Mittwoch, Oktober 18, 2006

Geliehene Mäntel

Wenn ich morgens mit Rocco spazieren gehe, purzeln mir die Themen des Tages durch den Kopf. Nicht immer kann ich sie fest halten, manchmal verliere ich den Blick dafür, wenn ich sehe, wie Rocco zwischen den Salatblättern wildert oder sich einfach nur der Bewegung und des Lebens freut.

Gestern begleitete mich neben Rocco ein Gedanke, was ich tun könnte, um mein Leben erklärlich zu machen. Erklärlich für andere zu halten. Denn das ist gar nicht mal so einfach und mein Rechtsstreit mit der Kirche hat mir gezeigt, dass dort niemand mehr ist, der meine Geschichte kennt. Sie wird nun zusammen geklaubt, man entnimmt einer umfangreichen Akte das, was brauchbar erscheint. Ein Steinbruch, der Material hergibt. Wofür auch immer.

Ich denke, vielen Menschen geht es heute so, dass die Sinnfrage, der rote Faden, das was uns das Leben wertvollmacht und vielmehr noch die Frage, wer man denn sei, was man denn darstelle, zwischen den Fingern zerrinnt. Die Diskussion um das Prekariat, die neue Unterschicht und die Auseinandersetzung mit dem Prekären, dem Ungewollten, Zufälligen macht Angst. Auch mir, was ich zu geben.

Also auf die Frage, wie ich mich wieder-finden kann, kamen mir einige Antworten. Denn immer sind es die innernen Bilder, an denen ich mich entlang hangeln kann. Sie bestimmen, wie ich mich innerlich fühle. Sie machen meine Wahrnehmung aus und sind eng damit verknüpft, in welchen Traditionen ich mich wieder finden kann. In welchen Bahnen meine Anlehung wie Ablehnung erfolgt.

Da war zuerst das klassische Bildungsbürgertum. Meine Heirat mit Heike, die Tochter einer Superintendentens. Die Verbindung mit den protestantischen Traditionen: Zeltlagerfahrten mit der Jugend. Taize und die Überlegung, dort vor Anker zu gehen. Einen eigenen Ort zu finden. Dann der Zivildienst und die Auseinandersetzung mit den Menschen. Wer gebraucht wird, kann sich selber vergessen. Es tat gut, da zu sein. Damals ein Bruder im Schwesternwohnheim. Heute eine prekäre Schwester ... auch so lassen sich Wege beschreiben.

Die Heirat und das Examen waren eigentlich das Eintrittsbillet in die beamtete Welt der Pfarrherren, die Sicherheit, die sich nicht ausweisen muss. Ganz anders als viele der Menschen, hat ein Pfarrer nach seiner ersten Berufung ausgesorgt. Er kann bleiben. Er muss nicht wechseln. Er ist installiert. Ein Gefühl, was ich selber nicht kennen gelernt habe. Was mir fremd erscheint, nach allen Wechseln die kamen. Ein Status, der anachronistisch ist. Gegen die Zeit steht.

Vor einer Woche feierte man das Laubhüttenfenst als Erinnerung der prekären Situation Israels, der Juden. Ein komischer Anblick war es, diesen Holzverschlag an der doch festen Betonmauer der Synagoge in Duisburg zu sehen. Eine Erinnerugn an das Unbehauste. Das Christentum hat sich davon verabschiedet. Es gibt das Beamtenrecht. Und Kirchen, die bestenfalls verkauft werden können. Das Prekäre ist im Judentum zu einem Signum der Selbstversicherung geworden, so weit, dass man Bretterverschläge an hochmoderne Synagogen legt. Damit man offen bleibt, flexibel für die kommenden Herausforderungen.

Vielleicht war mir schon damals der jüdische Weg lieber. Meinen Wechsel und Übergang ins andere Geschlecht, manchmal nenne ich es auch Desteration, verdankt sich von Anfang an der Begleitung jüdischer Texte. Da war auf einmal Else Lasker-Schüler neben mir, meine Ziehmutter, wie ich sie nannte. Ein Enfant terribel mit Gedichten, die so wunderbar leicht mein Herz erreichten. Es war der Band: Ich muss Dich ansehen, immerzu, den ich auf dem Weihnachtsmarkt in Schloiss Lüntenbeck entdeckte, alles kam ins Klingen bei mir, Schmerz löste sich und Hoffnung wurde gefasst, dass Unfaßbare doch zu wagen.

