Montag, April 27, 2009

Halbwegs über die Runden kommen oder wie mit der Krise umgehen


Die Zeitung hatten wir abbestellt. Weil ich sie einfach nicht mehr lesen und ertragen konnte. Nun haben sie mich wieder erwischt: eine Woche gratis, sagten sie und doch kostet es mich mehr als nötig ist.

Thyssen Krupp, so lese ich heute, möchte in sich zusammen fallen: Implodieren. Das heißt neuerdings: sich schlank aufstellen. Wie schön das klingt: schlank. Die Wirklichkeit ist anders: Sie bauen den Konzern komplett um, brechen Zusagen, wollen sich unbedingt die auf den Bodensatz des Geschäfts herab hungern.

Für mich beschreibt das die neue ökonomische Magersucht des Managements, der man fröhnt, um überhaupt wieder etwas Geschäft zu fühlen. Wie sehr müssen sie ins Rutschen gekommen sein - nach all den vielen Boom-Jahren mit Milliarden Gewinnen. Erinnert Euch, es war noch gestern.

Nun verspüren Sie Treibsand unter den Füssen. Unangehm und kaum auszuhalten. Da wächst zugleich das Bedürfnis, wieder fühlen zu können. Halbwegs zumindest. Für Manager, die solche Zeiten nicht kennen, ist das sicherlich eine Herausforderung. Unfassbar zumal.

Solches Verhalten kommt mir vor wie das von magersüchtigen Mädchen, die sich den Herausforderungen der Wirklichkeit verweigern - einfach indem sie nur auf sich selber schauen. Hier zwickt es und da - ist da nicht auch etwas zu viel? Und dabei betrachten sie ihren dürren Körper mit mürrischer Mine im Spiegel.

Lean management sagen sie heute dazu. Handlungsfähig wird man durch Verweigerung. (1) Und dann beten sie wieder diese Litanei der Kennzahlen herunter, suchen den richtigen Body Max Index eines erfolgreichen Unternehmens, dass sie selber nicht mehr steuern können. Versuchen in aller Hilflosgkeit sich halbwegs selber über Wasser zu halten - nicht aus innerer Haltung heraus, sondern von außen: bewerten, messen und in Zahlen paniert. Das Fazit ist jedoch vorab bekannt: Das Geschäft läuft nicht mehr.

Verräterisch genug heisst es nun, dass sie halbwegs über die Runden kommen möchten. Halbwegs - dieses Wort hat Zukunft bei der Halbierung des Umsatzes, bei der Halbierung der Haftung, für die man neuerdings sogar Bad Banks gründen darf. Tun wir die Hälfte einfach weg. Es wird schon niemandem auffallen.

Die faulen Kredite und toxischen Papiere? Weg damit. Das akutell schlechte Geschäft? Ein von Unternehmensberatern assistierter, chirugischer Eingriff und weg damit. Gut ist. So wie eine Zelle sich in Gefahr einfach teilt und weiter wachsen kann. So machen wir das jetzt auch.

Aber - was die Natur kann, können wir noch lange nicht.

Vor ein paar Tagen hatte ich eine Freundin zu Besuch. Sie arbeitet jetzt als Top Managerin für Restruktuierung bei einer international agierenden Unternehmensberatung. München - Schanhai - London - Paris. Sicher greift sie gut ab. Dennoch war sie nicht in der Lage, ein Eis zu spendieren oder auch nur ein Präsent mit zu bringen. Statt dessen stand ihr neues Volvo Cabrio vor der Türe.

Sie hat sich verändert.

In diesen kleinen Pausen zwischen einem Gespräch, dass halbwegs gelang, fühlte ich sie kaum mehr. Ihre Bedüfnisse. Ihre hintergründige Seite. Ihren Charme und Humor waren irgendwie verflogen. Halbwegs auf der Strecke geblieben. Fast kam ich mir vor wie im Zoo, als wolle sie mal sehen, wie es ist in einer Frauenbeziehung glücklich zu sein - auch wenn es für sie jetzt nicht in Frage käme.

Da zeigte sich ihre Magersucht. Sich das Glück und die Liebe zu verbieten, als müsse man den Preis für den Erfolg vorab bezahlen. Oder - als bliebe das Leben halbiert und könne sich erst später halbwegs mit sich versöhnen.

Es war merkwürdig: als Frauen liebende Frau wollte sie Karriere machen, schlief mit ihrem Chef und ging dann steil aufwärts. Mit jedem Headhunter surfte sie - immer "drei Etagen höher". Jetzt lässt sie alle nicht profitablen Zweige von Unternehmen schließen. Oder verkaufen, wenn noch möglich.

Wenigstens die Hälfte retten, sagte sie und kam mir selber schon so halbiert vor. So abgespalten. So emotional implodiert. Gefühle sterben so leise. Jetzt also ist sie eine Optimiererin und Resteverwerterin. Auf für ihr eigenes Leben.

Als ich sie fragte, ob es nicht auch denkbar wäre, ein Unternehmen eine gewisse Zeit in den roten Zahlen laufen zu lassen, bis denn die Konkurrenz umfalle - sagte sie: Das ist bei uns nicht vorgesehen. Wir rechnen nach internen Zahlen, was stimmt und was stimmt nicht.

Es wird daher doch geschehen: von der Innenschau geht es weiter bis zur Implosion ganzer Unternehmen. Einfach so, weil man nichts anderes kennt - weder Kunde noch Konkurrenz.

Halbierte Wahrnehmung geradezu. Effizient. Autistisch. Wo Fenster sein müssten, sind Spiegel angebracht. Das ist alles - mehr nicht.

Auch Thyssen Krupp plant jetzt die Halbierung: 50 TOP Manager wollen sie entlassen. Wobei die Frage bleibt: Wer sind denn sie?

Ich dagegen fühle gerne: auch die unangenehmen Dinge. Durchaus. Daher strecke ich beide Flügel aus: Fühlen und Handeln; Denken und Tun. Das Gute nie ohne das Schlechte. Denn das braucht es, um Spannweite zu haben und Höhe zu gewinnen.

Anders werden wir uns nicht erheben können.
Guten Flug wünsche ich da.

Halbwegs
zumindest.







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1. Ein Bekannter rief an und machte mich zugleich darauf aufmerksam, dass genau das zur Zeit bei den Banken passiere, die erst mal für sich sorgten und ihre schlanke Figur, als ihrer Aufgabe nach zu kommen, die Wirtschaft mit Kapital zu versorgen und vor allem: neues Vertrauen zu schaffen. Ein solches Verhalten würde geradezu als katastrophal empfunden, weil es das Gegenteil bewirkt.



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