Donnerstag, März 15, 2007

austrittserklärung



an die ev. kirche im rheinland
das landeskirchenamt
düsseldorf


austrittserklärung


hiermit erkläre ich meinen austritt aus dem männlichen geschlecht.

ich bin mir bewusst über die konsequenzen und folgetatsachen, u.a. dem verlust jedlichen respektes und des anspruches auf lebenslange verbeamtung unter ansehen meiner person. ich beantrage nachfolgend asyl bei allen anderen geschlechtszugehörigkeiten, insonderheit der gemeinschaft von frauen, die ich hinfort als "zugehörig angesehen" werden möchte. da im gemeinen juristisch- kirchlichen sprachgebrauch frauen auch als "männer im sinne der kirchenordnung" zu betrachten sind, bitte ich dennoch um notifikation und achtung meines standes und der entsprechenden eintragung in den registern und aktengrundlagen der verwaltung der institution.

im status als "zugehörig angesehen" zu werden, möchte ich mein leben in, mit und unter einer weiblichen identität vorerst weiter bestreiten, soweit diese beschreibung für meiner weiteres leben denn als hinlänglich betrachtet werden kann. ich weise dabei ausdrücklich darauf hin, dass ich keinerlei vereidigung oder beurkundung als frau erfahren habe, deshalb kann ich auch nicht garantieren, in dem nun angenommenen geschlecht zeitlebens zu verbleiben. das ist verwaltungsrechtlich weder gefordert, noch als verbindlich vorgesehen oder gar von den probanden selber gefordert.

für alle als mann begangenen taten und folgen trage ich auch weiterhin und selbstverständlich die volle rechtliche verantwortung, für alle im neuen begonnenen schritte bitte ich um unterstützung ders klerikalen konversationsgremiums und bester, seelsorglich poimenischer begleitung.

diese erklärung verfasse ich im klaren zustand und unter zu hilfe nahme aller mir zur verfügungstehenden sinne,

erklärt zu köln
am
12. september 1998

karin kammann
noch-pastorin im interim

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Es ist schon erstaunlich, was man beim Aufräumen des Computers alles finden kann. Wie eine erste Ahnung damals klingt diese tapfer mutige Austrittserklärung. Wie ein Menetekel, so als wusste ich schon vor fast zehn Jahren schon, was passieren wird. Inzwischen kann ich guten Vollzug melden.

Was mich erstaunt hat, ist diese schon damals gefundene Einschränkung, nicht nochmals reduziert zu werden: auf eine kirchliche Frauenrolle, die eben nicht passt. Nicht in ein Frauenbild gepresst zu werden, das sie allenfalls erwünscht und erwartet haben. Diesen Gefallen habe ich ihnen nie erfüllen können und vielleicht liegt genau hier die Antwort, warum dieses Experiment Mensch, wie ich es nenne, scheitern musste. Weil die Kirche nur zu genau wusste, wie ich als Frau zu sein und zu funktionieren hatte. Projektion statt Perzeption.

Aber ebenfalls tröstlich ist es, diese Texte wieder zu entdecken. Texte, die aus alten Zeiten stammen und doch irgendwie immer noch taufrisch wirken. Sie machen den Punkt, den andere sich nicht gewagt haben. Und sie stellen die Dinge auf den Kopf - durchaus kongurent und adäquat zur damaligen Situation.


1998 lebte ich in Köln, in diesem brüllenden Stillstand. Damals noch befristet verbeamtet in einem Sonderdienst, die nie geleistet wurde. Mit Geld versehen, aber ohne Aufgabe, ohne Perspektive, sich wirklich qualifizieren und ausweiseen zu können in diesem Beruf.

Irgendwann fand ich mich wieder auf einer Bank in der Kölner Südstadt, verloren gegeben ganz und gar, mit stillen Tränen im Gesicht, ein innerer Verschleiß, der nicht mehr auszuhalten war. Ich war da, und doch nicht da. Existent und zugleich unsichtbar gemacht. Mit Geld versehen, aber ohne Job. Verrückte Zeiten.

Schon damals aber wusste ich, dass man selbst in der Anfechtung, Ausgrenzung und Fremdheit durchaus sehr klare Gedanken fassen konnte. Und dass die Sprache sich nicht wehren muss, sondern scharf und treffend sein kann, wie ebenso unendlich zärtlich und vertraut.

Kein Wunder, wenn man lesen kann. Denn auch ich habe "in Sprache überlebt." (Elias Canetti) Kein Wunder also, dass mein späterer Weg dahin führte, wo jene schon längst gewesen waren.

Aber das ist eine andere Geschichte und
soll anderswo erzählt werden.





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