Es war im Jahre 1999 zu meinem 40. Geburtstag, da stand ich mit Tränen in den Augen am Zürisee, 700 Kilometer von der Evangelischen Kirche im Rheinland entfernt. Entkommen war ich und ich atmete die frische Luft und war frei. Die Möven flogen kreiselnde Kurven um meinem Kopf, um etwas von dem zu ergattern, was flüchtige Touristen hinterlassen hatten. Die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser in weichen Wellen mit einem nie dagewesenen Sonnenwasserlächeln.
Tatsächlich, hier war ich angekommen, weit weg von allen. Angekommen bei mir in der Ferne, zugleich in einem Moment eine ungeahnte Erleichterung, so als wenn auch die Seele sich nach all der gelebten Trauer aufschwingt und beschließt für immer dort oben zu bleiben: unangreifbar und leicht mit einem Lächeln. Ein schwebender Moment, in dem man alles ablegt und bereit ist zu neuen Aufbrüchen ins Leben, das alte wie einen Mantel ablegt und einfach nur da ist. Blinzelnd noch der tanzenden Sonne auf dem Wasser entgegen. Es war mein 40 Geburtstag und ich feierte ihn alleine für mich.
New York und Zürich - diese beiden Fluchtmetropolen und Welten leben heute noch in mir. Und immer wenn ich im Internet surfen gehe und finde Bilder, dann klingen all diese Geschichten in mir, man wird leicht und will sich erheben, losgehen oder doch wenigstens schreiben von all dem Schellengeläute um mich herum, den gelebten wie ungelebten Aufbrüchen ins Leben.
Heute überkam mich wieder so ein Gefühl und es scheint so zu sein, dass man auch mit den Buchstaben reisen kann wie mit Fingern auf Landkarten und jede Saite in sich zum Klingen bringt, die Sehnsucht vermittelt und lebbar macht. Und sei es nur durch einzelne Blicke und Geschichten, durch ein Dreh des Kaleidoskops gemachter Erfahrungen.
Die Zutaten immer dieselben, die Aussichten jeweils neu und anders, wie auch hier auf diesen wunderbaren Fotoseiten über New York - der Fluchtwelt schlechthin. Voll jüdischem Humor, voll innerem Herzschlag, voll Lebendigkeit.
Ein Haufen Steine mit Mensch. Immer noch und immer wieder. Pulsierendes Leben. Immer wieder neu und tief im Inneren mit demselben, alten Herzschlag. Spürbar durch jede Mauer, tief unter dem Asphalt. Immer noch das Gleiche seit Jahrhunderten echot es entgegen:

Willkommen daheim, Fremde. Wo warst Du so lange?
Und warum bist Du nicht eher gekommen?
1 Kommentar:
„Warum bist Du nicht eher gekommen?“
Weil Angst mich hindert zu fliegen
sitze nur da ganz benommen
Blei klebt in den Taschen des Mantels
den auszuziehen mir zu kühn erscheint
Kalt ist er und rissig
behindert mich anstatt zu schützen
„Mein sei er“, so mutet er an
und meint eigentlich „ich“
Etwas stört mich daran
Ich will „mich“ neu erfinden
und er macht da nicht mit
lieb geworden schien er mir
und undankbar jetzt meine Wehr
Doch anzukommen ist mein sehnlichster Wunsch
In mir tobt eine Kraft
so groß wie grollender Donner
ein Beben, Vibrieren ein Zittern
ein Tanz wie im Rausch
raus will es
hoch will ich
frei will ich sein
das Leben ganz zu erfahren
dann hebt sich der Blick
es neigt sich die Welt
ein Flügelschlag
und ich bin mein
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