Mittwoch, Februar 11, 2009

Kurt, pass bloß auf

Es war bei einem Beerdigungscafe im Ruhrgebiet. Mittein im Pott trafen sie sich, so wie sie sich immer trafen. Seit Jahren immer hier. Und nun, ohne den Willi. Den hatten wir zuvor zu Grabe getragen. So war ich also auch dabei. Als Trauerrednerin. Als die, die seine letzten Worte sagen durfte.

Da saßen also diese älteren Herren neben mir am Tisch. Der Kurt und der Paul, beide mit ihrem spröden Charme und Arbeiterhänden, die Jahr um Jahr sich durch die Erde gegraben hatten und nun ruhig auf dem Tisch lagen.
Einfach so.

Ab und ab bewegten sie sich, erhoben sich langsam, wie ein Schwan zum Flug, mit Anlauf, aber doch zielsicher genug und griffen nach ihrem Bier, das vor ihnen stand, seitdem sie hier Platz genommen hatten. Das Bier, das eigentlich immer da steht seit Jahren, seitdem sie hierhin kommen. Und nun ohne den Willi.

"Sagen sie ma, junge Frau," begann Kurt unser Gespräch. "Das war so eine richtig schöne Ansprache. Dat hätte dem Willi bestimmt auch gefallen. Sowat hab ich lange nicht gehört. Ich bin ja nu mal auch ein Stücksken älter. Da muss man sich schon mal so manches anhörn."

"Danke", sagte ich artig. Und auch: "Schön, wenn es Ihnen gefallen hat!" da unterbrach er mich auch schon wieder, voller Neugier: "Sagen Sie mal, von welcher Kirche kommen Sie denn jetzt eigentlich?"

"Ich? Nun, ich bin zwar eine gelernte Pastorin, aber arbeite nicht mehr in diesem Beruf."

"Wie. Sach bloß. Bisse etwa auch entlassen worden wie wir alle damals?"

"Nein, das st eine längere Geschichte. Hier bin ich jetzt als freie Trauerrednerin. Der Willi war ja nicht mehr inner Kirche. In solchen Fällen werde ich dann ganz gerne geholt!"

"Ja, dat fromme Gelabere konnte der Pfarrer sich beim Willi sparen. Der war immer direkt raus, sach ich mal."

"Ja, und dann übernehme ich meist die Ansprache."

"Wie?", fragte mein Gegenüber verdutzt. "Dann sind sie gar nicht für so eine Kirche hier? Sondern einfach so? Ich habe mich ja schon wat gewundert, dass Sie nicht so viel von Gott und dem Kram da erzählt ham. Da habbich den Willi noch ma so richtig vor mich gesehen. Dat war irgendwie persönlicher - sach ich ma."

"Danke. Das ist ja auch meine Aufgabe hier. Dafür werde ich bezahlt!"

"Klar. Muss ja auch von wat leben." Sagte Kurt verständnisvoll. Und dann rutschte er eetwas näher: "Sach mal. Könntest Du dat jetzt auch bei mir machen, wenn ich mal die Augen zumachen tu? Ich mein - auch sonne Rede halten. Wäre dat denn möglich?"
Paul, der schon die ganze Zeit mit langen Ohren und müden Augen zugehört hatte, stupste ihn unvermittelt an. "Du Kurt," sagte er augenzwinkernd. "Kurt pass bloß auf. Dat ist keine Pastorin. Dat is ne Professionelle!"

Nach fünf Minuten kamen wir mühsam aus dem Lachen heraus. Recht so. Denn ein schöneres Lob gibt es ja kaum an Tagen wie diesen, wenn Leben und Sterben so eng zusammen liegen wie die Hände von Kurti und Paul.

Die allerdings hoben sich erneut.
Langsam fassten sie ihr Glas.
Und tranken aus.

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