebe der kleine Unterschied.






P.S.: Ein kleiner Nachtrag zu sog. Peristasen Katalogen.
Eigentlich kennt man sie in der Kirche oder Theologie überhaupt nicht mehr und mich wundert es auch nicht, dass diese Kernstücke der frohen Botschaft, die mit Erfahrung getränkt sein will, in Vergessenheit geraten ist. So schreibt Paulus im zweiten Brief an die Korinther in sechsten Kapitel einen Peristasen Katalog, wie ich ihn lieber nicht lesen möchte und der mir mehr vom Evangelium zeigt, als alle sonntägliche Predigt wohlbestallter Kirchenbeamten:

...
als die Verführer, und doch wahrhaftig;
als die Unbekannten, und doch bekannt;
als die Sterbenden, und siehe, wir leben;
als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet;
als die Traurigen, aber allezeit fröhlich;
als die Armen, aber die doch viele reich machen;
als die nichts innehaben, und doch alles haben

So - denke ich.

Genau so müsste Evangelium gelebt werden.

Als sich bewahrheitende Erfahrung, die vor den dunklen Seiten nicht Halt machen muss. Die sich zeigt und bereit ist zu zeigen: verletzlich weit mehr und offen, nicht nur für sich. Die gibt gerade dann, wenn es nichts mehr zu verteilen gibt. Die Offenheit lebt, wenn sie Verletzlichkeit wagt, die nicht fragt nach Effizienz und nutzen, sondern stolz ist, da zu sein. Mehr nicht.


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