Donnerstag, Juli 20, 2006

Testosteron Junkie

Mit Rocco am Morgen fange ich wieder mit dem Laufen an, nachdem ich dreizehn Kilo so viel mir mit rumschleppe. Drei Jahre Landleben machen sie so bemerkbar. Da bin ich kein Porsche, eher ein alter Trecker geworden, schnaufend und mit gerade mal einem Zylinder. Obwohl es auch Trecker von Porsche hier gibt - hier am Niederrhein. Rot sind sie und laufen mit Diesel.

Rocco ist sonst immer ein artiger. D.h. er läuft mit, wenn auch hier und da anderes mal sein Interesse wecken kann. Aber er kommt dann meist doch mit .... bis auf heute morgen. Da ist er abgehauen. Einem Hasen hinter her. Ein Japsen und Quitschen, nachdem er ihn aufgespürt hat. Und obwohl er bisher jedes Wettrennen verloren hat, trainiert er immer noch. Meist nur mit dem Ergebnis, weg zu sein.

So was passiert schon mal, wenn seine Hormone durchbrechen. Der Jagdtrieb und dieses komische Testesteron in seinem Körper gehen dann eine eigenwillige Mischung ein. Kein Halt mehr. Ein Männchen eben, Nachname Rüde. Ich kann ihn ja auch nicht immer an der Leine laufen lassen - der Junge braucht mindestens so viel wilde Luft um die Ohren wie ich auch. Warum ihm verwehren, was ich selber brauche – eben !

Also es war ein knapper Meter, die ihn und den Hasen trennten. Die rennen ja nicht immer weg. Irgendwie scheinen sie intelligenter zu sein, rennen nur, wenn es absolut nötig ist. Da lag der einfach im Gras und versteckte sich. Als Rocco das in Nase und Körper bekam, konnte er nicht mehr an sich halten. Ari safari hinterher. Und weg war er ... ein Quitschen und Japsen, zwei langohrige Beine und ein beiges Knäuel Fell mit fliegenden Ohren hinter her ...

Nun war ich etwas geschwitzt - bei dem Wetter ja kein Wunder, war doch gestern der heißeste Tag in Deutschland bei Kalkar am Niederrhein – fanden sich sofort eine gelehrige Schar Bremsen bei mir ein, um lustvoll über mich herzufallen.

Was sollte ich machen? Warten und mich weiter zerstechen lassen? Weggehen und Rocco im Stich lassen? Was auch immer, ich war in einem astreinen, ethischen Dilemma. Und das wurde durch Warten auch nicht besser. Also entschloss ich mich - nach einem Blick auf mein Streuselbein - die Flucht nach vorne anzutreten. Rocco Rocco sein zu lassen und die Wahl für mich zu entscheiden.

Augen zu und durch. Wie er auch ....

Zwar hatte ich gelesen, dass jagende Hunde immer wieder zum Ausgangspunkt ihrer Jagdabenteuer zurück kehren, im Unterschied zu den menschlichen Männchen, aber im Buch stand nicht wann und in welcher Zeit. Mit einem nackt-exitstenialistischen "dass" es geschehe, kam ich hier nicht weiter.

Sicherlich, jederzeit könnte Rocco wieder aus dem Wald herausgetobt kommen, die Zunge auf halb Acht und mal wieder nichts gefangen, während derweil die Bremsem um mich herum triumphierten .... aber tat er es auch. Und wann tat er es ....

Mein eigener Fluchtimpuls war stärker. Vielleicht ist es ehrlich und hömöophatisch genug, den eigenen Instinkte auch zu vertrauen. Man ist ja nicht in einem theologisch-ethische Oberseminar. Also scherte ich mich weg, noch lange Zeit einen Schwarm Bremsen hinter mir her ziehend. Welch ein köstliches Bild für den Betrachter ...

Seine versprochene Wiederkunft an gleicher Stelle – wie im Buch für Hundeverhalten fest versprochen – war mir in diesem Moment absolut egal. Acuh die die frühen Christen mussten eine ähnliche Erwartung gehabt haben. Dass der Messias wieder kommt. Da war es revolutionär, dass Paulus Israel verließ und das Evangelium überall predigte und - wieder fand. Kurzum, ich lief weg und suchte mich selber zu retten. Der Atem flach, die Gedanken im Sturm vereint.

Was, wenn ihm jetzt was geschehen würde? Ich bin dafür verantwortlich. Stell Dir vor, er rennt über die Straße und schon ist es geschehen .... Lauter solche "Worst Case" Szenarien stellen sich ein. Und Schritt für Schritt kommt man sich immer mehr vor wie ein Schwein, eine Rabenmutter, ein egomanes Menschenkind, nur weil man nicht länger mehr zerstochen werden möchte. Weil man gegangen ist. Geflüchtet.

Wie hoch ist eigentlich der masochistische Anteil, wenn man Verantwortung übernimmt? Wie hoch der Beharrungsfaktor? Wann lässt man wen im Stich? Wie würde ein Manager entscheiden und stellt sich ihm überhaupt diese Frage ....

Alle Gedankenteufel kamen mir auf dem Rückweg in den Sinn, fuhren Achterbahn mit mir. Zu Hause angekommen, duschte ich und bewaffnete mich mit Handy (immerhin steht meine Nummer auf Rocco s Halsband, das hilft vielleicht), Leine und einem frischen T-Shirt. Rannte dann in die Garage, holte das Gitter für die Motorradbox, startete die Vespa und fuhr los ....

Wir haben hier so eine Kreuzung, an der ich vor drei Monaten meinen Peugeot geschrottet habe. Und jetzt auf der Vespa, mit kaum mehr als Rocco im Kopf, achtete ich nur bedingt auf Rot- und Grünzeichen. Eine Vollbremsung gelang mir gerade noch, bevor der Trecker in den Kreuzungsbereich einfuhr. Drei Ballen Stroh - immerhin hätte ich gute Überlebenschancen gehabt.

Als ich dann in den Feldweg einbog, entdeckte ich den Streuner von ferne. Es stimmt also doch ... wenn Hunde ihre Jagd beendet haben, kehren sie zurück auf die alten Wege. Ein dickes Plus für Hunde. Und hier, hier war ich bestimmt schon hundertmal mit ihm gelaufen. Am Teich bei den Koi´s hatte er sich die Zeit vertrieben, wurde obendrein von den Besitzern gefüttert und sah so guter Dinge aus, dass er mich fragen wollte: Hey, was soll das? Schau nur, ich kann sehr gut für mich selber sorgen. Denn soist er ja auch zu uns gekommen.

Das Abenteuer war beendet. Immerhin fuhr er noch vergnügt eine Runde Vespa mit mir, bis er dann zu Hause sie müde auf den Boden fallen ließ, wo er jetzt noch liegt. Ja, so sind die. Die Hundemänner mit ihrem Jagdtrieben und Vorlieben. Karnickel und Hase haben wir erst mal vom Speiseplan gestrichen. Und mein Übergewicht werde ich auch ohne solche Übungen los.

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