Freitag, November 17, 2006

Zugänge schaffen oder: Bram ist schuld

Selten ist es schon, dass ein Klient über hundert Kilomenter unter die Räder nimmt, um in einem kleinen Dorf am Niederrhein eine Praxis für Coaching und Lebensberatung aufzusuchen.

Anfangs, so sagte er mir, fiel es ihm trotz Navigationsgerät nicht einfach, mich zu finden. Wo ist das denn auch, der Kuhdyck? Und wie kann eine Straße so heißen? Kuhdeich? Wir sind doch hier nicht am Meer. Oder? Das ist doch finsterste Provinz. Nicht wahr?

Nicht ahnend kam er meinen Phantasien damit sehr weit entgegen. Denn genau das möchte ich. Abseits sein. Irgendwo in der Provinz sitzen. Nicht offensichtlich im umtriebigen Düsseldorf. Nicht im schnellen Köln. Erst recht nicht mittendrin. Sondern irgendwo an der Seite. Man muss sich aufmachen zu mir. Man sollte etwas unternehmen, um da zu sein.

"Das große weiße Haus da" sagte er, "das ist es, dachte ich. Das sah so nach Institut aus." Es stimmt, da gibt es ein weißes Haus. Und das sieht nach Institut aus, aber drin wohnt nur der Leiter des hiesigen Betriebshofes. Seine Wohnung spiegelt seine Wichtigkeit, gerade dann, wenn es die Person nicht kann.

"Nein", sagte ich freundlich "das war es wohl nicht." "Na ja, ich bin dann die ganze Straße runter gelaufen. Und dann sah ich es. Dort wor die großen Bäume noch stehen. Etwas im Schatten." sagte er, als er sich die Jacke im Flur auszog und wir Schritt für Schritt nach oben gingen.

"Das war ja nicht zu übersehen und trotzdem tat ich es." Der Weg zu mir ist einfach zu finden und ist es auch nicht. Es gibt keine eindeutigen Hinweisschilder, in nicht allen Navigationskarten ist diese kleine Privatstraße verzeichnet. Und die Erwartung wird enttäuscht und daher sieht man es nicht.

"Da war dann nur dieses große Schild KARTOFFELN. Und darüber meinte ich ein Zeichen gesehen zu haben, das ich auf ihrer Homepage schon mal gesehen habe. Also blieb ich da stehen. Und siehe da, ich war richtig. Hätte ich ja nie gedacht."


Es stimmt. Hier gibt es ein Schild mit "Kartoffeln". Es ist der alte Bauernhof des Bauern Strucks, der nun in einer neu gebauten Landschaft von Eigenheimen eingebettet ist. Kaum mehr erkennbar. Kaum mehr wahrnehmbar. Ein Haus unter anderen. Wäre da nicht diese Einfahrt und die laute Stimmer der Nachbarin.

Bauer Strucks ist unser Nachbar. Und seine Frau auch. Damals, als dieser Hof noch stand und in Betrieb war, gab es kein Handy. Als das Essen fertig war, rief man, dass die Männer vom Feld kommen mussten. Heute unterbricht sie schon mal meine Beratungen, laut und deutlich. Und verkauft Kartoffeln nebenan. Für viele die noch zu ihr kommen über Jahre und Jahrzehnte, ist das Schild "Kartoffeln" die einzige Erinnerung daran.

Mein Klient nun fand vor: "Kartoffeln" und "Praxis für Lebensberatung". Und staunte und amüsierte sich, den Weg nicht gefunden zu haben, wo doch diese beiden "essentiellen" Dinge so nah beieinander standen. Fast auf ein und demselben Schild. "Bram ist es schuld ..." sagte er dann lächelnd und meinte seinen Personalberater und Headhunter, der ihn zu mir schickte, weil doch mit seinem Kommunikationsverhalten etwas nicht stimme.

Armer Bram, der nicht wissen konnte, dass das Land auf merkwürdige Weise Dinge in sich vereinen kann. Widersprüche und Gegensätze gelten lässt, wo andere sie auseinander reißen müssen. Kartoffel und Coaching auf ein und demselben Schild. Undenkbar für eine gut aufgeräumte Dienstleistungslandschaft in Düsseldorf, wo die Adresse über Mileu und Klientenstamm entscheidet. Wo Erwartungen bedient und gesteigert werden müssen, statt einfach da zu sein. Im Hier und Jetzt und sei es bei Kartoffeln und Coaching.

Bauer Strucks hatte entschieden, die Zeiten mit zu gehen. Und er ließ Schweine Schweine sein, brach die Ställe ab und setzte Häuser hin. Lud andere Menschen ein auf seiner alten Scholle zu wohnen, gab seinen Beruf und seinen Hof an den ältesten Sohn weiter, der mit dem Geld einen modernen Hof außerhalb baute, ein sog. Aussiedlerhof. Noch heute streichelt er Rocco, als sei er der neue Hofhund und füttert ihn weit über Gebühr.


Durch das Vergangene, was heute noch da ist, fand mein Klient seinen Weg. Zwischen den alten Kirschbäumen und der Einfahrt hindurch in das neue Haus, das dort steht, wo früher die Kuhställe standen. Kuhdyck. Da ist jetzt die Praxis für Coaching und Lebensberatung. Die elementaren Dinge sind den Menschen erhalten geblieben. Und nach über hundert Kilometern Fahrt an den Niederrhein kam er an und freute sich, gefunden zu haben, was er nicht erwartete.

Einen Mensch ohne Allüren. Eine Situation, die sich elementar dem Not-wendigen verpflichtet fühlte. Eine offene Situation, die einlud. Die sich nicht anbiedern musste mit Attributen des Erfolgs. Statt dessen gibt es einen grünen Tee bei mir, ausnahmslos für alle Besucher, den man in Händen halten kann. Statt dessen gibt es kleine Münzen, statt große Erlösungen. Eine authentisches Gegenüber samt Hund, der es ernst meint.

Wie gesagt, das war schon immer mein Traum. Dass Menschen zu mir kommen, von weit her. Dass sie überrascht sind und schätzen, was sie vorfinden. Dass sie wieder kommen, weil sie etwas mitnehmen. Für viele sind das auch die Kartoffeln.

Aber nicht nur ...




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