Montag, Mai 22, 2006

Durchblick erwünscht

Meine Augen, so habe ich das Gefühl, lassen mich mehr und mehr im Stich. Es fing langsam an. Beim Lesen muss ich die Zeitung weiter weg halten. Auch kleine Schriften auf Marmeladengläsern bereiten mir Mühe. Seither bleiben die Zutaten unidentifizierbar. Bevor es so weit kommt, bei irgend einem Versicherungshai einen Vertrag zu unterschreiben, der mich lebenslänglich kettet - nur weil ich das Kleindgedrucke nicht lesen kann - wollte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Augenarzt aufzusuchen. Was gar nicht so einfach ist.

Der erste erkundigte sich freundlich nach dem Jahr, in dem ich den grauen Star bekommen hätte. "Nein, ich habe keinen!", antwortete ich knapp und gereizt. Barsch kam es zurück "Na, dann sind sie hier ganz falsch. Wir machen nur noch grauen Star. Guten Tag! "

Nach etwas Zeit fand ich eine Frau Doktor, die mir einen Termin anbieten konnte. "Kommen Sie dann bitte pünktlich!" Gestern war es dann so weit. Die Sprechstundenhilfe erwartete mich. "Haben sie eine Überweisung?" Ich verneinte. "Macht 10 Euro in bar!" Ich zahlte und bekam zwei eng bedruckte Formulare plus Kugelschreiber in die Hand gedrückt. "Hier. Unterschreiben Sie!"

Mit etwas Glück ergatterte ich einen freien Stuhl im Wartezimmer und begann zu lesen. Prinzipiell unterschreibe ich ja nur, was ich auch gelesen habe. Zumindest bisher. Aber damit stand es ja nicht so gut. Die Augenärztin schien es zu wissen.

Formular eins entpuppte sich nach 10 Minuten als Einwilligung in eine Glaukom Vorsorge Untersuchung für schlappe 24 Euro inklusive Messung des Augeninnendruckes. Ob das teuer war oder nicht, konnte ich nicht ermessen. Das zweite beinhaltete ein unverbindliches Angebot für die Brillengläserbestimmung - direkt hier vor Ort für gerade mal 20 Euro. Macht summa 44 Euro Eintrittsgebühr, dachte ich. Gute Preise - gute Besserung. Aber ich wollte mich ja nur untersuchen lassen.

Ohne Unterschrift kehrte ich zurück. "Haben Sie unterschrieben?" "Nein", sagte ich. "Was soll denn dann gemacht werden? Wollen Sie die Glaukomvorsorge wirklich nicht?" "Nein !", bestätigte ich wiederholt. "Wollen Sie denn auch die Brillengläserbestimmung nicht?" "Gute Frau, ich habe noch keine Brillengläser, die man bestimmen könnte. Ich will erst mal wissen, was mit meinen Augen los ist. Ob ich eine Sehschwäche habe.", antwortete ich freundlich genervt.

"Dann unterschreiben sie bitte hier, dass sie das nicht wollen!" sagte sie und deutete auf die beiden Formulare. Mein verdutzter Blick brachte sie immerhin zu einer Erklärung: "Das ist, damit ich das der Ärztin angeben kann. Dann weiß sie, dass sie die Untersuchungen nicht wünschen. " Verwirrt und etwas verdattert unterschrieb ich. Seit wann muß man das Nicht-Wollen unterschreiben?

"Ihr Hausarzt heißt wie?", fragte die Arzthelferin. "Urban", sagte ich, "hier in Krefeld." "Wurban?" echote es mir entgegen. "Nein - Urban mit U wie Ulrich am Anfang." "Meinetwegen. Sagen Sie mir ihre Telefonnummer." Ich sagte die gelernte Zahlenkombination auf. Einmal, dann noch ein Mal. Zahlen sind in Deutsch nicht immer einfach, zumal wenn man es noch lernt. "So, das ist es dann. Kommen Sie dann mit ins Nebenzimmer, Frau Urban." Das Blut gefror mir in den Adern. "Ich heiße nicht Urban!!", sagte ich, aber da war sie schon mit meinen Unterlagen im Nebenraum verschwunden.

Zwei Minuten später saß Frau Urban gekrümmt auf einem kleinen Holzschemel an der Wand und schaute in ein wundersames Gerät. "Schauen sie bitte ganz gerade rein!" sagte die Helferin. Vor mir tanzten Zahlen in hellem Licht. Als die Untersuchung beendet war, fragte ich: "Was haben Sie denn jetzt bei mir untersucht?" Ihre Antwort war all-umfänglich: "Es ist genau das, was sie beim Augenoptiker auch bekommen." Aha.

