Dienstag, Mai 22, 2007

Der Fall Kässmann: Civil Religion mit Bohlen Effekt

Wir erinnern uns: Margot Kässmann war die erste Landesbischöfin, die sich offensiv in den Mittelpunkt ihre Karriere stellte. Mit ihr, einer akademisch gebildeten, rhetorisch ausgezeichneten und vor allem sympathischen Erscheinung, so schien es, bekam die graue Männerkirche endlich neue Fahrt. Sie war die, der alles gelang. Die sich zu allem äußern konnte und es auch lebhaft tat. Ein protestantischer Tausendsassa mit lächelndem Gesicht.

Frau Kässmann nutzte jede sich bietende Gelegenheit grandios. Keine zuvor, die sich so einmischte und öffentlich selbst vermarkteten konnte. Exemplarisch und beispielhaft wie eine Kylie Minogue 1 offenbarte sie auch ihre Burstkrebserkrankung. Exemplarisch mutig trug sie nun ihre Scheidung in die Öffentlichkeit und droht nun, unter die Räder zu kommen.

Und das durchaus zu recht.

Naiv ist die Vorstellung, auch die Scheidung vermarkten zu können, um sich als glaubwürdiges, protestantisches Produkt darstellen zu können. Mit leichten Modifikationen weiter wie bisher? Wir sind ja alle nur Menschen?

In einer Zeit, in der alles personalisiert und vermarktet wird, hat Frau Kässmann bewusst dieselben Mechanismen eines Dieter Bohlen benutzt: Jedes Erkennen ist ein Wiedererkennen. Mediale Identifikation ist alles. Daher hofft sie nun folgerichtig auf eine vorauseilende, kollaborative Sympathie, die ihr die eigene Reflexion und Verantwortung am Scheitern ersparen soll.

Schon immer kämpfe sie. Da fügt sich ihre Erkrankung nahtlos ein. Schon immer war sie Opfer. Ein Opfer der schwierigen Umstände, des Amtes, der grauen Männerherrschaft im Kirchenapparat oder - horrible dictu – nun auch der eigenen Brustkrebserkrankung, die ihr Mann laut BILD Schlagzeile einfach nicht verarbeiten konnte. Damit hat sie sich öffentlich sanktioniert und vorab entschuldigt. Denn: Adam war es. 2

Zugleich aber hat sie, und das ist für eine evangelische Bischöfin bemerkenswert, Luthers Rechtfertigung des Sünders komplett auf den Kopf gestellt. Deren Besonderheit besteht ja darin, ein Verhältnis zu sich selber und seinem Tun entwickeln zu müssen, um sich als Sünder überhaupt erst begreifen zu können. Anders gesagt: Nur wer in den Spiegel geschaut hat, kann auch lachend wieder heraus treten.

Nichts von dem ist nun davon zu hören. Ein perfider Verrat geschieht da im ureigensten Territorium der Theologie, die sich folgerichtig nur noch in erfahrungsarmen Floskeln ausspricht und daher Figuren braucht, denen man die Glaubwürdigkeit anheften kann. Civil Religion mit Bohlen Effekt - oder: Frau Kässmann macht den Glauben wieder gut.

Das aber ist, mit Verlaub, als Landesbischöfin gar nicht ihre Aufgabe, sondern entspricht ihrer selbst gewählten, persönlichen Vermarktungsstrategie, die intuitiv und punktgenau die medialen Bedürfnisse des sog. öffentlichen Interesse bedient und viele Rollen bereit hielt: Frau Kässmann war der evangelische Exportschlager, war das gelungenes Gegenmodell zum Papst, die durchsetzungsfähige Karrierefrau und vierfache Mutter, die vollbeamtete Akademikerin, die von Krebs bedrohte Glaubensheldin 3 und und und ...

Dazwischen jedoch steht ein Mensch, der sich begreifen kann als von Gott erkannt und geliebt - immer beides. Aber solange man theologisch nur noch eines bereit ist auszusagen - Gott hat euch alle lieb - bleibt zwangsläufig ein menschliches Defizit bestehen. Mit dem Gute Laune Gott brettert man mutwillig am Evangelium vorbei. Es ist nicht mehr verwunderlich, wenn nun so wenig spürbar ist von einem Verantwortung tragenden Menschen, von seiner Zerbrechlichkeit, von seinen inneren Widersprüchen und Anfechtungen, wie ein Helmut Schmidt es zeitlebens lebte. Eher ist man versucht an einen Ministerpräsidenten Wulff zu denken, der den Wechsel seiner Beziehung im Verborgenen hielt und wohlweislich nicht öffentlich vermarktet hat.

