Freitag, August 04, 2006

Zu Recht finden

Es war nicht einfach, die letzten Wochen.

Ein Seminar nahm über eine Woche meine ganze Aufmerksamkeit. Morgens früh raus und abends noch später zurück. Rückfahrten mit Benz mit offenen Fenster um dreiundzwanzig Uhr bei neunundzwanzig Grad. Der Blick nur auf die Straße, die Bundesstraße achtundfünfzig, hinter Issum gerichtet. Mähdrescher zur Linken und Rechten, die irrlichterten taghell über die Äcker. Vielleicht kennen Sie es: nachts ist man gewillt, die Straße dort zu vermuten, wo die Lichter entgegen kommen. Zumal, wenn man so klar nicht mehr sieht, wenn man erschöpft und müde ist von einem anstrengenden Tag. Fünfundreißgkommavier Grad im Seminar Raum zwei. Da will man es einfach nur noch laufen lassen. Willkommen Straße. Willkommen Gegenverkehr, der mir den Straßenverlauf anzeigt.

Nur - was ist zu tun, wenn es sich dabei um die Ungetüme auf den Feldern handelt? Riesige optische Täuschungen. Null Orientierung mehr, sondern Graben rechts wie links? Wie, wenn die Straße dann keine ist und man unwillkürlich das Steuer verreißt, um nicht auf den Acker zu landen? Seltsame Begegnungen waren das mit den Dinosaueriern der Agrarökonomie. Ich kam durch, aber schweißnaß. Die Straße dort, wo ich sie nie und nimmer vermutet hatte.

Und dann war da diese Woche noch die Auseinandersetzung mit dem, was im Libanon passiert. Berührung immer wieder beim Thema Israel. Gewiß, Hebräisch habe ich gelernt. Damals vor über 20 Jahren an der Kirchlichen Hochschule zu Wupptertal. Habe mit Tusche meine Vokabelkarten gemalt, kleine Kunstwerke, die ich heute noch im Schrank aufbewahre. Wie Erinnerungen an glücklich, selbstvergessene Zeiten. Ikonen. Dann meine Reise nach Israel und die Erinnerung an Safad, ein kleines Dorf im Norden, wo Rabbis sinnierend im Park lagen, die Luft flirrend und die Thora geöffnet vor ihnen. Es ist schwer vorstellbar, dass dort nun über 70 Rakenten runter gegangen sind. Ohne Erinnerung bleibt das Leben blass. Ist Safed ein Ort wie jeder andere auch. Erinnerung - vielleicht das Wasserzeichen des Mitgeflühls. Ein beschriebenes Blatt, das man gegen das Licht halten kann. Anders als die nüchternen Nachrichten der Kriegsberichterstattung.

Die Lage wurde ernsthaft auch in den Internet Foren diskutiert. Auffällig blieb Empörung über das Massaker in Kana - das doch keine 60 Tote hatte, sondern "nur" die Hälfte hergab. Es gab Berichte, dass die Toten erst dann geborgen wurden, als die Presse versammelt antrat. Um Bilder zu machen. Um das Elend ausführlich abzulichten. Seit dem war Israel der Agressor und die Hisbollah keine Terrororganisation. Sondern es ging um den Krieg gegen Zivilisten. Interessant, dass jede Zivilistenfamilie 1000 Dollar erhält, für jede Rakete die bei Ihnen gelagert werden kann.

Was mich aber mehr denn je erschreckte war das Echo, Israel habe nichts gelernt aus seiner Vergangenheit und mutiere nun vom Opfer zum Täter. So als ob wir Deutschen alles Recht zur moralischen Empörung hätten. Ich schrieb daraufhin:

Eine bescheidene Frage: Ist es wirklich das einzige Ergebnis des Holocaust, dass wir dafür sorgen sollten, dass so etwas nie wieder passiert? Wer hat uns "Tätervolk" dieses Mandat gegeben? Wir selber? Und wenn ja, warum? Um zu verdrängen? Um uns ethisch zu entsorgen? Ich denke es wäre da mehr zu lernen als das, wenn wir diese dunkle Zeit betrachten. Ich halte diese Sichtweise für extrem verkürzend, zumal die Kinder, die sich distanzieren wollen und müssten, sich nicht mehr die Arbeit wirklicher Aneignung machen wollen. Denn nur angeeignete Geschichte trägt den Wert in sich und schafft es, sich nicht mehr zu wiederholen. Seien wir ehrlich: nicht wir haben Hitler besiegt. Er hat uns besiegt. Zuletzt wares es die Allirierten, die Amerikaner wie Russen, denen die Juden den Restfetzen Leben noch verdanken. Und wir - was USA, F, und GB und den Westen betrifft - die Demokratie. Aber erkämpft haben wir sie nicht. Nicht einmal in unserer Geschichte.

Antwort erhielt ich bisher nicht. Leider.

Man tut sich mit vielem so leicht hier. Was zugegeben schmerzt. Ein guter Artikel dazu findet sich von Broder im SPIEGEL. Und selbstverständlich auch bei Lila im Blogg. Letzteren musste ich sogar dem leitenden Redakteuer der Rheinischen Post empfehlen (Gedehard Uhlemann). Inzwischen ist Lilas Blogg zu einer kleinen Oase geworden und gut, dass sie nun drei Wochen in Urlaub gehen kann. Alternativ kann man noch Lizas Welt sich zu Gemüthe führen. (Kein Tippfehler)

Wie soll man sich in all dem auch zurecht finden. Und wie die anderen zu ihrem Recht finden? Ich geben zu, ich bleibe etwas hilflos zurück.

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