Montag, November 06, 2006

Schalltote Räume und andere Unannehmlichkeiten

Noch immer rumort es in mir. Wie ein lang anhaltendes, inneres Beben. Eine tektonische Verschiebungen der Seelenlage. Nur an Spannungen erkennbar. Und dumpfen Geräuschen. Es tut sich wass.

Und wenn ich dann nicht schreiben kann, toben Kämpfe nachts in Herz und Hirn. Sich endlos wiederholende Situationen. Als würde auf einmal mit einem Schub die Gefühle nachgeliefert. Wie ein Erwachen aus dumpfer Zeit.

Heute war es ein tiefe Entsetzen vor der Leere, dass ich wirklich mit leeren Händen da stehe. Dass ich nach 21 Jahren "Kirche" gerade mal mich und um die 310 Euro Rentenanspruch gerettet habe. Kein Grund getrost zu sein.

Das Entsetzen darüber, dass da einfach NICHTS ist, wo etwas sein sollte. Dort, wo ich Kirche vermutet hatte, ist ein NICHTS. Ein Loch, ein Off, ein schalltoter Raum. Eine Kompression ohne Gleichen. Kein Echo möglich.

Als ich heute Morgen mit Rocco spazieren ging, nach dieser halb durchwachten Nacht mit dem pochenden Herzen, das sich nicht zur Ruhe legen kann, dass weiter schlägt und arbeitet wie ein Bildhauer, da begann ich drei Sätze zu finden, die mein Fühlen der Kirche gegenüber beschreiben könnte.

Sie sind Deklinationen des Menschlichen und heissen:

1. Schalltoter Raum
Das abgebrochene Gespräch oder der Verlust der ersten Unmittelbarkeit. Was wiederfährt, wenn ein Mensch sich verändert. Über alles durfte geredet werden, nur nicht über meine Geschichte. Ein Schweigegebot. Sieben lange Jahre lang kein Echo. Während andere sich über mich den Mund zerrissen. Zu viele wissen zu wenig von mir. Heute noch - kein Echo. Keine wirkliche Auseinandersetzung. Nichts, schalltoter Raum.

2. Keep Smiling Sister
"Glücklich sein müssen" als Verpflichtung nach aussen. Wehe, wenn ein auch nur ein kleines Wackeln da wäre. Ein Anflug von Gefühl. Nach dem Wechsel hatte ich glücklich zu sein. Sonst nichts. Die Bedürftigkeit wuchs. Aber durfte sich nicht nach außen zeigen. Bloß nicht. Statt dessen verlangten alle die sinnfällige Dokumentation, dass ich genau das Richtige getan habe. Und sonst nicht. Ein soziales Display. Funktionabel.

3. Schwarze Löcher
Das ist die Gravitation des Überlebens. Es ist komprimierte Erfahrung im Augenblick. Verdichtet Leid zum Nichts. Bis nichts bleibt, nichts mehr da ist. Vorgestern noch angespuckt in der Unterführung am Alten Markt zu Wuppertal, randalierende, pöbelnde Jugenliche, ein biersauer Atem im Nacken - am nächsten Tag war nichts geschehen. Ich zeigte nichts nach außen. Wem denn auch? Man musste durchkommen. Funktionierte weiter. Morgens steht man wieder auf, als sei nichts geschehen. Aber man täuscht sich. Da war doch was. Ein Mensch. Eine Geschichte.

Ich denke anhand dieser drei Schraffuren lässt sich mein Fühlen und Leben nachzeichnen. Damals und schon immer im kirchlichen Raum. Es gab keinen Ort, kein Echo. Nichts. Schonungslos blieb die Einsamkeit eines Weges, der nicht mit-teilbar war. Unerfüllt die Hoffnung auf Begleitung, auf Menschen die blieben. Spürbar wird darin die Verlassenheit eines Menschen, der ankommen wollte und entsorgt bliebt. Selige Dialektik im Augenblick des Abschiedes.

Es ist gut, gegangen zu sein. Und es schmerzt verdammt.

Darüber will und werde ich schreiben. Weil es an der Zeit ist und weil ich nicht vergessen und überleben darf. Das hat zu lange gedauert. Nun kommen andere Zeiten.

Die letzten Entscheidungen von seiten der Kirche klingen nach. Sie waren gewollt und von mir eskaliert. Es ist nun ein klares Geräusch. Das Geräusch eines rostigen Nagels auf Stahl. Eine Furche ziehend. Es ist auch mein zerbröckelnden Schutz, die Nacktheit spürbar wie die Angst des Nachts. Keine Antwort auf alltägliche Fragen möglich.

Das ganze zu letzt: Unanehmbar.

Eine Presbyterin aus Uedem schrieb mir, sie wünsche mir sehr, dass ich endlich meinen Frieden finde. Ein frommer Wunsch. Wie sollte Frieden finden mit solchem Verhalten? Ein unannehmbarer Wunsch. Auch das ist der Refrain für meine kirchliche Existenz.

Unannehmbarkeiten.
Ein heute nur zu gut passendes Wort.


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