Unglaublich erstaunlich: Nichts geht verloren, wenn man sich auf eigene Spurensuche begibt. Zwei Wochen waren wir nun auf Texel, dieser eigenen Insel vor der holländischen Küste und ich nutzte die Zeit zur Spurensuche. Zeltlager der Ev. Kirchengemeinde Essen Haarzopf. Dennenrust. Acht Jahre lang meine Urlaubsadresse. Immer wieder zog es uns dorthin. Als Jugendliche im Alter von zehn Jahren waren wir - mein Zwillingsbruder und ich - die jüngsten Teilnehmer. Die "Kammännchen", wie man uns nannte, rückten immer zur dritt an, da Bruder Volker die Riege verstärkte.
Ich erinnere mich an die morgendlichen Andachten um Sieben Uhr vor dem Frühstück trat man an, oft noch ungwaschen aus dem Schlafsack heraus - ungewohnt anders damals als je erlebt. Hier entstand das, was ich - neben den anfänglichen Besuchen im Kindergottesdienst - durchaus meine gute, kirchliche Sozialisation nannte. Ein evangelisches Menschenkind. Es gab diese herrliche Mischung von Acht-Mann-Rundzelten, diesen abenteuerlichen Hauch von Freiheit - das verband sich in mir und setzte klare Linien. Es gab immer wieder den Wind in den Haaren, die Bestimmtheit eines Pfarrers, der noch als Hilfspfarrer der bekennenden Kirche unterwegs war. Eine Zeit, die nun vergessen wird oder als vergangene Heldenzeit der Insitution weggeschoben ist.
"Onkel Helmut", wie wir ihn nannten, war dabei gar nicht onkelhaft und hatte die Fähigkeit, bei sich zu bleiben und als Pfarrer nicht zum Entertainer mutieren zu müssen, wie man es jetzt landläufig erlebt. Ein protestantischer Ernst, durchaus gemischt mit preußischer Pünktlichkeit, die bei ihm aber nicht als Zwang daher kam, sondern in größter Selsbtverständlichkeit, hielt es sich selber stets daran. Pünktlich um sechs Uhr in der Frühe sah man ihm schon vom Morgenlauf ins Lager zurück kehren. Er wohnte in einem kleine Zelt nur für sich, die Bibel und ein paar Bücher neben einer alten blauen Luftmatratze, die er wohl schon zu Kriegszeiten besessen hatte. Unbeding zu beachten waren auch die Gürtel, mit denen er seine Bücher zusammen band. Selbst als seine Frau später mit ins Lager kam und mit ihren Kindern ein eigenes Häuschen bewohnen konnte, bliebt er der unscheinbare Mann im Zelt, etwas abgelegen.
Für uns Kinder und Jugendliche war Texel ein eigener Ort, ein Flecken Erde, wo der Himmel etwas weiter war als zu Hause, Nachtwanderungen an den Strand, später Lagerleitung in doppelter Schwierigkeit: jetzt das verhindern lernen, was man selber gerne gemacht hat und zudem glaubwürdig Morgenandachten halten. Man hatte auf einmal Zutritt zu dem eher unsichtbar wirkenden Pfarrer und spürte doch dessen Ernsthaftigkeit hinter all den Dingen. Es war eben keine Freizeitmaßnahme, sondern ein Jugendzeltlager - allerdings weit weg entfernt vom christlichen Aufsehen, dass z.B. ein CVJM stets um sein Engagement machte.
Heute ist dort alles umgebaut worden. Auf "Dennennord" stehen keine Zelte mehr, selbst den Namen hat man gestrichen. Jetzt fanden wir dort kleine Backstein- Häuschen, alle demselben Baumuster folgend, einige sogar mit Sauna und Kamin. Von der Wildheit der ersten Jahre keine Spur mehr. Und dennoch waren die Wege noch klar und bewusst. Wie merkwürdig, dass der Körper Erinnerung speichern kann und wie ein eigenes Muster abruft.
Montag, Juni 25, 2007
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