Donnerstag, April 09, 2009

Gründung einer Sündenbock Agentur - oder wie mit der Krise umgehen


Interessant: Inzwischen überlegt man hier und da eine "bad bank" anzulegen. Eine, wo die ganzen toxischen Wertpapiere zwischen gelagert werden sollen, damit die wieder stimmen. Auslagerung sozusagen. So tun, als ob nichts geschehen ist.

Das System ist bekannt und eigentlich uralt. Es ist der Sündebock, der aus der Mitte der Gesellschaft in die Wüste geschickt wird: Asahel. Der, der seinen Dienst aufnimmt und damit die Schuld und alles, was damit verbunden ist. Wir kennen das als altes, rudimentäres System. Als etwas, das überwunden galt. Ist es nicht.

Wer etwas in der Bibel lesen kann, ist schlauer: Dort steht: ... um das Böse, was in deiner Mitte ist, weg zu schaffen. Eine gute Idee! Etwas weg zu schaffen. Beseitigen, damit es nicht mehr im Fokus steht. Durchaus, das hat Charme.

Es gibt Dinge, die schaffen wir nicht weg. Die bekommen wir nicht aus unserer Mitte heraus: Der Fokus auf Verschuldung und Bankenkrise ist auch so ein Fall. Da werden noch andere Dinge auf uns zukommen, als bisher gedacht. Mich wundert, dass alle so still sind. Erste Verwerfungen allerdings sind zu erkennen. Ich meine, die Menschen rücken zusammen. So oder so.

Dennoch: wegschaffen - das wäre ein Stichwort.
Nicht verdrängen. Nicht unsichtbar machen. Sondern wirklich wegschaffen.

Das wäre etwas anderes. In den biblischen, archaischen Geschichten sieht es so aus: man stellt den Bock in die Mitte - und schafft damit Öffentlichkeit. Das ist bei uns nicht geschehen. Keiner ist in die Mitte gestellt worden, keiner da gewesen, der Verantwortung erklärt hätte oder auch nur die Bereitschaft, diese übernehmen zu wollen.

Stimmt, in der Bibel war das ein Schaf oder eine Ziege.

Hier gibt es weder Schaf noch Ziege. Hier gibt es nur noch Opfer. Zu denen zählen neuerdings auch die Hedgefonds Manaer, die Banker, die Führungskräfte. Wenn niemand da ist, der in die Wüste geschickt werden kann, bleibt die Tat unsichtbar. Unerkannt. Unbenannt. Vagabundierend durch die Gesellschaft.

Gut, die Lehmann Bros. Geschädigten zeigen sich. Doch das ist zu wenig. Das ist weder schaf noch Ziege. Nichts zum in die Wüste schicken. Wen - so lautet die heutige Frage - wen müssten wir heute öffentlich machen und in die Wüste schicken?

Es geht nicht um Schuld, damit wir uns klar verstehen. Es geht darum, die Schuld aus der Mitte zu schaffen. Man hat diesen Sündenbocktext immer unter der Prärogative der Schuld gelesen. Das ist falsch. Es geht darum, die Fixierung auf das Falsche aufzulösen dadurch, jemanden stellvertretend in die Wüste zu schicken. Daher geht es hier auch nicht um Betroffenheiten.

Geträumt habe ich ja immer schon - von einer Sündenbock Agentur. Das wäre es - auch in diesen Zeiten. Die Last von den Schultern zu nehmen, ohne Öffentlichkeit und Verantwortung leugnen zu müssen. Dass man sich endlich - endlich zu dem verhalten kann, was da angerichtet wurde. Erst wenn diese Relation wieder stimmt, kann man sicherer Schritte in die Zukunft gehen. Erst wenn dort gesagt ist, was gesagt werden muss - öffentlich, corum publico - dann kann auch der Bock geschickt werden.

Solange das nicht geschieht, bleibt die dumpfe Ahnung: Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist (Karl Valentin).

Also - was tun: eine "bad bank"?
Aber ja. Und nicht ohne jenen öffentlichen Akt,
der sich zeigen kann und zugleich entsorgt. Das waren wir.
Sollte man sagen können, in dem Moment, wo stellvertetend der andere in die Wüste geschickt wird. Damit man wirklich etwas aus der Mitte bekommt. Damit der Mensch wieder mehr sein kann als seine Probleme.

Entdeckungen möglich. Heute hier und jetzt.

Ecco homo - heißt es in der Passionsliturgie. Siehe, der Mensch.
Zeit, uns selber ansichtig zu werden.

Endlich. Und unausweichlich.
Warum also nicht?

Gründen wir eine Sündenbock Agentur für Führungskräfte.

Begeben wir uns tapfer in den schwierigen Raum zwischen Schuld und Anerkennung. Nicht um Beute zu machen, sondern um den Menschen zu sehen.
Nicht um fest zu halten, sondern um das Böse aus der Mitte zu schaffen. Das, was ungenannt vagabundiert als Angst zwischen uns wie ein Dieb in der Nacht.

Dazu sind wir alle nötig. Dazu ist Mut nötig.
Von allen. Mir und Dir und jenen,
die jetzt endlich reden müssen.

Heute und hier, damit das Morgen besser wird.
Für mich und Dich und die, die nach uns kommen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Êin schöner Traum, der geträumt werden muss: Den Menschen sehen. Hinter dem Sündenbock. Aber das auch. Ein anderes Wirtschaften!Upsidedown-kingdom!