Montag, Juli 23, 2007

Im Landeskirchenamt durch den Spiegel springen

Nun, ich hätte mich selber dafür nicht fähig gehalten. Aber ich habe es getan. Am Donnerstag bin ich - mit durchaus zittrigem Herzen - ins Landeskirchenamt zu Düsseldorf gegangen. Der Ort, den ich wohl - nicht nur von den Toilettenanlagen beiderlei Geschlechts - am besten kennen gelernt habe. Ein blass grauer Betonbau, inzwischen mit einem Atrium ausgebaut und neuerdings auch Videokameras, damit nicht jeder unangemeldet herein kommen kann. Wo wir im Ersten Theologischen Examen 1986 uns noch nass regnen ließen und unsere erste Zigarette nach den Prüfungen rauchten, befindet sich nun ein großer Holztresen von Glas überdacht. Dahinter wurde wie ein müder Kapitän auf See ein Pförtner platziert, der alles im Griff haben soll, nicht unähnlich dem Entree der umgebenden internationalen Unternehmen, nur etwas müder als hätte man ihn nach langem Schlaf unwillig geweckt. Schlafes Bruder im Herrn.

In der Kriminologie sagt man ja wohl nicht zu unrecht, dass ein Täter gerne den Tatort wieder aufsuchen soll und in ungefähr war es ja auch so, denn im September letzten Jahres hatte ich ja in öffentlicher Aktion meinen Talar dort niedergelegt und durch die Verbrennung der landeskirchlichen Androhung, mir nun letzlich und endgültig die Ordinationsrechte zu entziehen (wer erinnert sich da nicht an einen Mönch aus Wittenberg) dokumentiert, dass ich nicht länger zum Gehorsam gegenüber diesem Landeskirchenamt bereit war.

Bild: R.Reschkowski

Nun also kam ich zurück, um meine Personalakte einzusehen. Das ist ein gutes und verbrieftes Recht und wo man nichts mehr verlieren kann - die Ordinationsrechte wurden natürlich entzogen - wächst eine eigentümliche Freiheit. Man muss sich von solchen Besuchen zum ersten Mal nichts mehr versprechen. Die Hoffnung, die mich seit dem Jahre 1986 begleitete, doch noch in diesem Beruf arbeiten zu können, das Vertrauen, dass ich damals im Oktober dem Ausbildungsreferenten Herrn Mehlhausen entgegen brachte, als ich ihm meinen Wechsel geflissentlich anzeigte, es gäbe einen kirchlichen Ort für mich - all das war vergangen und vorbei. Die Kirche hat ihre eigene Antwort gegeben und nun war ich da, diese in der bestens dokumentierten Personalakte nachzulesen.

Denn eines musst man ihnen lassen: auch wenn es umfangreiche vier (sic!!) Ordner waren, so konnte man fast alles Wesentliche darin wieder finden und - vor allem - noch viel mehr. Freundlich wurde ich von der Kirchenbeamtin in ihr Arbeitszimmer gebeten, die Akten lagen zur Einsichtnahme bereit und insgeheim sah ich auch ein leichtes Lächeln um ihren Mundwinkel. Grad so als wolle sie sagen: Mensch Frau Kammann, das hätte ich auch nicht erwartet, dass sie klein beigeben bei diesem wohl produzierten Stapel Papier hier vor mir.

Vier Katen auf einem Tisch - wer konnte das schon von sich behaupten, wo doch heute nur noch die Menschen genommen und gewählt werden, die keinen Ärger machen, deren Akte und Charakter handhabbarer zu sein scheint und deren Aussagen stromlinienförmiger. Ein Doppelhefter Leben in Papier reicht meist für eine lebenslange Beamtenkarriere. Bei mir waren es nun vier Ordner, die da wie ein verstaubtes kirchliches Leben zwischen blassgrünen Deckeln vor mir lag.

"Die zwei dünnen, blauen Aktenordner sind ihre Verfahren vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht!" kam es freundlich von hinten, von einer sicherlich sachkundingen Mitarbeitenden. Ach ja, die Verfahren - einmal ein gewonnenes aus dem Jahre 1999, acht Jahre jetzt her, als ich im Sonderdienst nicht beschäftigt wurde. Eine ganz merkwürdige Geschichte, wo auch in den Akten nicht mehr nachzulesen war, was da geschah im Jahr 1996, wo eine Gemeinde mehrheitlich mit nur einer Gegenstimme meinte, mich aus dem kirchlichen und damit pastoralen Dienst entfernen zu müssen.