Dann Rose Ausländer, die mich begleitete mit ihren kurzen Versen, die über ihre Lippen fielen wie überreife Früchte aus langen Jahren. Eine weise Frau, unscheibar und geachtet. Sie starb in dem Monat, wo ich meinem Übergang in Wuppteral machte. Benachtbart und nah, in Düsseldorfer Altenheim, dem einzigen wo Tag und Nacht Polizei Patrollie fährt. Schon immer suchte ich Verbindungen, die mich hielten, wenn andere Leinen gekappt wurden. Uns do wurden beide zu meinen Müttern und Freundinnen, Ziehmütter in Zeiten, wo die meine ausfiel. In deren Texten konnte ich das Ungelebte in mir wiederfinden. Und auch das Abgelegte, der Weggang, das Exil. Es war dieser Zauber des Dazwischen, den man Inter-esse nennt, der mich dort packte und nicht wieder los lassen sollte.

Der Weg in die bürgerliche Existenz scheiterte dann auch in dem Moment, wo es nur wenig dazu bedurfte, ihn zu realisieren. Alles stand bereit, ich hätte nur gehen müssen. Was wäre geworden? Ein Pfarrer, vielleicht jetzt Superintendent mit Frau und drei Kindern. Ein Engagement für den Protestantismus, dem ich mich in meiner beamteten Existenz verpflichtet gesehen hätte. Etwas Chaos vielleicht und doch eine ausweisbare Lebensweise: der Apfelbaum im Garten des Pfarrhauses. Es sollte nicht sein.

Der Traum scheiterete dort, wo ich mich entschloss zu gehen. Wo ich keinen anderen Weg mehr für mich sah, als dem nachzukommen, was lange Zeit in mir verborgen war. Es ist ja nicht so, dass man einfache Wege geht, um solche Entscheidungen zu treffen. Man wechselt das Geschlecht nicht wie die Straßenseite. Das Beste, was die Theologie mir bot, war ein gnädiges Versteck vor mir selber. Bis die Zeit reif war, bis ich gehen konnte. Sie war auch der Schoß, in den ich mich bergen konnte. Der alle Tränen aufnahm und sah, so gnädig war mir die Theologie und die Botschaft von der Annahme des Menschen bei Gott.

Erstaunlich war und blieb, dass auch die Menschen blieben. Einige. Unvergesslich blieb mir die erste Offenbarung nach außen. Da sass ich an einer Schreibmaschine, hatte keine Worte zu sagen, nur zu schreiben. Tränen rollen mein Gesicht entlang, schufen Rinnen für später. Und dann tippte ich mit Anschlägen, was ich nicht sagen konnte. Eine eigene Art von Kommunikation, jemanden mitzuteilen, dass das Leben eine Wende nimmt. Wie still stehende Momente im Takt der Typen, die trocken aufs Papier klatschten. Plakk, plakk, plakk ... als müsse ich mich langsam, mühsam aus allem heraus arbeiten. Fakten schaffen. Plakk, plakk plakk ... machte die Maschine und ich weinte dabei.

Meinem Schwiegervater drückte ich später eine Träne ins Revers, als auch er blieb und mich einfach nur in den Arm nahm. Er spürte von der ungeheuern Zerrissenheit in mir, nahm mich in den Arm und zusammen in seine Arme. Blieb den einen Moment, bevor ich gehen konnte und mir damit unvergeßlich. Kein andere der Pfarrer oder Theologen hat so was später gekonnt. Niemand mich so gesehen, wie er in diesem Moment. Jahre späte stand ich im Talar an seinem Grab. So, als hätte ich ein Versprechen wahr gemacht, als gelänge was er sich so erwünscht hatte. Allein, es kam anders und sollte anders kommen.

Die Generation der sorgenden Väter in der Kirche hat schon lange abgedankt. Die Sorge ist zu sich selber zurück gekehrt. Sie frisst sich fest in den Institutionen, kennt nur noch die Loaylität zum eigenen Etat, dem Überleben als Beamtenapparat. Schon damals sagte mein Pfarrer, sie gehe den falschen Weg und der hatte noch als illegaler Hilfsprediger das Laubhüttensyndrom der bekennenden Kirche in sich. Heute ist Kirche legal und mehr auch nicht.

So also nahm ich schon damals Abschied von der bürgerlichen Existenz, ohne es zu wissen, ohne es wirklich zu ahnen. Die Versprechungen des Landeskirchenamtes, die Zusicherungen, ich sei "wertvoll", entpuppten sich als eigene Exculpierung. Eine Entschuldigung, selber nicht da zu sein. "Kommen sie wieder, wenn sie gesund sind!" war einer der Refrains im Landeskirchenamt. Und so wurde ich zum "Experiment Mensch", auf das man sich nolens volens eingelassen hatte. Weder ein JA noch ein NEIN. Irgendwie dazwischen, dam man mir als Frau den Weg nicht verbauen wollte. Es hätte als Kehrseite auch Verantwortung bedeutet, diese Entscheidung zu treffen. Und das ist bis heute noch das Schlimmste, was man verlangen könnte: Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Genau das aber tat ich nun. Und es ist eine sehr merkwürdige Erfahrung gewesen: in eben dem Moment, wurde ich gleichzeitig entmündigt. Ein Exemplar. Ein Fall Kammann. Da hörte das Gespräch auf, da behandelte man mich, da gab es keine Begegnung mehr. Da verschwand ich hinter einer Wand und die Phantasien liefen heiß: Was für eine Frau wird dort erscheinen. Manchmal denke ich ja, es war nicht der Wechsel selber, der Schwierigkeiten machte. Viel schlimmer war, dass die Frau, die dann erschien, nicht den Phantasien der Kirchenmenschen entsprach. Diese Enttäuschung wurde nie angesprochen. Nie überwunden. Nie gewürdigt. Stets wussten andere, wie ich zu sein hatte. Und wenn ich dem nicht entsprach, war Ärger vorprogrammiert. Es war die erste und eindrücklischte Erfahrung meines Frau-Seins in der Kirche.

Sieben Jahre habe ich dazu geschwiegen. Habe versucht, mitzukommen. Mich einzufinden. Sieben Jahre habe ich warten müssen auf meine Ordination und doc gewusst, dass ich hinfort a-synchron lebte. Nicht mehr in-Takt. Andere konvertierten in ihre Pfarrämter und Familien, taten, was ich auch getan hätte, wäre da nicht jener eine Riß gewesen, der mein Leben still stehen ließ. Ein Interim war es, und dennoch schlug mein Herz weiter, pumpte es Erfahrung und Erlebnisse in mein Leben. Ein merkwürdiges Dazwischen, wenn man sich sputen musste und zugleich still stand. Erst sollte alles erledigt sein, bevor ich weiter kam in der Kirche. Ein Beschluß wohlwollend wie eine Dornenkrone. Und so strengte ich mcih an, schaffte Epilation und Gutachten, Operation und Personenstandswechsel, Scheidung und Umzug innerhalb kürzester Zeit. Beistand gab es da nicht. Nur der wieder kehrende Refrain: Kommen sie wieder, wenn alles erledigt ist.

Ich kam wieder, alles war erledigt und dann ruckelte es weiter in einem Zug, den ich damals besser verlassen hätte. Es folgte Vikariat und die Ordination. Immer noch die Phantasie, dort bleiben zu können. Als Frau, die schwieg über ihren Weg. Die einfach nur funktionierte. Nichts durfte herauskommen und so hielt ich mein Versprechen, während schon längst in den nächtlichen Tafelrunden der Ev. Akademie hinlänglich über mich parliert wurde. Kirche bleibt ein Dorf und so wussten viele viel zu wenig von mir. Niemand sprach mich an, ein schalltoter Raum ohne Echo umgab mich. Schlafwandlerisch glaubte ich, im Leben anzukommen.

Und ich schaffte es. Nach sieben Jahren wurde auch ich ordiniert. Eine öffentliche Handlung, eine Inititation und Begrüssung im Leben. Geschafft, dachte ich und sollte mich irren. Wer Bilder von damals ansieht, ahnt etwas von der seligen Entspannung in meinem Gesicht. Von der Würde und dem Leben, das sich da breit machte. Mit einem Drehtanz ging es zurück zum Altar, ein Wiedersehen im Leben. Damals war es die Wiederholung nach vorne, die mir als Kategorie diente. Dass man ein Leben loslassen und wieder gewinnen kann. Die ganze Bibel war voll dieser Geschichten und so dachte ich, das gelte auch für mich. Einen kleinen Moment war ich weg, dann aber als Frau neu da und angenommen.

Es war Kierkegaards Furcht und Zittern, das mich seit Jahren begleitete. Meine Erlaubnis zu gehen, die teleologische Suspension des Ethischen, was nichts anderes bedeutete, um des Glaubens willen die Bedenken in Urlaub zu schicken. Ein Abraham, der da von Gott losgeschickt wurde, den Isaak zu binden. Die Bindung Isaaks auf dem Berg Moria war zugleich seine Loslassung und Freisprechung. Er bekam ihn wieder, als einen anderen. Und der Glaube, der Glaube wurde darüber nicht verrückt, sondern zeigte sich als einzige und feste Konstante, als flexibel genug, dem Leben eine neue Wende zu geben.

So dachte auch ich und so lebte ich auch in diesem von Kierkegaard geliehenen Mantel, der so voller biblischer Luft war und atmete. Der mich umschloss und meine Nacktheit dazu. Denn Nacktheit muss bekleidet werden, will man die eigene Haut nicht permanent zu Markte tragen. Dem Zittern des Neuen muss die Wärme korespondieren, sonst friert sich die Seele zu Tode, verkümmert und bleibt zurück.

Später sollten andere Mäntel dazu kommen, doch davon ein ander Mal.



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