Montag, Mai 08, 2006

Verordneter Unsinn

"Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie früher mal war", sagte Karl Valentin und traf auch heutige Nägel auf den Kopf. Zumindest, wenn man sich den Zuwachs an sinnloser Regulierung betrachtet, mit denen die heutigen Sozialsyteme "zukunftssicher" gemacht werden sollen.

Als ich neulich bei meiner Gynäkologin in Mülheim Ruhr war, um mir mein Hormonimplantant abzuholten, hieß es völlig unvermittelt: Es gibt nichts mehr. Niente. Rien na va plus. Die Kasse zahlt nicht mehr. Nun muss man wissen, dass mein Körper - im Unterschied zu 98% der Bevölkerung - keine eigenen Hormone mehr produziert. Ich bin also auf die Zufuhr von außen in Form der mildtätigen Krankenkassengabe zeitlebens schlicht angewiesen. Meine Gynäkologin ist ein staatlich lizensierter Hormondealer. Wenn man so will.

Dieses Mal klappte es nicht. So stand ich da. Implantate sind ja durchaus nützliche Dinge. Einmal per kleinem Leistenschnitt eingesetzt, halten sie ein halbes Jahr. Unauffällig und sehr zuverlässig. Sechs Jahre mache ich gute Erfahrungen damit. Und nun das!

Die Apotheke, die dieses Implantat auf Rezept für mich ordern sollte, beschied, dass generell alle ausländischen Präparate nicht mehr erstattet würden. So hätte man es ihnen mitgeteilt und daran halten sie sich. Nun zeigen Sie mir mal einen Apotheker oder Arzt, der nach solch einer Auskunft ins eigene Risiko gehen würde. Das macht keiner von denen, selbst wenn es sechs Jahre zuvor noch funktioniert hatte. Warum auch?

Also blieb ich von diesem Tag an - unversorgt. Sieh zu, wie Du klar kommst. Tage später begann ich mich genauer zu beobachten. Die Wechseljahre hatte ich ja eigentlich schon hinter mir, dachte ich. Aber nun war ich beunruhigt. So ein Hormonmangel kann ja einiges bewirken. Nachts kamen erste leichte Schweißausbrüche, dann meinte ich eine wachsende Gereiztheit bei jeder Gelegenheit fest stellen zu können. Andere, unwesentliche Probleme drängten sich völlig unmotiviert in den Vordergrund. Bange Fragen kreisen im Kopf: Werde ich jemals wieder Lust empfinden können? Und wenn ja, worauf? Eine kalte Wadenwickel? Ein frisch gebrühter Frauenkraut Tee? Sonst nichts? Mein Kopf fuhr gegen die Wand.

Eigentlich, so dachte ich, ist es ja auch unverschämt. Da wird ohne Mitteilung an Ärztin und Patientin einfach aufgrund geänderter Gesetzeslage eine Behandlung abgebrochen. Keiner kümmert sich um die Folgen. Hauptsache Anweisung durchgeführt. Das kann man auch als Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit betrachten. Aber wer nimmt im Zusammenhang mit meiner Geschichte das noch ernst? Wohl kaum deren einer.

Kurzum: meine Ärztin schrieb ein längeres Attest, welches die Notwendigkeit der weiteren Behandlung auswies. Dieses wurde mit einem ausführlichen, vierseitigen, sozialmedizinischen Erstgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen gekontert. Weiß nicht, wer das geschrieben hat. Den Arzt - wer geht schon freiwillig in den Medizinischen Dienst - habe ich nie zu Gesicht bekommen. Entscheid nach Aktenlage, so nennt man das heute. Da wurde Urteil hinter Urteil gelistet vom meist männlichen Mangelverweser.

Darüber vergingen zwei weitere Monate - ohne jedliche Behandlung. Ohne Bescheid. Ohne Ersatzdroge. Papier ist geduldig. Natürlich ist es nicht so, dass die Versorgung auf dem deutschen Arzneimittelmarkt unmöglich wäre. Aber es gibt keine hoch dosierten Präparate mehr. Die Pharma Industrie hat uns leider noch nicht als Zielgruppe entdeckt. Und solange das so ist, essen wir kontinuierlich mehr Tabletten als Jahre zu vor, nehmen wir klaglos doppelte Spritzenmengen in Kauf, allein um auf die nötige Vollversorgung zu kommen.

Menschen, dessen Körper keine Hormone mehr produzieren, sind von der Phramaindustrie, den Krankenkassen und Apothekern einfach nicht vorgesehen. Das hatte ich einzusehen.

Das mit dem Implant dagegen war schon eine feine Sache. Allein, es wurde in Großbritannien erfunden. Das war sein einziger Nachteil. Es kann in Deutschland ja nicht angehen, dass Briten etwas herstellen, was der deutsche Markt nicht bieten kann. Wo kämen wir denn da hin? Der Gesundheitsreform sei dank, stand ich nun schon im vier Monat im Trockenen und ohne Behandlung da.

Inzwischen hatte ich die Krankenkasse unterrichtet, sie ggf. rechtlich zu belangen. Man muss in solchen Dingen leider immer deutlich werden. Es kann ja nicht angehen, dass man Behandlungen ohne R$ücksprache einfach so abbricht, zumal ohne selber angeben zu können, was denn noch bezahlt wird. Meine Ärztin schlug mir vor, alle 14 Tage auf die gering dosierten Spritzen zurück zu greifen: zwei mal zwei Ampullen Progynom 10 mg intramuskulär - das macht 58 Euro pro Monat - mal sechs, da sind wir locker bei 348 Euro an vergleichbaren Behandlungskosten.

Ein Implant kostet gerade 210 Euro. Es hält sechs Monate. Zur Kosteneinsparung und Zunkunftssicherung ist es jetzt verboten worden.

Gestern schrieb mir die Kasse, dass sie eine Dinglichkeitsentscheidung ohne präjudizierende Wirkung getroffen hätten. Sie erlauben mir noch zwei Behandlungszyklen. Natürlich habe ich zuvor gesagt, dass andere Kassen das Präparat noch erstatten würden. Ein Wechsel der Kasse sei ja nicht mehr so schwer.

Nicht gesagt habe ich: dass man nebenan in den Niederlanden das Präparat wohl problemlos und ohne Schwierigkeiten verordnet bekommt. Und es ist dann als Auslandsbehandlung mit der hiesigen Kasse abzurechnen - völlig legal und normal. Venlo ist von Wachtendonk gerade mal acht Kilometer entfernt. Also viel näher als jene Krankenkasse von innerer Einsicht.

Die Zukunft kann also kommen. Schon lange ist sie nicht mehr das, was sie früher mal war. Aber immer gibt es Wege, die zeigen, dass andere weiter sind - indem sie schlicht menschlich bleiben.

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