Freitag, November 10, 2006

McKinsey grüsst Gott

An den Niederrhein sind wir gezogen, um schiedlich friedlich hier zu leben. Ohne Kontakt zur Kirchengemeinde und einfach mal nur in Frieden. Solange mein Versteck in Wachtendonk vom Landeskirchenamt unentdeckt blieb, konnte ich ja die Sache mit den Ordinationsrechten erst Mal auf sich beruhen lassen. Zumal Oberkirchenrat D. mich hier schon früh besucht hatte und zugleich sich der eigenen Hilflosigkeit versicherte dergestalt, dass er nichts tun könne. Also; wenn die Kirche es wissen wollte, wusste sie, wo ich war. Sie wollte es nicht.

Ruhe, das war genau das, was ich wollte von meiner Kirche. Hier und jetzt. Aber es sollte anders kommen, dazu später. Zunächst schien sich meine Erwartung zu bestätigen.


Ein Blick in den Gemeindebrief zeigte mir, dass es hier gemächlich zuging. Drei Pfarrer teilen sich in der zusammen gelegten Gemeinde "Straelen - Herongen - Wachtendonk" den Gottes- und Predigtdienst und zwar so, dass drei Gottesdienste pro Wochenende für die drei Gemeinden gehalten werden von je einem der Pfarrer, von denen zweie sogar eine Frau sind. Immerhin. In summa predigt also jede pfarrbeamtete Person wohl einmal in drei Wochen. Das ist sicherlich nicht zu viel verlangt.

Sie können es sich etwa auch so vorstellen: die Pfarrerin oder der Pfarrer fertigt einmal im Monat eine Predigt an, die er oder sie dann dreimal in den drei unterschiedlichen Kirchen hält. Betriebswirtschaftlich ist das genial, was man bei Beamten fast gar nicht erwarten sollte. Effizienter hätte das auch eine Unternehmensberatung wie McKinsey nicht hinbekommen. Es ist die finale Einführung des Kopierverfahrens - CopyPaste - in die Kirchenlandschaft. Eine Predigt dreimal gehalten, ist Effizienz in Reinform.

Gleichzeitig werden auch zusätzliche Evangelische Werte geschaffen, sog. "ValueAdds". Alle Gottesdienstbesucher in allen Gottesdiensten in allen Gemeinden hören ja jetzt dasselbe, was der Gleichheit aller Predigt Hörenden nur zuträglich ist. Schrieb nicht schon Paulus, dass wir alle gleich seien?


Im Ernst: Wo kämen wir denn hin, wenn auf den Kanzeln Unterschiedliches gepredigt würde? Das könnte die Gemeinde doch nur verwirren. Es könnte sie zum Denken reizen, sogar zum Vergleichen der unterschiedlichen Predigten und was dann los ist, kann man sich vorstellen. Es gäbe Präferenzen und sogar Konflikte unter den Pfarrern um die Zuneigung der Gottesdienstbesucher. Das geht doch nun wirklich nicht.

Also erfand man diese Lösung und schaffte damit gleich zweimal beste Ergebnisse dank überlegter Rationalisierung. Das ist "Best Practise" in Reinform. Genial dekliniert. 1. Gleichheit unter den Gemeinden bei 2. völlig gleich-gültiger Einstellung der Pfarrer.

Hinzu kommt eine weitere Neuerung. Das sog. rollierende Gottesdienstzeitensystem. Denn alle drei Monate wechseln die Gottesdienstzeiten vor Ort. Es gibt also dreimal Gottesdienste von einem der drei Pfarrer der drei zusammengelegten Gemeinden, die dann in ihren Gottesdienstzeiten alle drei Monate wechseln. Da muss man erst mal drauf kommen.

Wenn man sich z.B. endlich mal dazu durch gerungen hat, doch mal zum hiesigen Gottesdienst zu gehen, um die Gemeinde oder den Pfarrer kennen zu lernen, ist man sich nie wirklich sicher, wann dieser denn jetzt stattfindet. Ist es am Samstag um 18 Uhr? Oder hat die Gottesdienstzeit schon wieder gewechselt - vielleicht auf Sonntag 11 Uhr? Dann könnte man es sich vielleicht noch mal überlegen. Nach dem Gassigehen mit dem Hund und einem ausgiebigem Frühstück eine Predigt genießen? Warum nicht? Oder halt - ist jetzt schon wieder der frühe Sonntagsturnus dran, der um 9 Uhr beginnt? So früh schaffen wir das nie, bestimmt nicht. Kurzum: Wann Gottesdienst ist, weiß man so genau nicht. Es gibt ja keine festen Zeiten. Das ist auch gut so.


