Freitag, Oktober 27, 2006

Brigitte schreibt

Brigitte schickte mir die Tage einen Brief.

Sie, die Theologin und weise Frau. Die Pfarrerin, die ihre eigenen Kämpfe mit der Kirche austragen musste und daher weiss, wie es sich anfühlt, wenn man weite Wege gehen muss. Brigitte war in meinem Leben da, eigentlich immer. Eine Art Ersatzmutter und Begleiterin. Eine Gefährtin auf dem Weg ins Eigene.

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Sie war es,
die mich besuchte damals in Wuppertal, kurz nach meiner Operation. Das war die dunkle Zeit, als ich während meiner Operation umziehen musste, weil die Versprechen des Superintendenten zu Düren sich als Luft und Seifenblasen entpuppten. "Kommen Sie nach Düren. Grünes Licht" waren die Durchsagen. Doch niemand legte den Gang ein. Es blieb beliebig. Da musste ich dann umziehen, weil ich versprach, nach dem Eingriff auszuziehen. Meiner Ehepartnerin war das damals nicht zumutbar. Schon über ein Jahr hatte sie diese Situation ausgehalten, bei laufendem Scheidungsverfahren mich versorgt, weil die Kirche schwieg und von grünen Ampeln redete. Ein Jahr dauertees, bis es überhaupt zu einer Reaktion der Kirche kam.

Kurz nach meiner Operation besuchte mich also Brigitte und sie blieb und wir erzählten ... lange. Es war sichtbar und spürbar, dass sie verstand, dass sie sah, was andere damals nicht sahen. Ein verletzlicher Mensch, doppeltbelichtet, erschöpft und froh. Es muss im Sommer 1988 gewesen sein, in einer keinen anderthalb Zimmer-Wohnung in Barmen. Die Toilette war noch auf halber Treppe, eine dicke griechische Frau wohnte über mir. Die Tapeten an den Wänden waren frisch geklebt von Freunden, die diesen Umzug bewerkstelligten, während ich im Krankenhaus die besten Grüsse des Superintendenten zu Düren zu lesen bekam.

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Sie war es,
die ich später begleiten konnte. Ein Glück war es doch, dieses Sondervikariat in der Ev. Akademie zu Mülheim. Dort war sie damals Studienleiterin und ich freute mich, ab und an mit ihr zusammen arbeiten zu können. Für mich, die Neugeborene und Spätberufene gab es dann Frauenwerkstätten, erfahrungsbezogenens Wissen, weibliche Weisheit und die Möglichkeit, meine weibliche Identität nicht unreflektiert anzueignen. Beschenkt wie ein staunendes Kind.

Es war eine gerüttelt gute Zeit, getrübt auch von ihrem Abgang und den vielen Anfeindungen, die sie mit ihrer eigenwilligen Arbeit gewahr werden musste, weil sie die weibliche Erinnerungsgeschichte nicht vergaß. Die Tagung zur weiblichen Erinnerung "Frauen, Ahninnen und wir" ließ das Landeskirchenamt die Bekenntnisfrage stellen, da die Herren Oberkirchenräte die männliche Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist in Gefahr sah. Brigitte ging dann aus der Akademie, nur kurz bevor diese sich selber auflöste. Ein Weg in die Fremde, ins Eigene zurück.

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Sie war es,
die auch bei meiner Ordination dabei war. Wie eine gute Assitentin und Geburtshelferin. Als meine Initiation in dieser Kirche gelang und ich "da" war und nicht länger nur "da-vor": als Frau und Pastorin in dieser Kirche. An jenem Tag, dem 12. Spetember 1993, war die Petrikirche in Mülheim rappelvoll und selbst meine Eltern, die lange mit mir und meinem Weg gerungen hatten, kamen um ihr Kind zu sehen. Dort oben im Talar. Angekommen, wie es schien. Es war wie die große Versöhnung mit meinem Lebensweg, das stille Einverständnis, es doch noch geschafft zu haben. Die geglückte Wiederholung nach vorne, von der Kierkegaard zu schreiben wusste. Ein Wiedersehen nach langer Zeit.

Unversehrt und doch gezeichnet. Seht her, da bin ich. Ein Mensch, eine Frau mitten unter Euch. Lebendig und schön. Brigitte sah das und es war wunderschön zu erleben, wie dieser Gottesdienst langsam in die Hände der Frauen überging, wie Freundinnen mir vor der Predigt Rosen auf die Kanzel legten, wie das Fest des Lebens und der Liebe beginnen konnte - mit der Predigt über die Heilung eines Aussätzigen. Dem Text für diesen Sonntag, der Schulterschluss mit meinem Lebensweg.

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Sie war es,
die ich später besuchte, als sie mit ihrer Freundin Barbara an den Niederrhein zog, dort ein Tagungszentrum für Frauen eröffnete - der Berkhövel bei Uedem - und sich mit den Bäuerinnen der Umgebung anfreundete. Ein ländliches Leben und der Wunsch, Frauensolidarität auch leben zu können, handgreiflich und sichbar. Ein Ort nicht nur für Frauen.

Den Weg zum Schweinestall habe ich damals mit gelegt, graue Steine gehämmert und mich gefreut, abends am warmen Kamin zu liegen. Es war wie ein Traum, der Wirklichkeit wurde, bis der zu frühe Tod von Barbara auch diese Heimat beendete. Schleichend und unmerklich. Ausgerechnet Barbara, die Jüngere, ging zu früh.

