Donnerstag, September 27, 2007

Eisregen im Nacken

Manchmal streift mich die Erinnerung, dann bleibe ich sitzen oder stehen, grad da wo ich bin. So als wäre es ein temporärer Stillstand. Einen Moment eingefroren, damit mir anderes nicht entgeht.

Heute war es die Zeit meines Vikariates, das ich "nachdem alles durchgestanden" war, mit über drei Jahren Verspätung beginnen durfte. Es ist so merkwürdig, als ob ein Mensche einfach so mal drei Jahre weg sein kann und dann wieder da ist. Nicht mehr als ambitionierter Theologie Student und frisch verheiratet - sondern jetzt als frisch aus dem Ei gepellte Frau, nackt fast auf der Seele, verletzlich bei jedem Atemhauch.

Ich habe das alte Bild vom Predigerseminar wieder gefunden. Rocco hatte es fast schon zerrissen und in der Schnauze (wenn es einen anti.klerikalen Hund gibt, dann ihn) und ich konnte es gerade zu retten. Stand dann da und sah hin. Noch einmal. Und dann blieb die Zeit stehen.

Es gib Bilder, die produziert man als Dokumentation von etwas. Die landen dann in der Schublade und eigentlich holt man sie nie wieder hervor. Ich glaube, dieses Bild hatte etwas davon und doch ist es eigen.


Da stehe ich nun. In der Mitte und doch innerlich am rand. Kann weder verstehen, wie ich all meine gemachten Erfahrungen verarbeiten soll, noch wie ich wirklich dahin gekommen bin. "Eisregen im Nacken!" - das war meine Metapher für dieses Vikariat und das für lange Zeit. So, als könne und dürfte ich mich nicht mehr bewegen. Als müsste genügen, dass ich da bin und zugleich innerlich erfroren.

Es ist schwer zu beschreiben, wenn man nach drei Jahren wieder zurück kommt, an den Ort, wo es weiter gehen sollte. Es ist kaum auszumalen, wie man dann da steht, verändert und doch derselbe Mensch. Als wäre man verschwunden gewesen und doch noch da, irgendwie.

Andere Erfahrungen drängten sich mir in den Vordergrund. Eine Unsicherheit im Blick. Immer wieder. Der Übergang war ja terminiert und erfolgte unter ungeheuerem Zeitdruck. Die Kirche sagte: "Kommen sie wieder, wenn alles geregelt ist!" Als ob man so mal schnell verschwinden und alles regeln könnte. Als ob das ein Spaziergang wäre, ein auf Zeit und Datum überschaubares Projekt.
Das war es beileibe nicht, bei Leibe und der Suspendierung in den Übergang, dem Verschwinden korrespondierte kein Wieder Ankommen. Auch wenn ich jetzt da stand, mitten im Predigerseminar zu Bonn, aus dem Ei gepellt und innerlich nackt. Tatsächlich hatte ich innerhalb von drei Jahren alles "geregelt". Zumindest von außen.

Innerlich kochte es. Innerlich konnte ich nach all den vielen Erfahrungen nicht glauben, dass es nun wirklich weiter geht. Versprechungen platzen zuvor wie Seifenblasen. Ohne Personalausweis musste ich umziehen, während der Operation. Eine Theologen WG wollte mich aufnehmen, allein der einzige Mann dort weigerte sich, während die Frauen keinerlei Bedenken hatte. Immer wieder diese Anfeindungen zwischendurch. Man betritt ein Zugabteil und scannt die Menschen, die Situation, den Raum. Unmerklich immer wieder. Woher könnte Gefahr kommen? Vor wem muss ich Angst haben?

Die Welt war auf einmal verschwunden gewesen. Und nun sollte sie wieder da sein? Unglaublich, wie ich da stand. Vikarin Karin Kammann. Wie fremd das klang. Wie ungläubig. Dachte ich wirklich, ich könne in dieser Kirche bleiben, die Menschen erst dann wieder ansieht und wahrnimmt, wenn alles vorbei und ausgestanden ist? Die wegschaut, statt wahrzunehmen?

Was mich damals rettete, war die Musik, die Freundinnen mit auf den Weg gaben. Elementar und klein. Der Walkman wurde mein bester Freund, der mich ins Leben stolpern ließ, mich wegbrachte von all dem "ZuViel", was da um mich war. Es waren Lieder wie dieses hier, die mir ans Herz wuchsen, die aussprechen konnten, wofür ich noch keine Worte hatte oder fand. Eine tiefe Trauer im Herzen. Der Wunsch nach Nähe und Umarmung - später dann.



Zuletzt waren es damals auch die Gedichte von Margret Atwood, die ich gegen die von Else Lasker Schüler gewechselt habe. Diese aus der Wirklichkeit geschnitzte Sprache, die nichts beschönigt oder aushaltbar macht - im Gegenteil. Diese Texte wurden fast mein inneres Gebet. Mein Mandala an den Gott, das mich rettete vor der allzeitig lächelnden Verfügbarkeit einer Kirche, eines Vikariates und der immer lauernden Gefahr der leeren Worte. Etwas zu beschönigen, was nicht schön war. So weiter machen zu können, als wäre nichts passiert. Und sprachlich brauchte ich eine Zuflucht vor dem Goodwill der Kirche, die nicht verstand, dass da nur ein Mensch war.

Verletzt. Traurig. Durchgekommen.
Überlebt. Irgendwie.

Auch dieses Gedicht gehörte dazu, für mich war es mehr ein Gebet.

"Dieses Gedicht ist traurig
& sentimental und voller
Klagen. Wo bist du gewesen,
als ich dich brauchte?

Ich würde gerne einen Strauß
hübscher sauberer Worte für dich pflücken
ihn dir überreichen und wieder gehen,
Zweck erfüllt. Ich bring´s nicht
fertig. Heute ist der kürzeste Tag
des Jahres, verschrumpelt,
blau gefroren & kalt, taubstumm.
Da an der Ecke, das bin ich. Eis-
regen im Nacken, wortlos. Wo bist du?"





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P.S.: Vor ein paar Wochen habe ich mir die Mühe gemacht, nach den Kolleginnen und Kollegen zu recherchieren. Es war nicht allzu schwer. Bis auf eine, sind alle in den kirchlichen Dienst aufgenommen worden und arbeiten nun als Pfarrerinnen und Pfarrer. Ein Kontakt allerdings besteht heute nicht mehr. Wer ins lebenslängliche Beamtenrecht konvertiert, betritt einen neuen Raum. Und der verträgt sich kaum mit Sensibilitäten und der Ausschau nach denen, die es nicht geschafft haben.


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