Dienstag, September 19, 2006

Zu-Taten

Wie gesagt, gehe ich mit meinen Klienten schon mal gerne spazieren. Es ist ein Peripatein, ein Bewegen, was Menschen und Gedanken in Fluss bringt. Ich mag es nicht immer, gegenseitig fixiert in therapeutischem Habitus wie erstarrt da zu sitzen. Konkave Linsen und Beäugungen. Gegenseitige Verdächtigungen. Statt dessen freue ich mich, wenn Zeit und anderes vergehen kann. Wortwörtlich.

Es geschieht es nicht oft, dass ich mich dabei an die Vergangenheit erinnere. Heute allderings geschah es - mitten auf dem Weg. Während unseres Spazierganges ging es um die Frage, was wir an Zutaten für unser Leben brauchen, anders gesagt: was wir selber hinzu tun sollten, damit unser Leben gelingen mag. Denn ohne etwas von uns, ohne eigene Zutat, wird es nicht gehen. Und versunken über dieser Frage
fand ich dann nach einiger Zeit eine fast vergessene Geschichte meiner Oma wieder.

Es war wieder einer dieser Heilig Abende im Hause Kammann. Man kam nach der Kirche zurück, sah den Tannenbaum, die Geschenke, packte aus und ging dann - alle Jahre wieder - zum Abendessen nach oben zur Oma. Die wohnte direkt über uns und lud alljährlich Kinder, Enkel und Urenkel zum traditionellen Pasta Schuta Essen ein. Jedes Jahr gab es also Nudeln mit Tomaten und Gehacktem und das in einer Familie, die eher preußisch war als italienisch. Aber es war so schön praktisch, und "einfach" "ohne großen Aufwand" liebte meine Oma. Unvergeßlich blieb mir die große, gusseiseren Pfanne, die auf den Tisch kam.

Aber es gab auch einen Nachtisch. Immer gab es den. Und das war jedes Jahr Pudding. Der musste sein und es gab kein Weihnachten, an dem es ihn nicht gab. Und - dann kam damals diese neue Creme auf den Markt, Majala Speise genannt. Eine Packung mit einem lustigen, kleinen Esel drauf, der einen Karren zog. Das war die geniale Erfindung für die Hausfrau: Ein Pudding, den man nicht mehr kochen musste. Eine leichte, künstlich süße Speise, mit Eischnee untergezogen, lecker und schnell zuzubereiten. Wir Kinder liebten sie.

Meine Mutter meinte damals also meiner durchaus praktisch veranlagten Oma einen Gefallen tun zu können und schlug - entgegen langjähriger Tradition - vor,
auch an Weihnachten uns die heiß geliebte Majala Speise servieren zu lassen. Der Einfachheit halber. Also trat sie selbstlos drei Päckchen Majala ab und meine Oma legte los.

Es kam in diesem Jahr zur großen Überraschung: es gab Majala bei Oma an Weihnachten. Was hatten wir Kinder uns doch gefreut. Die Löffel rein und fertig. Allein, es schmeckte nicht. Es wurde auch beim zweiten Löffel nicht besser und der dritte war schon nicht mehr runter zu kriegen. Was war passiert, dass die Speise fad und ungenießbar war? Was hatte Oma falsch gemacht bei einem Pudding, bei dem doch fast nichts falsch zu machen war?

Meine Mutter konnte es sich auch nicht glauben. Dann fragte sie: "Sag mal, hast Du die kleine Aromakugel auch mit hinein gegeben?" Das war der eigentliche Clou bei Majala: eine Kugel mit lauter Aromen, die sich im Pudding langsam auflösen sollte und dann erst den Geschmack ab gab.

Meine Oma überlegte. Eine Kugel? Eine Aromakugel? Was sollte das schon wieder sein? Kugeln hatten doch nichts im Pudding zu suchen. Sowas kannte sie nicht. Sie biß sich auf die Zunge. "Meinst Du etwa dat Knübbelchen da, wat sich nicht auflösen wollte? Dat hab ich weggeworfen. Dat habbich nicht klein gekriegt. Dat war richtig fies damit."

Voila - die Anwort war gegeben. Die Lösung gefunden und die Aromakugel längst in irgendwelchen Abflußrohren verschwunden. Und so saßen wir Kinder da zu Weihnachten, unglücklich und doch amüsiert.

Wie gesagt, heute fand ich diese Geschichte wieder. Und sagte dann: "Schauen Sie, so wie damals ist es heute noch. Wenn wir unsere Gefühle aus dem Leben nehmen, wenn wir meinen, sie stören nur oder wären unnütz für uns, - wenn Sie meinen, Gefühle machen uns nur unnötig verletzlich oder man müsse sich ihrer schämen, gerade dann wird das Leben fad und geschmacklos. So eine Armoakugel ist wie unsere Gefühle. Wer sie weg nimmt, verpaßt das Beste am Leben."

Und dann sah ich noch meine Oma - laut lachend vor mir, als sie begriff, was geschehen war. Das nächste Jahr, Sie ahnen es vielleicht schon, gab es wieder Pudding. Handgekocht. Aromatisch und ohne jedes Knübbelchen. Die Majala Speise blieb unten - bei meiner Mutter, bis sie irgendwann ganz vom Markt verschwand.

So oder so ähnlich wird es auch unseren Gefühlen ergangen sein.Wer weiss, wann jeder sein Knübbelchen wieder findet? Haben Sie es schon entdeckt - heute?



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

...... also ICH find Deine Geschichten immer wieder einfach gut!!!

GRüsschen Lisa