Die Hoffnung trog, dort etwas mehr erfahren zu können als das, was bekannt war. Wegen nicht näher zu bezeichnender "Verhaltensauffälligkeit", hieß es etwas gedrechselt im Anschreiben des späteren EKD Präses Kock, so als hätten sie krampfhaft etwas gesucht, was man auch auf Papier bringen könne. Es blieb nicht viel, aber in der Durchsicht meiner Akten fiel hier zum ersten Mal das Wort: "verhaltensauffällig " und als Leser von Institutionsakten versiert war, hörte hier schon die Glocken schrillen. Eine verhaltensauffällige Pastorin - das ist schon ein Skandal in sich, wie er seit Martin Luther sicherlich nicht mehr vorgekommen ist. Eine Predigerin, die sich nicht anpassen will - da ist doch höchste Aufmerksamkeit geboten. Wo kommen wir denn hin, wenn das alle tun würden.

Kurzum, nach diesem Beschluss konnte man mir zwar die Bezüge nicht verwehren, da ja ausdrücklich und schriftlich testiert "kein konkretes Verschulden nachweisbar" sei, aber man war sich einig, dass ich als Pastorin nicht mehr taugte und ließ mich fortan nicht mehr auf die Kanzel. Meine Klage - ich kehre zur ersten blauen Akte zurück - war erfolgreich. Das kirchliche Verwaltungsgericht attestierte in der Auffassung, ich müsse - wenn schon denn schon - auch predigen dürfen. Zwar kam dieser Beschluss zu spät - schon im April 2000 wurde ich durch Zeitablauf entlassen - dennoch war er für mich eine tiefe innere Befriedigung. Dass ein Landeskirchenamt nicht eben machen kann, wie es will. Und dass es - so glaubte ich es damals noch - eine eigene, unabhängige Justiz auch in Kirchenkreisen geben kann.

Das war also die eine Gerichtsakte, das gewonnene Verfahren 1999, das dann doch keine wesentlichen Konsequenzen mehr zeitigen konnte. Interessant allerdings war, dass man - trotz verlorenem Verfahren und Kostenfeststellungsbeschluß - meinen Anwalt nicht bezahlen wollte. Der musste sein nicht allzu üppiges Honorar mehr als zweimal beim Landeskirchenamt anmahnen, was ich für einen sehr zynischen Umgang eines Verlierers erachtete. Immerhin war mein Anwalt schon weit über 70 Jahre. Unverschämt und - mit dem Blick in diese Akte - tatsächlich belegbar.

Die zweite blaue Akte umfasste mein letztes Verfahren aus dem Jahre 2006, in welchem die Kirche letzt-gültig entschied, dass keinerlei Fürsorgepflicht gegenüber mir bestehe. Entlassene Theologen gelten damit rechtlich als nicht-existent und endgültig ent-sorgt. Das bestätigte dieses Urteil. Es gibt sie schlicht nicht mehr, egal ob sie arbeitslos oder Hartz IV sind, egal ob sie als Mutter oder Vater Verantwortung übernommen haben, egal ob sie Jahre zuvor für diese Kirche gearbeitet haben oder was auch immer. Mit der Entlassung aus dem kirchlichen Dienst wird der Dienstherr blind.

Auch diese Entscheidung brachte die Dinge auf den Punkt. Arbeitslose Theologen überlässt man besser sich selbst. "Pech gehabt", sagte damals die Richterin, als ich darauf verwies, dass auch mein damaliger Sonderdienst ja de jure gar nicht geleistet wurde, da über Jahre hinweg keine Dienstanweisung für mich bestand. "Das hätten sie sofort damals einklagen müssen. Jetzt ist es zu spät." Und so beschränkte sich sich auf ein rein formelles Verfahren voller verfahrensrechtlicher Richtigkeiten. Eine unabhängige Justiz in der Kirche, so wie ich es 1999 noch dachte, verflog im Kopfnicken der Entsorgungspezialisten. Es wurde ausgeführt und ausgegrenzt. Die Institution feierte sich selber, hatte sie jetzt doch alles richtig gemacht, war dieser Prozess nicht zu verlieren und zeigte doch nur, dass der Mensch schon lange ausgezogen war in diesem Verfahren.

Keine weitere Fürsorgepflicht, sobald man entlassen wurde. Basta. Und aus die Maus. Keine Hilfe vom Arbeitsamt oder der Agentur, da man als Beamter dort nie Beiträge eingezahlt hatte. Keine Hilfe, obwohl man sich verbindlich auf diesen und keinen anderen Weg mit der Kirche eingelassen hatte. Immerhin habe ich das nun schriftlich in einem Urteil bekommen.

