Mittwoch, November 08, 2006

Ein großer Stern wird in meinen Schoß fallen ...

----- Original Message -----
From: 'Helga Kammann'
Sent: Tuesday, November 07, 2006 8:08 AM
Subject: AW: Geburtstag

Du bist kein schrecklicher doch sehr lieber Mensch..
Lass Dich drücken, das brauchst du !

Mutsch



So schrieb heute morgen meine Mutter und ich bekam, als ich es las, Tränen in die Augen. Es war nie einfach zwischen uns und meine Mutter hat sich wirklich viel Mühe gegeben, mich meines Weges zu vergewissern. Einfach gemacht hat sie es mir nie.

Früher im Predigerseminar zu Essen wurde ich schon mal gefragt: "Sag mal Karin, Du kannst so viele Menschen so gut verstehen. Gibt es denn auch jemanden, wo das nicht so klappt!" Und ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: "Meine Mutter!"

Es ist ja auch ungewohnt und schwer, ohne Mutter Frau zu werden. Ganz anders als andere. Später und zur Unzeit hinzu zu kommen. So wie Paulus ja auch ein spät berufener Apostel wurde. Einer, der die eigentlichen Zugangskriterien nie erfüllt hatte und ohne den der Sprung des Evangeliums in eine neue Welt nicht gelang. Eigentlich ist auch ein Paulus so ein Trans-Apostel. Heute würde er keine Stelle bekommen. Keine Chance haben. Man bleibt unter sich.

Es ist und war ungewohnt und schwer, sich in diesen Wechseln allein zurecht zu finden. Gerade dann, wenn man Begleitung braucht. Meine Mutter war nicht da. Sie schrieb damals an die Ärztekammer und zeigte meine behandelnde Ärztin an, dass sie mich mit weiblichen Hormonen behandeln würde. Nein, einfach gemacht hat sie es mir nie. Und ich musste zurück dorthin schreiben, dass ich schon 18 sei und es wohl auch ein Gesetz gebe und überhaupt ...

Heute rühren mich ihre Worte, die so pur und schlicht und einfach kommen, zu Tränen. Es ist wie eine lang erhoffte Versöhnung, der Wunsch einander in die Arme zu nehmen, Leid zu tragen und da zu sein. Nicht glücklicher als man ist, nicht trauriger als man ist. Mit meiner Mutter galt mir das lange Zeit als unmöglich.

Aber es gibt ja in jedem Leben diese Momente. Als mein Vater starb, als mir klar wurde, dass er geht und uns verlässt, da saß ich auch einen Moment mit ihm allein in der Küche. Und wir schauten uns an. Er war kein Mensch, der reden konnte. Weder über sich noch über das, was in ihm vorging. Und doch sah man in seinen Augen alles, was da war. Und nach langem Schweigen, irgendwann sagte ich: "Wir sind so lange Wege gegangen. Was? Du hast erst Krebs bekommen müssen und ich musste erst Frau werden, bevor wir uns sagen konnten, dass wir uns sehr lieb haben." Und seine Augen füllten sich mit Tränen wie die meinen auch und er nickte stumm und dann stand er auf und wir umarmten uns.

Es gibt in jedem Leben diese Momente und man muss achtsam sein, sie nicht zu verpassen. Bereit auch, sich selber noch mal los zu lassen: mitten in diese Gefühle, mitten in diese einfachen Sätze, die da so überschlagen wie Wellen. Einfach da sein. Es tut so unendlich gut. Es ist das Echo, das weiter leben lässt. Das Mut schenkt, wenn dieser gerade auszugehen droht.

"Wir sind Nichtschwimmer im See unserer Gefühle geworden", das sagte ich mal in einer Predigt in Mülheim Ruhr und nun stehe ich selber da, überwältigt und auf dem falschen Fuß erwischt von dieser Mail. Es ist gut und hilfreich - seit langer Zeit. Und stimmt eine Versöhnung an, die uns beiden hoffentlich lebbar ist und bleibt. Ja, ich habe sie lieb, diese Mutter.

Kein Wunder, dass meine erste Klientin in meiner Praxis hier in Wachtendonk auch eine Mutter war, deren Kind konvertierte und das Geschlecht wechselte. Von Frau zu Mann. Kein Wunder auch, dass ich mich lange Zeit umtrieb auf der Suche nach einer Ersatz- und Reveremutter, da die meine ja ausfiel. Wie ich dachte. So traf ich Brigitte und so fand ich auch früh Else Lasker-Schüler im Wuppertal, ein lyrisches "enfant terrible" und doch von so zarter und einprägsamer Sprachschönheit, zerbrechlich geradezu. Sie habe ich nie verloren, auch im Cafe Odeon in Zürich nicht. Ihr Pulsschlag begleitete mich durch alle Wechsel hindurch, sehr zuverlässig und nah, selbst bis nach New York in die jüdische Gemeinde, wo ich mich wohl fühlte nach langer Zeit, da ich mit Gott stritt aber mit der Thora tanzte.

1986 war es. Am Weihnachtsmarkt zu Schloss Lüntenbeck. Da kaufte ich dieses eine Buch, nachdem ich es drei mal ansehen musste. Es stehen dort wundersame Gedichte, wie Proviant in nötiger Zeit. Dort las ich:


Es wird ein großer Stern in meinen Schoss fallen
Wir wollen wachen die Nacht.

In Sprachen beten,
Die wie Harfen eingeschnitten sind.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht -
So viel Gott strömt über.

Kinder sind unsere herzen.
Die möchten ruhen müdesüß.

Und unsere Lippen wollen uns küssen,
Was zagst Du?

Grenzt nicht mein Herz an dein -
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.

Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen.


Versöhnung





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