Montag, Oktober 16, 2006

Rauchzeichen oder: das wieder gefundene Glück


Ich kann ihn noch riechen, meinen Opa.

Es war diese klassische Wirtschaftswunderkombination aus Hut und Zigarre – manchmal auch hinter dem Lenkrad eines Benz, von dem mir gestern eine Freundin schrieb. So wundbar treffend. Die überlebenden Großväter.

Auch mein Opa hatte Zigarre geraucht. Damals wollte niemand mehr dahinter zurück. Die Gardinen stanken nach billigem Tabak und Aufschwung, wenn wir ihn besuchten. So waren sie, diese Jahre nach dem großen Nichts. Wo man wieder rauchen durfte, als sei nichts geschehen.

In der Weimarer Republik hatte er mal Bilder von sich machen lassen, die ich später als Kind sah. Da stand er dann in geringeltem Turnerdress, der heute glatt als Badeanzug durchgehen würde. Die Oberarme zum Bizepsbeugen vorgestreckt; sein Schnurrbart diente als waagerrechter Fluchtpunkt, weit nach vorne suchend, gerades Kinn, offener Blick ... so stand er damals da, in der rechten Hand ein Stumpen, den er rechtwinkelig mit dem Zeigefinger umfasste. Das war ein Moment, der sich einbrannte in die Fotoplatte und mein kindliches Gedächtnis, als ich dieses Bild zum ersten Mal sah. Mein Opa anno 1918.

Danach kam - wie ich viel später erfuhr - viel Angst und Sorge, Arbeitslosigkeit und unendlich Schlage stehen für alles, zwischendurch ein Job als Bierauslieferfahrer für die Dortmunder Aktien, ohne Servolenkung und den schicken Bandeanzug, im Blaumann mit bloßen Händen. Dann erfolgte seine körperliche Rückbesinnung und folgerichtig der Eintritt in die Sportabteilung, die man damals schon „SA“ nannte.

Das alles erfuhr ich später, viel zu spät, als das mit dem Sport und Turnen auch schon vorbei war. Da fielen die Bomben mitten in den Garten, zerstörten sein kleines Genossenschaftshäuschen, ein und zwei Mal. Während dessen stahl er bei Krupp Rüstungsgüter: Wellbleche, die er über 13 Kilometer auf dem Rücken mir dem Fahrrad nach Hause schleppte, damit es nicht rein regnete.


Beim dritten Mal feierte meine Mutter Konfirmation. Alle waren in der Kirche und auf dem Tisch stand eine Torte, mitten im Krieg eine Torte. Unvorstellbar. Und während sie den Choral sangen, kam dieses Pfeifen wieder in den Garten, länger und durchdringender, das Schwein im Stall ahnte seine letzte Stunde kommen und die Splitter der Glasscherben schossen in diese Torte, die wie ein Mahnmal stehen blieb. Ein Sinnbild für eine weibliche Jugend im Krieg: ungenießbar nun. Ein erwachendes Mädchen, das bald auch Wellbelche schleppen lernte und irgendwie überlebte wie alle anderen auch.

Der Badeanzug war bald vergessen, aber irgendwann nach 1945 hielt mein Opa wieder diese Zigarren im angewinkelten Zeigefinger, den rechten Arm flach auf den Tisch. Die Zeiten änderten sich, das Haus blieb und der Tabakgestank kehrte zurück ...

Ja, sportlich war er - aber kein Nazi.Wie er immer sagte.

Übrigens habe ich erst vor Kurzem erfahren, dass er damals eine Schiffspassage bezahlt hatte. Nach Amerika von Hamburg aus. Auswandern wollte er. Weit weg. Das Leben wagen, wie es auch dieses Stumpen-Schnurrbart-Bild vermitteln konnte. Er kam in Hamburg an und das Schiff war weg.

Gescheiterte Fluchten und sein wieder gewonnener Stumpen.
Paffend in der Ecke nach dem großen Krieg.


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