Die anderen beiden großen Aktenordner quollen über. Manchmal muss man durch den Spiegel springen, um in ein neues Land zu kommen. Und in diesem Papierwust kam mir eine Menge Erinnerung entgegen. Gut dachte ich noch, dass ich ruhig bleiben kann. Dass ich hier Einsicht nehme und mir niemand das Recht dazu streitig machen kann. Eigentlich haben sie die Arbeit besser gemacht als ich. Hier liegt das Recherche Material für mein Buch: mitten im Landeskirchenamt von beflissenen Kirchenbeamten liebe- und mühevoll zusammen getragen. Zu oft las ich dabei den Vermerkt: Akte nicht in Registratur.

Auffällig zuletzt waren mir noch drei erstaunliche Feststellungen, die das letzte Jahr betrafen. Da konnte ich also lesen, dass das Landeskirchenamt tatsächlich versucht hat, den sozial-psychiatrischen Dienst einzuschalten. Was sie dort wohl wollten? Natürlich war und ist es immer noch der einfachste Weg, einen Dissidenten, einem Menschen mit abweichender Meinung, der psychiatrischen Begutachtung anheim zu geben. Aber für ein Landeskirchenamt dann doch etwas mehr als abenteuerlich, wenn man sich zugleich zu Gemüte führt, dass niemand über die Monate mit mir in Kontakt trat geschweige denn mit mir geredet hat. Das wäre ja das Mindeste gewesen, was man hätte tun können. Statt dessen rief man die Sozialpsychiatrie auf den Plan, die einen Paulus sicherlich auch als dankbares Objekt der Begierde unter Beobachtung gehalten hätte. Allein, die Psychiatrie hat sich inzwischen auch verändert und die Antworten von dort waren mehr freundlich und bestimmt: Tut uns leid, wir haben und sehen keine Handhabe, gegen Frau Kammann tätig zu werden.

So saß ich da und staunte, was sich meinen Augen darbot. Notierte dann Namen und Telefonnummern und werde bei Zeiten dort sicherlich einmal anrufen und vorsprechen, was denn nun wirkliche das Begehren des Landeskirchenamtes war.
Immerhin - und davon gibt es zwischen diesen Aktendeckeln nicht wenige - ein unerhörter Vorgang eines ehemaligen Dienstherrn gegenüber seiner immer-noch Theologin, auch wenn sie inzwischen qua Rechtsspruch als nicht-existent im Sinne kirchlicher Fürsorge und damit der Wahrnehmung definiert wurde.

Noch toller kam es, als ich die Aktennotiz der Polizei Düsseldorf las, an die sich das Landeskirchenamt - wohl in Person des Oberkirchenrates Dembek - gewendet hatte. Dort wurde dann empfohlen, "bevor Frau K. das Gebäude betritt, die Nummer 110 zu wählen." Puh, das muss man sich erst mal vorstellen. Ein Taliban ist nichts dagegen, zumal er meist keinen Namen hat und auch nicht öffentlich als Frau K. auftritt. War ich etwas über Nacht zu einem öffentlichen Sicherheitsrisiko geworden, gegenüber der man zur Gefahrenabwehr die Polizei einschalten musste?, sinnierte ich noch über den Schreibtisch gebeugt.

"Danke," sagte ich der Kirchenbeamtin, als sie mir beim Aktenstudium ein Glas Wasser hinstellte. "Danke, dass sie nicht gleich die 110 gewählt haben, als ich heute bei Ihnen zur Akteneinsicht kam." Sie lächelte nur und antwortete: "Ich habe da besser mal keine Meinung zu." Und ich denke, sie tat gut daran.

Zu Mittag verließ ich das Landeskirchenamt. Nicht in Handschellen, sondern als durchaus freie Frau und Theologin, mit ein paar mehr Erkenntnissen und Fakten bewaffnet als zuvor. Der Pförtner winkte freundlich und fragte: "Alles bestens erledigt?" Ich nickte und ließ die Glastüre hinter mir zufallen. Draußen hatte es geregnet. Die Luft war - oder kam es mir nur so vor - merkwürdig frisch und klar. Ich kickte meine Vespa an und verschwand - bis zum nächsten Mal.


P.S.: Sie glauben es nicht, was ich hier geschrieben haben? Nun, kommen Sie doch das nächste Mal einfach zur Akteneinsicht mit. Es gibt ein nettes, kleines Zimmer, etwas Mineralwasser und einen freundlichen Pförtner, der die Lage im Griff behält. Und Einsicht nehmen darf jeder unter der Voraussetzung, dass er von mir beauftragt wurde. Ich nehme an, das wird man dann auch schnell ändern.

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