Allerdings, wo ein Bischöfin sich vorab die Vergebung predigt und einfordert, muss all das zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Seelsorglich durchaus, gebührt Frau Kässmann alle Sympathie. Aber diese darf eben nicht verwechselt werden mit den Mechanismen der Öffentlichkeitsverwertung. Deswegen scheint nun der Amtsverzicht und der Rückzug ins Private und Intime gebotener denn je.

Niemand braucht den Superstar oder eine evangelische Jeanne D´Arc, die allen Gefahren widersteht. Denn die Gefahr kommt - wie so oft - gar nicht von außen, sondern wächst aus innerem, falsch verstandenen Glauben heraus: unbedingt bleiben zu müssen statt gehen zu können. 4

Sympathie und Unterstützung 5 wird Frau Kässmann zweifellos erhalten, ebenso wie ein Mark Medlok oder eine Fiona von Heidi Klum. Aber es scheint, dass ihr "stellvertretend exemplarisches“ Leben nun zur narzistische Falle wird, der sie fortan nicht mehr entkommen kann. Gefangen in sich, ist keine wirkliche Lösung in Sicht. Also macht sie, was immer sie kann: weiter wie bisher.

Das Evangelium als frohe Botschaft der Befreiung allerdings braucht sie dafür nicht. Statt dessen genügt es hinfort, einfach benutzerfreundlich weiter zu lächeln.


Bild: www.ekd.de



1 Es gibt Unterschiede: Während Kylie sich komplett einer Chemotherapie unterziehen musste, ist von Frau Kässmann nur die Operation bekannt, die sie lachend mit Psalm 23 auf den Lippen begonnen haben soll. Minoque war mutig genug, auch ihre eigene Angst zu formulieren und liess sich mit Kahlkopf fotografieren. Frau Kässmann posierte lächelnd im Kreise ihrer Familie und griff ihren Mann in BILD frontal an. Gemeinsam ist, dass die Erkrankung beide die Beziehung kostete. Anders als Kylie, die zusammen mit Anastasia gemeinsame Appelle und Aufklärung auf den Weg brachten, begnügte Frau Kässmann sich mit ihrer Selbstdarstellung, statt es in ihre kirchliche Arbeit zu integrierten. (Betreuung, Beratung, Vorsorge, Zentren in kirchlichen Krankenhäusern etc.)

2 Diese klassische Schuldverschiebung kennt man aus der Schöpfungsgeschichte. "Eva war es!" so lautete immerhin der erste Satz des Mannes, nachdem er vom Baume der Weisheit und Erkenntnis gegessen hatte. Eine durch und durch kümmerliche Auskunft, trotz der epochalen Bedeutung seiner Tat. Wenn nun Eva durch Adam getauscht wird, zeigt es vielleicht doch, dass die Emanzipation der arrivierten Akademikerinnen dort angekommen ist, wo alle anfangen müssen: an der eigenen Nasenspitze.


3 Der Glaubensheld nach Kierkegaard sucht "verzweifelt man selbst sein" oder "verzweifelt nicht man selbst sein" zu wollen. Wobei der Kampf um die Anerkennung stets in dieselbe Paradoxie führt: eben aus sich heraus nicht besser sein zu können, sich selber nicht herstellen zu können. Frau Kässmann scheint sowohl in ihrer Ehe als auch dem kirchlichen Engagement Anteil daran zu haben, meint sie doch tatsächlich, "den Glauben gut machen" zu können. Daher halte ich diese Formulierung durchaus verräterisch und treffend für ihre Einstellung.

4 Luthers "Hier stehe ich nun, ich kann nicht anders!" basiert ja auch einem temporären Missverständnis seiner selbst. Hätte er damals schon gewusst, zu wessen er fähig war und wurde, wäre dieser Satz niemals über seine Lippen gekonnen. Heute allerdings wird er zu einem erratischen Satz gedehnt, mit welchem der Berufsprotestant das eigene Beharren im Beamtenrecht zu rechtfertigen versucht, durchaus trotzig in Habitus, aber eher behäbig im modus operandi.

5. Warum sind die Kirchen noch nicht darauf gekommen? Wie die Privatsender auch könnten sie dich per SMS oder Telefonanruf (sog. Televoting) darüber abstimmen lassen, ob Frau Kässmann bleibt oder besser eine Auszeit nimmt oder ganz auf ihr Amt verzichten soll. Der Mobilisierungsgrad wird sicherlich enorm hoch sein, wenn auch wirklich eine Konsequenz dahinter steht. Vielleicht sollte ein Gegenkandidat dabei sein, der diesen Posten auch übernehmen könnte. Das wäre der Höhepunkt der medialen Karriere. Die eingespielten Gelder von nicht unbeträchtlicher Summe könnten für wohltätige Projekte wie z.B. dem Erhalt der ev. Kindergärten ausgegeben werden.

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