Ich kehrte ins Wartezimmer zurück. Nach sechzig Minuten stiller Lektüre, nur unterbrochen von dem Aufschrei meiner Nachbarin "Wann komme ich endlich dran, ich seh schon nichts mehr. Die Tropfen wirken doch nicht ewig." kam auch ich an die Reihe. Frau Doktor saß im weißen Kittel mir gegenüber. Sie streckte die linke Hand mir entgegen. "Blombach!" sagte sie. "Es ist die linke. Die rechte ist operiert!"

"Da habe ich kein Problem mit!" antwortet ich freundlich und traf wohl den falschen Ton. "Warum sind Sie hier?" fragte sie streng über ihren Brillenrand hinweg. "Ich denke, dass meine Sehleistung nachlässt. Vor allem beim Lesen." Die Ärztin blickte in die Unterlagen: "47 Jahre alt? Das ist die Alterssichtigkeit. Die kommt jetzt. Was meinen sie wohl, warum ich eine Brille tragen muss?" raunte sie mich an und tippte auf ihre Hornbrille.

Die eigene Brille musste für sie das Schlimmste sein, was ihr seit Jahren widerfahren war. Stellen sie sich vor: eine Augenärztin mit Brille! Unglaublich. Das ist für sie wie ein Chirurg mit Holzbein. Ein Internist mit Magengeschwür. Ein Gynäkologe mit Bodenbeckensenkung.

Dann wurde untersucht. Meine beiden geleisteten Unterschriften zur Nicht-Leistungserbringung hatte sie sehr wohl bemerkt. Es ging zu einer großen Apparatur mit rotierenden Scheiben, die schneller wechselten als jeder Formel1 Reifen. Klack !! Klack !! Klack !! Der Refrain aus studiertem Mund begleitete mich: Besser? Schlechter? Besser? Ja was denn nun?

Die Diagnose fiel eindeutig aus. "Ja. Sie haben eine Sehschwäche! Da können sie eine Brille aufziehen, wenn sie das möchten und damit besser sehen. Das ist kein Problem. " Und dann, als wäre ich allein an der Misere ihres kümmerlichen Daseins zwischen veralteten Apparaturen und einer Hornbrille schuld: "Die Optiker machen sowieso den größten Reibach, was soll das hier?" Schlußendlich sähe sie es nicht ein, mir eine Brillenverordnung auszustellen, an der sie nichts verdiene.

Sagte es, reichte mir die linke Hand entgegen, neigte den Kopf leicht, um über ihre Brille zu schielen, und sagte: "Sie verstehen?" Ich verstand nichts. Rein gar nichts. "Na, dann kommen sie besser mal im Oktober wieder. Bis dahin wird sich ihr Zustand sicherlich verschlechtert haben. Dann können wir ja mal eine exakte Brillengläserbestimmung machen. Aber nur, wenn sie es auch wollen. Guten Tag!"

Da stand ich da. Dass ich eine Sehschwäche hatte, war nun offziell bestätigt. Mehr auch nicht. Nun muss ich zusehen, wie ich den Durchblick behalte. 20 Euro habe ich seit gestern zur Seite gelegt. Ich fürchte, das reicht bei weitem nicht.


Hier ein Test für Sie. Wenn Sie die Zahl sehen, haben Sie den zu entrichtenden Betrag richtig erkannt. Wenn nicht sollten Sie dringend zum Augenartz!!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Als Angestellter einer Krankenkasse muß ich leider sagen, daß die Augenärztin korrekt gehandelt hat.
Wir bekommen immer wieder diese Beschwerden, aber die Brillenbestimmung un Abklärung auf Grünen Star wird nicht mehr bezahlt.
Wir bekommen immer wieder solche Beschwerden, was mich auch auf die Palme gebracht hat.
Aber die Unterschrift ist wohl zur Absicherung gedacht, weil die Ärzte über das Risiko aufklären müssen.
Was die alten Geräte angeht: Über den Bekanntenkreis habe ich erfahren, daß eine Neueinrichtung bei Augenärzten 200 bis 300 Tausend Euro kostet.
Ich kenne schon Praxen hier in Krefeld und in meiner Heimat Celle, wo sich kein Augenarzt mehr als Nachfolger für die Praxen finden ließ.
Da ich selbst schon eine Netzhautablösung hatte, finde ich das schon bedauerlich.
Heike K.