Freitag, März 02, 2007

Anschäge auf das Selbstbewusstein

In der ZEIT war gestern online zu lesen, dass man sich inzwischen sicher ist, dass der Thesenanschlag eines Martin Luthers gar nicht erfolgt ist. Zumindest nicht mit dem Hammer. Robert Leicht schreibt dazu, dass sich "ein epochaler Vorgang wie die Reformation weder auf einige Hammerschläge noch auf einen Geistesblitz reduzieren" ließe.

In der Tat waren Luthers Thesen ihrer Form nach eine Einladung zu einer Disputation, wie sie allenthalben an der damaligen Universität zu finden waren. Sie schärften seine reformatorische Erkenntnis, setzen sich aber auch offen dem Widerspruch aus. Es waren daher alles andere als protestantische Hammerworte, sondern erst mal Thesen, die auf ihre Bewahrheitung oder Widerspruch geradezu warteten.

Daraus hat die evangelische Kirche das Gegenteil gedroschen. Thesen wurden zum Dogma degradiert und der hörend, suchend und sich dem Widerspruch ausliefernde Teil des protestantischen Glaubens ertrank in fort währendem , intelektuellem Magerquark.

Luther war ein Mönch seiner Zeit und damit gebildet - durchaus. Vernehmend las er die Psalmen in seinem Kommentaren vor der reformatorischen Entdeckung auf die Rechtfertigung allein aus Glauben in Latein seinen Studierenden vor. Immer wieder im Akt der Exegese beschäftigt, fand er, was seiner Suche zuträglich war. Dem Angefochtenem die Rechtfertigung allein als Glauben als Ende einer Suchbewegung hin - auch zum eigenen Ich, das bei Gott eben nicht klein und eingemacht wird, sondern neu frei gesetzt ist. Seine Rechtfertigungslehre ist das Gegenteil kleinbürgerlicher Anpassung, wie sie von der Kirche mehr und mehr gefordert wird.

Die heutigen Pfarrer wissen offenbar nur noch wenig von Luther. Er ist zum Stoff verkommen. Die Universität lässt sie mit ihrem Wissen im Stich. Und der Protestantismus selber ertrinkt in seiner Harmlosigkeit, weil er sich der Welt nicht mehr auszuliefern vermag, dem Widerspruch zum Gegebenen - wie ihn auch ein Dietrich Bonhoeffer für sich als Gehorsam entdeckte. Beide waren keine Glaubenshelden und doch stets an der Wahrheit bemüht. Gerade in der Anfechtung groß und im Dogma eher suchend und bescheiden.

Die Evangelischen heute machen da lieber schnell eine Haifischflosse auf den aus Urzeiten als Friedenssymbol überkommenen Fisch und laden zum Kirchentag ein, wo alles vor kommt und nichts bei raus. Der Haifisch-Protestantismus schnappt sich unserer Kinder - an Verdummung und Harmlosigkeit kaum zu überbieten. Man plakatiert inzwischen wieder mit Solgans und hämmert sie ein, die eine Werbeagentur für teures Kirchensteuergeld erst finden musste.

Arme Protestanten, denen der Mut so kläglich ausging auf dem Wege. Der Mut zum Fragen, der Mut zur wirklichen Auseinandersetzung und Anfechtung. Nulla tentatio, id es summa tentatio. Schrieb ein Luther dereinst. Keine Anfechtung mehr haben, das ist alle Anfechtung haben.

Wer es nicht glauben will - schau bitte hier .

Übrigens hat niemand im Landeskirchenamt meine 16 Thesen zum Gehorsam gegenüber der Landeskirche gelesen, geschweige denn sachlich darauf reagiert. Statt dessen wurde ich des Bruch des seelsorglichen Geheimnisses sowie der Amtsverschwiegenheit geziehen. Zu einem anderen Vorgehen konnte man sich - damals wie heute - wohl nicht entscheiden. Denn Lesen ist gefährlich und könnte die eigene Meinung beeinflussen.

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