Zugleich wird so ja verhindert, dass der Gottesdienst unerwünschten Zulauf bekommt. Wo kämen wir denn hin, wenn da jeder kommen könnte? Nein, hier muss man erst eine Vorleistung erbringen, mit der man eindeutig seinen Wunsch auf Gottesdienst dokumentiert. Entweder fragt man nach, dann kann sich die Gemeinde schon mal darauf einstellen, wer da kommt und wie man ihn behandelt. Oder man macht die Extra Runde zum Schaukasten der Gemeinde an der Kirche, dort - wo die Gottesdienstzeiten ja angeschlagen sein sollten.

Ja, Sie lesen richtig: Sollten.


So Kästen will man ja auch nicht alle drei Monate neu gestalten. Und weil das auch viel Aufwand für einen Pfarrer wäre, hat man da wohl gleich den ganzen Jahresplan reingehängt. Zumdinest damals, als wird dort vorbei gingen. Und der ist so geschrieben wie nebenan der Fahrplan der Busgesellschaft. Man versteht ihn einfach nicht. Alternativ kann man noch die hiesige Zeitung bestellen, wo die Gottesdienstzeit Samstag abgedruckt sein soll, es aber auch nicht war. Denn Wachtendonk gehört verwaltungsrechtlich zum Kreis Kleve, kirchenrechtlich aber zum Kirchenkreis Krefeld Viersen. Und die Gottesdienstermine in Wachtendonk suchten wir damals vergeblich in der Zeitung. Es wäre ja auch umständlich, wenn man diese der Zeitung extra mitteilen würde.


Aber zurück zum rolliernden System. Das Bedürfnis der Gemeinden nach Gleichheit hat einen gesunden Kompromiss mit dem gleich-gültigen Bedürfnis der Pastoren auf gleichberechtigte Wochenendfreizeit geschlossen. Ein besseres Ergebnis hätte selbst in Tarifverhandlungen nicht erzielt werden können. Nun ist es ein fairer Interessenausgleich entstanden: Die Pfarrer möchten ja nicht jeden Sonntag predigen, was man beim lebenslänglichen Beamtengehalt einfach auch mal verstehen muss. Und bei den Gemeinden möchte auch keine zu kurz kommen. Da will man den Gottesdienst vor Ort doch nicht für immer und ewig auf einen Termin fest legen. Oder?

Stellen Sie sich das vor: Gottesdienst in Wachtendonk wäre nur und ausschließlich am Samstag abend.
Was würden sie denken? Genau: Wachtendonk ist der Appendix der zusammen gelegten Kirchengemeinde. Das wäre so, wie man Gottesdienste in den Altersheimen ja auch um diese Zeit abhielt, früher als man sie noch machte. Die fanden ja auch meistens am Samstag um 18 Uhr statt. Mit Kerzen und zitternden Händen. Schlabberlätzchen und Rollstühlen. Das will man sich doch als erwachsene Kirchengemeinde doch nicht antun. Für drei Monate vielleicht, aber dann muss unbedingt gewechselt werden.Wo kämen wir denn sonst hin?

Daher war es nur klug , das rollierende System einzuführen. Damit alle mal dran sind. Und keiner sich über den anderen erheben kann. Und so wechselt nun alle drei Monate die Gottesdienstzeit vor Ort. Besser, so sag ich mal, hätte es auch ein Beraterstab einer Unternehmensberatung nicht hinbekommen können. Man erfand der Not gehorchend nun die wechselnde Gottesdienstzeiten, die auf Gleichberechtigung unter den Gemeinden achten.


Was jetzt entstanden ist, ist eine Lösung, die den optimalen Kompromiss zwischen der Denk- und Predigtmüdigkeit samt dem gebotenen ethischen Imperativ der Gleichbehandlung aller beteiligten Gemeinden vereinbart. Das ist genial und verdient Anerkennung.

Der nächste Schritt scheint nun schon vorprogrammiert. Demnächst werden an alle Evangelischen Haushalte aufblasbare Gottesdienstbesucher verteilt. Dann ist die Kirche immer voll und man kann guten Gewissens zu Hause bleiben. Die Kirchensteuern werden ja eh maschinell abgebucht.

Und allen geht es gut: den drei Gemeinden, den drei Pfarrern und auch uns dreien, die wir für immer zu Hause bleiben.

Oder etwa nicht?


P.S.: Übrigens sollte es später die Gemeinde werden, die mir in der Begründung der Verweigerung, mich zum Erhalt meiner Ordinationsrechte dort predigen zu lassen, anführen sollte, dass ich mich nicht wirklich bemüht hätte, Kontakt mit der Gemeinde aufzunehmen. Docta ignorantia. Aber davon sicher ein anderes Mal.

Keine Kommentare: