Mittwoch, September 26, 2007

Sprudel Lisbeth

Eine Fingerübung aussem Ruhrpott
von Karin Kammann


Meine Oma, die Lisbeth, die hat nur Sprudel getrunken.

Dat kam vonne magere Jahre, als se da mit ihren fünf Kinders da saß, allein mitten nachem Krieg. Dat war nich so einfach. Dabei is mein Opa noch gar nicht ma im Krieg gefallen, sondern einfach im Jahr 46 umgekippt - mitten auffe Straße und tot. Und nix war mehr wie bisher.

Elisabeth heißt se eigentlich, aber Sprudel-Lisbeth hat man se genannt. Eben weil se dann nur noch Sprudel getrunken hat und nix anderes mehr. Und Sprudel Lisbeth - dat blieb se dann auch ihr Leben lang bis, - na ja, bis se mit 72 Jährkes mal an sonnem Baily Cream genippt hat und dann doch glatt sachte: "Kind, soo schlecht schmeckt dat nich. Wenn se mir da noch wat vonner leckeren Kondensmilch rein tus, dann is dat richtig lecker!"

Da waret dann nix mehr mit Sprudel und so. Da hatte se dann immer ne Flasche Bailys Cream mit der Bärenmarke auffem Wohnzimmertisch stehen. Süß wie sie nu ma war.

Nich, dattze jetzt ständig besoffen gewesen wäre. Ne, überhaupt nicht. Dat würde ja auch mitte Bärenmarke drinne gar nicht gehn. Aber nach einem Leben voller Gelassenheit und Entbehrung (immerhin hatte se alle fünf Kinder durchgebracht und is alle wat Ordentliches aus denen geworden) war se irgendwie auffen Geschmack gekommen. Dem vom Leben und mehr. Verbittert war die nie. Hätte se ja auch werdn können.

Im Gegenteil. Das war ein Ausbund an Humor, trotz alledem. Denke, so Menschen gibbet eigentlich nur im Ruhrgebiet und die ganze Unternehmenskacke, die wir da jetzt so erleben tun, so mitte RAG zum Beispiel, die dann die degussa frißt und zu Evonik wird, wat keiner hier verstehn kann - dat is nix fürn Ruhrpottler. Die kommen da einfach mitte Seele nich mehr nach.

Und die Seele, die war immer wichtig für Menschen von da.

Weisse, wennze auffem Pütt gearbeitet has, da musste se dich verlassen können. Da konnste nicht ma sagen: Ätsch, happich gar nicht so gemeint. Kommtgetz ganz anners, als besprochen. Du kannst da keinen Kohlenflöz im Zickzack durche Gegend ziehen. Dat klappt nich.

Aber die Manager von heute, die machen dat so.

Die sagen heute hü und morgen hott und dann müssen se alle springen, weil se sonst doch Angst vorm Arbeitsverlust haben. Beim Pütt weisse schon von langem, dat dat so nich klappen kann. Heute haltense alle die Schnauze und warten, bisset zusammen bricht. Und dann gehtet erst recht los.

Dat war damals wahrscheinlich nicht so. Da hatte se höchstens Angst, datte nicht mehr kanns. Datte den Rücken krumm hast, datt die Maloche deinen Körper gefressen hat. Aber Vertrauen, dat konnte se immer noch, auf wenne mittem Pülleken Bier am Büdeken standes und nix mehr zu tun hattes. Da warse nicht draußen aussem Leben, da stand dann immer einer mit dabei, dem et ähnlich ging oder anners - aber der war trotzdem da.

Dat dat Vertrauen gegen Geld getauscht wurde, gegen so Beraterblabla, dat is kulturell gesprochen die größte Katastrophe vom Pott. Da kommse nich mehr mit. Und die Manager da oben, die kennen dat gar nicht mehr. Datte mit Vertrauen vonne Kumpels oder Mitarbeiter arbeiten muss. Dat dat eine gemeinsame Unternehmung ist und datte Dir sicher sein muss, dat alle mitkommen, da unter Tage.

Heute knüppeln die nur noch auf Leistung, weil da son Schreibtischhengst von Berater wieder irgendwat ausgetüftelt hat, wat noch nie funktioniert hat. Da wird dann neuerdings jede Zeit, die de für etwas braucht erfasst und in Zahlen verarbeitet. Ein Mitarbeiter, so happich getz ma gehört, der wird zu sonner eigenen Einheit. Sone FTE, sagen se dazu und dann wird der gleich in Stücke gehackt.

Son dreiviertel FTE muss jetzt für die Arbeit genügen, sagen se dann. Und meinen, datte um 25 % einsparen muss. Oder drauflegen, je nachdem. Son FTE, dat bis du nämlich. Dat merkse aber erst später, wennse dir annen Kragen gehen mit ihren Zahlen und so. Da heisstet dann, datte hier und da noch wat mehr machen muss, und datt da dat doch besser und schneller gehen muss. Dat sind dann die "stillen Reserven" eines Unternehmens, so sagen se dann. Die Benchmark für schlanke Prozesse oder sonst son Quatsch.

In Wirklichkeit isset ne Katastrophe. Und die fressen dat Vertrauen auf und fressen dich gleich mit dazu. Son FTE is nen Full Time Employee, so heißt dat jetzt wat früher dein Kumpel war. Son Abreitsplatz. Dat ist jetzt nen FTE geworden. Toll wa?

Und dann krisse an alle Stellen son Prozent dran geklebt. Watte mehr machen muss, damitte bleiben darfs da inne Mühle, deren Richtung du schon lange nicht mehr verstehs.

Und Montags is dann immer dä Gottesdienst, wie wir intern immer sagen. Da bimmelt der Chef seine Manager zusammen. Die sind auf einmal alle da - sonst vertecken se sich immer hinter den Computer oder am Handy, sind nur am quasseln und keiner weiß, wat se wirklich machen - und dann müssen die Zahlen runter gebetet werden. Man, dat is als wär da sone Mutti, die die alle streng wat abfragt. Ich bin ma in son Treffen von denen reingeplatzt, weil ich da noch wat vergessen hatte. Da waren da voll am Zahlen klöppeln. Wie die Bekloppten. Nur Zahlen, sonst nix. Verstehse? Allet wird in Zahlen übersetzt. Dabei ginget eigentlich um uns und unsere Jobs.

Dat is allet nich normal, sach ich ma. Da hat die Sprudel-Lisbeth dat trotz allem Hin und Her in ihrem Leben, doch einfacher gehabt. Die hat noch vertrauen können. Dattet Leben gut weiter geht mir ihr. Dattet einer gut meint.

Dat mittem Härzeken und dem Vertrauen - sach ich ma, dat geht getz ganz hier weck. Dat is ganz selten geworden. Und daher wirtet dich nich überraschen, wat ich gestern gekauft habe. Ne?

Kannze Dir wahrscheinlich schon denken, oder?

Klar, ne Falsche Bailys Cream und ne dicke Dose Bärenmarke happich mir mitgebracht. Ich sach Dir, dat Zeug schmeckt ekelhaft, echt. Aber is immer noch besser, als all dat, wat die da oben inne Chefetagen für uns angezettelt haben.

Sach ich ma, oder?

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