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Sie war es auch,
die später wieder als einzige der Theologen in meine Wohnung kam. Noch einmal den Weg zu mir fand, damals als ich in Chorweiler wie ein Käfer auf dem Rücken lag. Als mit einem Schlag meine mühsam angeeignete und zusammen geklaubte weibliche Idenität zersplitterte wie unter einem Axthieb. Da war mir nur noch Schmerz fühlbar. Die Welt versank in einem lauten Schrei. Und Brigitte war da, legte meinen Kopf in ihren Schoß und ließ mich endlich los, frei in den Schmerz einer Trennung, die Abgründe offenbarte. So konnte ich mich ablegen, so war ich mutterseelen allein und doch mit aller Mutterseele versehen. Weil ich endlich verstand, weil ich endlich begriff, dass es nicht an mir lag, dass bei dieser Trennung andere Mächte im Spiel waren, viel stärker als ich.

Da war ein bigott frömmelnder. protestantischer Vater, der seine siebenjährige Tochter zugleich ins Bett lockte. Eine brüchig-bürgerliche Fassade, die da zusammenbrach und Abgründe offenbarte. Dazwischen ein Kind und heranwachsendes Mädchen, bei dem alle Muster verrutschten. Später eine Frau, die zwischen Macht und Liebe nicht mehr unterscheiden konnte. Die begehren musste, um "da" zu sein. Die darüber alle Sprache verlor und doch redetet wie keine sonst: Schau her, ich ziehe mich aus vor Dir.

Unheilbar war ihr dieses Loch in die Seele gebrannt. Ein Abgrund. Und wer daran rührte verging. Erst langsam begriff ich die Unmöglichkeit dieser Beziehung. Die Unmöglichkeit, sie dort heraus zu lieben ins Leben. Und so wurde sie der vergiftete Apfel für mich. So wurde es für mich Zeit, das Böse hinaus zu tun, bevor ich selber daran erstickte. Und wenn es die eigene Existenz kostete.

Tatsächlich war der Preis hoch: es kostete mich, was ich bisher als wertvoll für meine Frauenexistenz erachtet hatte. Dort geschah meine zweite Initiation. Mein Schritt ins Leben zurück. Der dritte notwendige Schritt. Um vom Überleben ins Leben zu kommen, um überhaupt wieder leben zu können.

"I am a MaleToFemaleToMe Person". Ich bin eine Mann-Zu-Frau-Zu-Mir Person. Es war der geglückte Dreischritt. Die Aufhebung des Widerspruches - jenseits der Geschlechtergrenzen.Zugleich war es auch ein Übergang in ein Leben zwischen den Geschlechtern, vom "Da-sein ins "Dazwischen-Sein" (Inter-esse), zugleich die Entleerung der Frage, was mich als Frau denn ausmache. Es war auch das Ende der Aneignung anderer und endlich der Weg ins Eigene, wenn auch unter Schmerzen geboren.

Dass nur darüber die Kirche verlustig ging, war wahrscheinlich nebensächlich. Allein ich blieb am Leben. Und das war nicht wenig in diesen Tagen.

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Brigitte war da,
war da als die Zeugin meines Weges über Jahre hinweg. Weil es Zeugen udn Begleiter braucht, um glaubwürdig zu sein. Während meine Studienkollegen in Pfarrstellen berufen wurden, Orte wechselten, Karriere machten und Familien gründeten, sich im Eigenen verliefen, blieb Brigitte da auf ihre Weise. Blieb sie Zeugin und kannte - wenn doch nicht alle - so doch viele meiner Wege. Jemand der sehen konnte und verstand. Und so wunderte es mich nicht, dass Brigitte nun wieder schrieb, jetzt wo ich meinen Talar nieder legte. Dass sie die Geschichte schloss wie ein Kreis.


"Liebe Karin,

Freundinnen aus dem Ruhrgebiet schickten mir Artikel über deine Talarniederlegung. Ich möchte Dir sagen, dass mich das sehr berührt hat, ja geschmerzt hat. Einmal, dass diese Kirche dir deine gesuchte neue Identität verweigert hat. Ich erinnere mich noch an deine Ordination, wie wichtig sie dir war, so etwas wie ein Zuspruch zur Daseinsberechtigung. Das hat die Kirchenleitung nie kapiert, dass es in deiner Geschichte um etwas anderes als Recht und Paragraphen geht. Zum anderen hat mich geschmerzt, dass es wieder so eine Aktion sein musste, in der Du Dich preisgibst und verletzt.
...
Wie geht es in Deinem Leben nun weiter? Wie hast Du diese ganze Erfahrung innerlich verarbeitet? Kannst Du mit Deinen Beratungen genug Geld verdienen? Wie geht es mit Eurer Beziehung? Habt ihr wie geplant geheiratet? Und schließlich, was macht der fidele, kleine Hund?
...
Nun grüsse ich Dich ganz herzlich mit vielen, guten Wünschen für Deinen weiteren Weg.

Brigitte"

So etwas berührt und bringt verlorene Nähe wie pulsierendes Blut zurück. Es treibt zu Tränen. So etwas ist Sprache, die ich verstehen kann. Herzlich, mit Resonanz. Ein Mensch, der begleiten kann, der fragen und verstehen will, bevor er urteilt.


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